Psychologie: Anderen das Denken überlassen
Auch nach einem halben Jahrhundert sorgt das Experiment des amerikanischen Psychologen Stanley Milgram immer wieder für Diskussionen. Milgram hatte seine Versuchspersonen glauben gemacht, sie würden in der Rolle des Lehrers an einem Experiment zum Lernen teilnehmen und hätten ihren jeweiligen "Schüler" – in Wirklichkeit ein Schauspieler – für jede falsche Antwort mit einem Elektroschock zu bestrafen. Eine deutliche Mehrheit der Versuchspersonen fand sich bereit, auf Anweisung des Versuchsleiters ihrem Opfer immer stärkere Stromstöße zu verabreichen, bis hin zu Spannungen, die als lebensgefährlich gekennzeichnet waren. Allgemein wurde das Ergebnis so interpretiert, dass so ziemlich jeder von uns bereit ist, auf Anweisung einer als überzeugend empfundenen Autorität anderen sogar extremen Schaden zuzufügen – und die damals auch gewollte Parallele zu Nazi-Mitläufern, die "nur auf Befehl gehandelt" hätten, liegt auf der Hand.
In der Originalform dürfte Milgrams Studie heute nicht wiederholt werden: Es gilt als unethisch, Menschen in eine Situation zu bringen, in der das Erschrecken darüber, zu was sie fähig sind, sie traumatisieren könnte.
Nun hat eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Patrick Haggard vom University College London unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Milgram ein Nachfolgeexperiment aufgesetzt – allerdings bis zur Unkenntlichkeit verharmlost, um den ethischen Bedenken Rechnung zu tragen. Die Forscher sprechen von Tätern und Opfern; die Versuchspersonen nahmen abwechselnd beide Rollen ein und waren sich über den Verlauf des Experiments völlig im Klaren. Das zugefügte Übel beschränkte sich jedoch darauf, dass der Täter dem Opfer einen Geldbetrag von 5 britischen Pence wegnahm oder ihm einen Elektroschock zufügte, der durch Befragen des Opfers vorher auf ein schmerzhaftes, aber erträgliches Ausmaß eingestellt worden war. ...
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