Antarktis: Der Hochrisiko-Gletscher
Am 26. Dezember 2019 stapfte Erin Pettit über eine Ebene aus gleißend weißem Schnee und Eis. Hinter sich her zog sie einen roten Plastikschlitten mit einem speziellen Radargerät, das einen Blick durch das Eis erlaubt. Der Schnee unter ihren Füßen war brüchig und knirschte wie Cornflakes – ein Zeichen dafür, dass er nach einer Reihe warmer Sommertage kürzlich geschmolzen und wieder gefroren war. Die Glaziologin untersuchte einen Teil der Antarktis, den bis ein paar Tage vorher noch kein Mensch betreten hatte. Eine Reihe roter und grüner Flaggen flatterte an Bambusstangen im Wind. Bis in weite Ferne markierten sie eine sichere Route, die frei von versteckten, tödlichen Gletscherspalten war. Oberflächlich betrachtet schien das Schelfeis des Thwaites-Gletschers intakt. Doch wäre das der Fall, dann wäre Pettit nicht hier.
Die Forscherin war auf der Suche nach Defekten im Eis, ähnlich verborgenen Rissen in einem riesigen Damm. Solche Schwachstellen entscheiden darüber, wann das Schelfeis zusammenbrechen könnte. Wenn das geschieht, fließt vermutlich der ganze Rest des westantarktischen Eisschilds, der sich dahinter befindet, direkt in den Ozean. In der Folge stiegen weltweit die Meeresspiegel, Küstenstädte auf der ganzen Welt würden versinken.
Von fern betrachtet erscheint das Schelfeis völlig flach, aber während ihres Erkundungsgangs sah Pettit, wie sich die Leitfahnen vor ihr am Horizont hoben und senkten. Sie ging also über eine unebene Oberfläche. Ein wichtiges Detail für die Glaziologin an der Oregon State University in Corvallis: Es bedeutete, dass die Unterseite des Eises hügelig sein musste. Das hatten die Fachleute nicht erwartet, denn auf Satellitenbildern sieht das Zentrum des Schelfeises stabil aus. Doch das ist es nicht, wie sie heute weiß: »Es gibt fünf oder sechs verschiedene Arten, auf die dieses Ding auseinanderfallen könnte.« …
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