Amphibien. Evolution, Anatomie, Physiologie, Ökologie und Verbreitung, Verhalten, Bedrohung und Gefährdung.
Naturbuch, Augsburg 1998. 264 Seiten, DM 98,–.
Auf rund 250 Seiten all das zu brin-gen, was die Untertitel versprechen, dazu noch etwas zur Fortpflanzungs- und Populationsbiologie, zur Kulturgeschichte, zur Zucht im Terrarium und über das Photographieren von Amphibien, samt einer Liste aller(!) rezenten Arten, Gattungen und Familien: Das sind eigentlich Anforderungen, wie man sie an ein Handbuch stellt. Dieses Buch will aber nicht nur die Fachleute ansprechen, sondern auch Terrarianer und Artenschützer, und dies „auf dem letzten Stand“ der Forschung. Kann ein solcher Spagat gelingen? Ich habe stichprobenartig nach einigen Begriffen zum Thema im Buch recherchiert:
• Abstammung der Amphibien: Ausführlich und gut begründet werden sie heute von den Quastenflossern abgeleitet; die in der älteren Literatur beschriebene Herkunft von Lungenfischen wird widerlegt.
• „Mallorca-Kröte“: Unter diesem Stichwort findet sich das erst ab 1979 ernsthaft erforschte Tier nicht, auch nicht als Balearenkröte. Aber bei den Geburtshelferkröten wird man fündig, wo sie als Balearen-Geburtshelferkröte unter dem Gattungsnamen Alytes aufgeführt wird, nachdem sie früher einen eigenen hatte.
• Albino der Erdkröte: Beim Einsammeln in die Eimer während einer nächtlichen Krötenwanderung fand ich ein hellgelbes Exemplar. In dem Kapitel über „Die Farben und ihre Bedeutung“ ist ein Kasten im Text eingerückt mit dem Stichwort „Albinismus“.
• Wanderung der Erdkröten zum Laichgewässer: Die bisherige Ansicht, Erdkröten suchten alljährlich ihr angestammtes Laichgewässer auf, ist nicht ganz richtig. Unter „Phänologie und Wanderungen“ sowie „Populationsbiologie“ werden neueste Ergebnisse aus England referiert, die beweisen, daß nur ganz wenige Tiere überhaupt am Laichgeschäft teilnehmen – und jedes nur einmal im Leben.
• Die Versuche von Hans Spemann an Molcheiern und von Paul Kammerer an der Geburtshelferkröte: Spemann (1869 bis 1941), der so viel für das Verständnis geleistet hat, wie aus einem Ei ein neuer vollständiger Organismus wird, und dafür 1935 als erster Zoologe überhaupt den Nobelpreis für Medizin bekam, ist nicht einmal erwähnt. Dafür werden Paul Kammerer (1880 bis 1926), dem berühmten Herpetologen und Verfechter des Lamarckismus, zwei Seiten gewidmet. Arthur Koestler (1905 bis 1983) hat ihn in seinem 1972 erschienenen Buch „Der Krötenküsser“ einfühlsam beschrieben.
• Das im Gelände oft unlösbare Problem, bestimmte „grüne und braune Frösche“ eindeutig zu bestimmen: Die neue systematische Kategorie „Klepton“, auch Taxon innerhalb der Artgruppe, macht heute die Unterscheidung möglich. Unter „Klonale Fortpflanzung bei Amphibien“ werden diese und eine Reihe weiterer faszinierender Fortpflanzungsstrategien sorgfältig beschrieben (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, April 1992, Seite 26).
Insgesamt ist das sicher kein schlechtes Ergebnis. Es ist wirklich erstaunlich, was die 39 Autoren, davon die Hälfte aus Österreich, alles zusammengetragen und beschrieben haben. Das geht nicht immer ohne Wiederholungen und Überschneidungen. Die mehrfach genannte Artenzahl rezenter Amphibien schwankt zwischen „etwa 4800“ (auf der Umschlagrückseite) und exakt 4970 (Stand Ende 1997) nach Addition der einzelnen systematischen Gruppen im Kapitel „Diversität“. Im Text dazu heißt es dann: „Heute kennen wir mehr als 5000 rezente Amphibienarten, und jedes Jahr kommen etwa 70 bis 100 neu entdeckte Arten dazu.“ Damit gibt es bereits mehr Froschlurche als Säugetiere auf der Erde, auch dies ein Hinweis auf die Bedeutung dieser vernachlässigten Tiergruppe.
Welche Bedeutung sie für den Menschen haben, in der Kulturgeschichte, der Literatur, den bildenden Künsten, in der (Volks-)Medizin, der Ernährung, in Sprichwörtern, der Werbung und auf Briefmarken, an alles wurde gedacht, wohl auch, um den Leserkreis für das Buch zu vergrößern.
Die Schreibstile der verschiedenen Autoren schwanken zwischen guter Verständlichkeit auch sehr schwieriger Sachverhalte (zum Beispiel im Kapitel „Fortpflanzung“) und Formulierungen wie: „Die Wirbel sind amphicöl, die Columella ist frei“ oder: „Der Amplexus erfolgt axillar, bei Chrysobatrachus inguinal“ (aus den Beschreibungen der einzelnen Familien). Dies wird ärgerlich, wenn die Begriffe nicht am Ort, sondern an ganz anderer Stelle erklärt werden und/oder im Register fehlen.
Der Ärger verfliegt, wenn man sich die Bilder anschaut. Über 370 farbige Photos, Zeichnungen, Computergraphiken, Strukturformeln der Gifte, Tabellen und Karten vervollständigen – im Sinne des Wortes – dieses Buch.
Vor allem die Photos zeigen Szenen, welche die meisten Leser wohl nie gesehen haben und auch kaum je sehen werden: den Laubfrosch im Sprung, die seltsamen Blindwühlen (die auch im Text etwas bevorzugt werden), das Erdkrötenpaar bei der Eiablage, die Grasfrösche während der Wanderung zum Laichgewässer beim Überqueren eines Schneefeldes, das Jungtier im Mund eines kleinen australischen Frosches, der seinen Nachwuchs im Magen ausbrütet, ein Froschpärchen bei der Eiablage ins selbsterzeugte Schaumbad, die dem Niedlichkeitsschema von Konrad Lorenz entsprechenden und damit attraktiven Rotaugenlaubfrösche des Titelbildes als Blickfang und viele andere mehr. Auch die Auswahl der Arten berücksichtigt Mitteleuropa, denn 16 der 20 deutschen sind mit einer oder mehreren Abbildungen vertreten. Leider findet man auch in diesem Buch die weit verbreitete Unsitte, jede noch so kleine Zeichnung selbstverständlich mit einer Quellenangabe zu versehen, die Namen der Photographen dagegen in einem lächerlich kleinen „Bildnachweis“ zu verstecken.
Fazit: eine gelungene Darstellung einer sonst stiefmütterlich behandelten Tiergruppe, kein Bestimmungsbuch, nicht unbedingt für Anfänger, aber ein äußerst informativer Augenschmaus.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1999, Seite 116
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben