Direkt zum Inhalt

Am Rande: Neulich bei der S/M-Party ...



Menschliche Chromosomen, die im Falschfarbenbild eher wie Teddybären aussehen, zieren die Karte: Der Chefredakteur des Daily Telegraph gibt sich die Ehre, mich zu der "Scientists Meet the Media Party 2002" (im Folgenden als S/M-Party abgekürzt) einzuladen. Wie bitte? Ich kenne den Mann doch gar nicht. Und seine Zeitung fasse ich, wenn über-haupt, dann nur mit sehr spitzen Fingern an. Aber andererseits: Es gibt Champagner, und meine schmalbrüstige Liste von Medienkontakten könnte eine Erweiterung gebrauchen. Also gut ... warum nicht?

Auf der Antwortkarte soll ich angeben, ob ich S oder M bin, pardon: ob ich als Vertreter der Wissenschaft oder der Medien gelten möchte. Ich frage zurück, ob ich auch ein Mittelding haben kann, bekomme aber keine Antwort. Die Partybonzen beschließen kurzerhand, mich der Wissenschaft zuzuschlagen. Auch gut, dann kann ich also die Medien treffen.

Die Party findet in den feudalen Räumlichkeiten der Royal Society statt. Zum Glück haben die Herrschaften nicht meine Glosse im Novemberheft von Spektrum gelesen, sonst würden sie mich gar nicht hereinlassen.

In der Eingangshalle empfängt mich Robert Boyle, einer der Mitbegründer der ehrwürdigen Gesellschaft. Leider nur zweidimensional – in Gestalt eines Ölgemäldes an der Wand. Noch tags zuvor hatte ich mit der Lektorin meines neuen Buchs ("Light&Life") darü-ber gesprochen, woher wir dafür günstig ein Porträt von Boyle bekämen; denn zu dessen Pioniertaten zählten auch Untersuchungen über Biolumineszenz. Aber hier einfach das Gemälde abhängen? Das könnte unangenehm auffallen, und der Schinken wäre auch etwas unhandlich.

Mit einem Glas Rotwein ausgestattet, mache ich mich auf den Rundgang durch die "kleineren" Räume (jeder hat etwa die Grundfläche, die meiner fünfköpfigen Familie zur Verfügung steht). Da gibt es die Stände der üb-lichen Verdächtigen zu besichtigen: BBC, Nature, Science, New Scientist. Das erinnert mich an ein Manuskript, das schon seit zwei Monaten beim New Scientist schmort.

Am Stand von Nature höre ich zum ersten Mal, dass der Chefredakteur von Chemistry in Britain, Rick Stephens, nach mir sucht. Er muss diese Suche mit viel Einsatz betrieben haben, denn denselben Satz bekomme ich praktisch von jedem zu hören, der mich kennt oder mein Namensschild liest. Aber in einer Menge von über 500 Leuten jemanden zu finden, von dem man nicht weiß, wie er aussieht, ist natürlich ein Problem für sich.

Derweil amüsiere ich mich, indem ich umherwandere und die Namensschilder studiere – ungefähr jedes fünfte ist ein Treffer insofern, als es mir ermöglicht, einem Namen, den ich bereits aus der Presse kannte, ein Gesicht zuzuordnen. Für die Redaktion des New Scientist ist Anwesenheit offenbar Pflicht. Auch Dick Fifield schwirrt an mir vorbei ... halt, wie geht es eigentlich meinem Manuskript? Es geht ihm gut, zum Glück. Soll nächsten Monat erscheinen.

Im Vortragssaal (Turnhallenformat) gibt’s den Champagner, und auch eine Art Vortrag des Nobelpreisträgers Harry Kroto. Eher eine inkohärente Mon-tage von merkwürdigen Bildern und Videoschnipseln, die vor allem verrät, für wie gering Sir Harry die Konzentrationsspanne von Journalisten hält. Dementsprechend fasst er sich auch sehr kurz und räumt die Bühne schon bald wieder, sodass die dezentralen Einzelgespräche (die sich in dem großen Raum zu einem Höllenlärm aufsummieren) weitergeführt werden können.

Unterdessen habe ich ein paar Promis entdeckt – Simon Singh, Martin Rees, Lewis Wolpert – sowie einige ehemalige Kolleg(inn)en vom Zentrum für Molekularbiologie in Oxford. Von den Superstars der britischen Populärwissenschaft (Richard Dawkins, David Attenborough, Patrick Moore, Susan Greenfield, Paul Davies, Stephen Hawking, Steve Jones, Steven Rose usw.) allerdings keine Spur. Vielleicht wussten die auch nicht, ob sie S oder M sind. Immerhin scheint die Verquirlung der ansonsten nicht mischbaren S- und M-Phasen einigermaßen zu funktionieren, obwohl mich ein erfahrener Partygast gewarnt hatte, dass die Wissenschaftler und die Medienvertreter gewöhnlich jeweils unter sich blieben.

Schließlich stoße ich auf eine Ansammlung von Mitarbeitern der Royal Society of Chemistry (die Chemistry in Britain herausgibt) und frage nun mei-nerseits nach Rick Stephens, um den Armen von seiner Suche zu erlösen. Einem der Umstehenden gelingt es tatsächlich, ihn aus der Menge zu fischen. Er will allerdings gar nichts Besonderes von mir, sondern nur seinen fleißigsten freien Mitarbeiter endlich einmal persönlich kennen lernen. Mission accomplished – dann kann ich mich ja beruhigt auf den Heimweg machen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2002, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.