Antibiotikaresistenz: eine globale Herausforderung
Immer mehr gefährliche Bakterien wappnen sich gegen Antibiotika. Schuld ist der falsche Einsatz jener segensreichen Waffen der modernen Medizin. Es gäbe jedoch Wege, diese Entwicklung umzukehren.
Was Mediziner bereits befürchtet hatten trat im letzten Jahr ein: Das Antibiotikum Vancomycin versagte gegen den Eitererreger Staphylococcus aureus. Gleich bei drei Patienten in weit auseinanderliegenden Orten reagierten die oft tödlichen Keime kaum noch auf das bisher gegen sie verläßliche Medikament. Zwar ließen sie sich bei den betroffenen Kranken dann mit anderen Wirkstoffen bezwingen, doch die Vorfälle bleiben alarmierend.
Weltweit, auch in Deutschland, sind nämlich schon viele S.-aureus-Stämme gegen alle übrigen bekannten Antibiotika resistent (Bild 1 links). Nun ist damit zu rechnen, daß in naher Zukunft Varianten auftauchen, für deren Bekämpfung keines der verfügbaren Pharmaka mehr taugt. Dann würde dieses verbreitete, beispielsweise auf der menschlichen Haut vorkommende, für geschwächte Personen aber gefährliche Bakterium unbeherrschbar. Schon jetzt verursacht es einen Großteil der berüchtigten Krankenhausinfektionen; eitrige Entzündungen vom Furunkel bis zu Komplikationen bei Operationswunden und Blutvergiftungen sowie Darm- und Atemwegserkrankungen können die Folge sein.
Die aufrüttelnde Meldung bezeichnet nur den jüngsten Schub einer Entwicklung, die das internationale Gesundheitswesen seit längerem besorgt verfolgt: Resistenzen gegen gebräuchliche Antibiotika nehmen allgemein zu. Seit diese Substanzen allenthalben zur Verfügung stehen (als erste wurde Mitte der vierziger Jahre das Penicillin aus dem Schimmelpilz Penicillium notatum großtechnisch gewonnen), haben sie die Aura von medizinischen Wunderwaffen, weil sie gegen Bakterien wirken, ohne die Zellen eines Kranken stark anzugreifen. Doch bereits seit den Anfängen der zunächst immens erfolgreichen Therapie und im Laufe
der Zeit immer mehr kamen Keime auf, die gegen eines und zunehmend sogar gegen verschiedene dieser Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen, ihre chemischen Abwandlungen oder synthetischen Pendants gefeit sind; man vermag sie mithin nur mehr äußerst schwer unter Kontrolle zu bringen (Bild 1).
Den Ernst der Situation erweist, daß bereits von wenigstens drei potentiell lebensgefährlichen Bakterienarten Stämme existieren, gegen die sämtliche in Kliniken verwandten Antibiotika – immerhin mehr als 100 verschiedene Präparate – versagen. Es handelt sich um Varianten von Enterococcus faecalis, einem an sich regulären Darmbesiedler, der mitunter Lebensmittelvergiftungen, Harnwegsinfektionen oder auch Herzentzündungen hervorruft, vom Tuberkelbacillus (Mycobacterium tuberculosis) sowie von Pseudomonas aeruginosa, einem weiteren typischen Krankenhauskeim, der etwa im Leitungswasser sowie selbst in Medikamenten und Desinfektionsmitteln vorkommt und vielfältige Infektionen einschließlich Lungenentzündung bewirken kann. Die sich häufenden Resistenzen tragen dazu bei, daß selbst in den Industrienationen zunehmend wieder Menschen an bestimmten ansteckenden Krankheiten wie eben Tuberkulose sterben, die man noch vor kurzem für weitgehend eingedämmt hielt.
Wie konnte es zu einer dermaßen heiklen und sich weiter verschärfenden Situation kommen? Ursache sind mehrere sich gegenseitig beeinflussende Vorgänge, deren Aufklärung nun allerdings auch Möglichkeiten aufzeigt, der Entwertung des chemotherapeutischen Arsenals gegenzusteuern. Ob dies allerdings geschehen wird, hängt vom einzelnen Arzt und Patienten ebenso ab wie von der Wirtschaft und der Politik. Nur wenn der Wille dazu sich in aller Welt durchsetzt, scheint eine Umkehr möglich.
Eine erste Voraussetzung dafür ist einzusehen, daß Bakterien an sich etwas Natürliches, ja Lebensnotwendiges sind. Überall auf Oberflächen – auch auf den äußeren und inneren des menschlichen Körpers, die wie Haut, Lunge und Darm Kontakt mit der Umgebung haben – wimmelt es von den einzelligen Mikroorganismen. Die meisten sind völlig harmlos. Manche schützen sogar vor Erkrankung, indem sie mit der pathogenen Minderheit konkurrieren, deren ungezügelte Vermehrung die Schutz- und Abwehrsysteme unseres Organismus überfordern würde. Diese gutartige Bakterienflora kann auch den Kampf gegen antibiotikaresistente Erreger wirksam unterstützen.
Des weiteren muß zum Allgemeingut werden, daß man mit Antibiotika empfindlich in mikrobielle ökologische Zusammenhänge eingreift. So wichtig ihr Einsatz gegen schwere bakterielle Infektionen ist – die nicht selten nachhaltigen Folgen sind stets mit zu bedenken. Nicht nur bei dem behandelten Patienten verändern sich Artengemisch und Dichte der Bakterienpopulation generell sowie das Verhältnis von empfindlichen und widerstandsfähigen Krankheitskeimen, sondern auch im Umfeld, etwa bei Kontaktpersonen. So können sich resistente Stämme (darunter solche, auf die man es im speziellen Fall gar nicht abgesehen hatte) immer weiter ausbreiten – bei der Mobilität der Menschen rasch auch in ferne Länder. Antibiotika sollten deswegen nur verabreicht werden, wenn das unbedingt notwendig ist, und schon gar nicht bei viralen Infekten, weil sie dagegen ohnehin unwirksam sind.
Die Risiko-Konstellation
Viele Faktoren begünstigen das Auftreten von Resistenz, doch zwei dürften die wichtigsten sein: die Existenz von Genen, mit denen Bakterien Proteine produzieren, die sie gegen antibiotische Effekte schützen, sowie das Ausmaß des Gebrauchs von Antibiotika.
Falls in der gesamten, auch Erreger einschließenden Bakterienflora eines Kollektivs von Menschen keine solchen Gene gegen ein bestimmtes Antibiotikum vorhanden sind, läßt sich damit jegliche empfindliche infektiöse Spezies bekämpfen. Doch wenn darin irgendwo solche Gene existieren und der Wirkstoff fortgesetzt zum Einsatz kommt, dann werden dagegen unempfindliche Krankheitskeime auftreten und sich vermehren.
Widerstandsfähige pathogene Stämme sind durchaus nicht virulenter und aggressiver als empfindliche derselben Art – jeweils gleiche Mengen von Keimen lassen die Krankheit ausbrechen. Es kommt einem nur deswegen anders vor, weil schon schwach geschützte Erreger eine höhere Dosis des Medikaments und hochresistente einen Wechsel des Antibiotikums oder gar – wenn keine weiteren gegen diesen Erreger verfügbar sind – eine andere Therapie erfordern.
Wie wirken Antibiotika überhaupt, und wie können Bakterien sich gegen sie wehren? Unter Antibiose verstehen die Biologen im weiteren Sinne die Beziehung zweier Arten, die – im Gegensatz zur Symbiose – dem einen Partner zum Nachteil gereicht. Den Begriff Antibiotika prägte erst 1941 der aus der Ukraine stammende amerikanische Mikrobiologe Selman Waksman (1888 bis 1973; Nobelpreis 1952) und meinte damit Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen, die in geringer Konzentration das Wachstum anderer hemmen oder sie abtöten. Waksman hatte nach der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming (1881 bis 1955) sowie dessen Isolierung durch Ernst Boris Chain (1906 bis 1979) und Howard Florey (1898 bis 1968) – alle drei erhielten 1945 den Nobelpreis – die systematische Suche nach weiteren derartigen natürlichen Wirkstoffen vorangetrieben und fand selber 1943 das gegen Tuberkulose hilfreiche Streptomycin und später unter anderem das gut lokal anwendbare Neomycin.
Die meisten heute im medizinischen Bereich eingesetzten Präparate sind allerdings chemisch verändert, um ihre Verträglichkeit und Wirksamkeit zu steigern oder um mehr Bakterienarten damit angreifen zu können. Ich verwende den Begriff hier noch umfassender, indem ich auch rein synthetische Produkte ohne natürliches Vorbild wie die Sulfonamide oder die Chinolone einbeziehe, also sämtliche direkt gegen Bakterien wirksamen Medikamente. (Sie alle zählen zu den antimikrobiellen Wirkstoffen, unter die auch etwa Desinfektions- und Konservierungsmittel fallen; siehe Kasten auf Seite 40.)
Entscheidend ist letztlich, daß all diese Substanzen dank Hemmung des Bakterienwachstums der Immunabwehr eines Wirtes ermöglichen, mit den verbliebenen Keimen fertig zu werden. Typischerweise gelangen sie ins Innere der Mikroben und unterbinden die Herstellung von Komponenten für neue Zellen. Tetracyclin etwa verhindert eine Proteinsynthese, indem es sich an die Ribosomen heftet, jene Organellen, mit deren Hilfe die Proteinbausteine zusammengefügt werden (Bild 7); Penicillin und Vancomycin wiederum beeinträchtigen die Synthese der bakteriellen Zellwand.
Resistenzgene unterbinden nun mittels ihrer Produkte ihrerseits eben solche medikamentösen Störungen. Manche der von ihnen codierten Proteine bauen Antibiotika enzymatisch ab oder inaktivieren sie (Bild 2 b und c). Andere veranlassen, daß jene Zielmoleküle verändert oder durch andere ersetzt werden, an die der Wirkstoff sich anzuheften pflegt. In wieder anderen Fällen werden Eintrittspforten für den Fremdstoff getilgt oder – was noch besser wirkt – Pumpen ausgebildet, die ihn sogleich wieder hinausbefördern (Bild
2 a und Bild 7 links).
Entstehung und Verbreitung von Resistenzen
Doch wie kommen Bakterien zu solchen Genen? Oft erben sie diese nur von Vorläuferzellen. Neue Resistenzen entstehen durch spontane oder von äußeren Einflüssen induzierte Mutationen, die bei ihnen ohnehin häufig auftreten; dadurch kann auch eine gewisse schon vorhandene Widerstandsfähigkeit stärker werden.
Hinzu kommt aber, daß die Mikroben häufig Resistenzgene aus ihrer Nachbarschaft erhalten (Bild 3). Das mag verblüffen, doch Austausch von Genmaterial ist in der Welt der Bakterien so gang und gäbe, daß man sie sich in ihrer Gesamtheit als einen einzigen riesigen Organismus denken kann, dessen Zellen untereinander mit Leichtigkeit Erbgut austauschen.
Für die Übertragung von Resistenzen haben sich bei den Bakterien mehrere Möglichkeiten entwickelt (siehe auch Spektrum der Wissenschaft, März 1998, Seite 50). Gewöhnlich befinden sich entsprechende Gene auf Plasmiden, kleinen Ringen zusätzlichen Erbmaterials aus doppelsträngiger DNA für Gene, die unter verschiedenen widrigen Verhältnissen zum Überleben nützlich sein können. Doch können solche Merkmale auch auf dem bakteriellen Chromosom liegen, einem viel größeren DNA-Ring mit den Genen, die etwa für normale Stoffwechselprozesse und zur Fortpflanzung benötigt werden. Vielfach wird einfach ein Plasmid als Spende von einer Zelle zur anderen weitergegeben (Bild 3 a). In anderen Fällen übertragen auch Viren solch ein Gen, die hin und wieder versehentlich von einer Wirtszelle Erbsubstanz übernehmen und später einer anderen injizieren (Bild 3 b). Gelegentlich kommt es zudem vor, daß Bakterien sich freigewordenes Erbmaterial von toten, zerfallenden Mikroben einverleiben (Bild 3 c).
Beim zweiten und dritten Mechanismus muß das aufgenommene Gen, um fortzubestehen und zu wirken, fest in ein Plasmid oder das bakterielle Chromosom integriert werden. Dies geschieht tatsächlich häufig, weil Resistenzgene oft in Transposons eingebaut sind: kleine DNA-Einheiten, die dazu neigen, auf andere Erbmoleküle zu springen, und sich dort leicht einfügen. Überdies spielen im Falle der Antibiotikaresistenz spezialisierte Transposons mit, die neue Gene geradezu gierig einzufangen scheinen und dann beim Wechsel auf ein anderes Plasmid mit sich tragen. Diese Elemente, die in vielen Bakterien vorkommen, wurden sehr passend Integrons genannt. Wenn eines schon mehrere Resistenzgene aufgeschnappt hat, ist es für ein Bakterium eine vielseitige Abwehrwaffe.
Nun besaßen viele Bakterien schon vor der Ära der Antibiotika Resistenzgene. Den Grund dafür kennt man nicht genau. Doch ist eine Evolutionskette vorstellbar, in der infolge einer rein zufälligen Mutation Individuen irgendeiner Art einen neuen Stoff bildeten und abgaben, der sich als giftig erwies. Nachdem Konkurrenten daran zugrunde gingen, hatten die Produzenten einen Vorteil, sofern sie sich selbst gegen die Substanz zu schützen vermochten, also wiederum zufällig über entsprechende Gene verfügten. Später gelangten, so die Vorstellung, diese Erbanlagen in andere Arten – unter anderem in pathogene Erreger.
Selektion auf Resistenz
Auf welche Weise auch immer Bakterien heutzutage Resistenzen erwerben – der vielfältige, geradezu massive Einsatz von Antibiotika fördert geradezu Überleben, Vermehrung und Verbreitung unempfindlicher Stämme. Vertrackterweise büßen im Gegenzug die heilsamen Substanzen an Wirkung ein.
Diese Selektion geschieht ziemlich direkt (Bild 5). Werden Bakterien einem solchen Medikament ausgesetzt, gehen die hochempfindlichen unter ihnen bald zugrunde. Doch solche Zellen, die bereits eine gewisse Widerstandskraft haben, wie auch welche, die sie erst durch Mutation oder Genaustausch erwerben, können die Attacke überstehen – vor allem wenn eine zu geringe Dosis verabreicht wird, die nicht alle vorhandenen Keime sofort vernichtet. Die Überlebenden, die kaum mehr Konkurrenten haben, vermehren sich nun erst recht. In einer Folge immer neuer ineffektiver Konfrontationen mit dem Gift werden schließlich diejenigen obsiegen, die am besten dagegen gerüstet sind.
Ein weiterer kontraproduktiver Effekt ist, daß mit den bekämpften Pathogenen unvermeidlich auch harmlose Bakterien eingehen. Zum einen wird dadurch das Feld noch stärker geräumt, auf dem sich widerstandsfähige gefährliche Erreger vermehren können; zum anderen überleben von den nur nebenbei dezimierten Arten ebenfalls gefeite Varianten, die sich dann ausbreiten. Damit züchtet man geradezu ein Reservoir von Populationen mit Resistenzmerkmalen, aus dem sich hinzukommende Krankheitserreger bedienen können. Zudem vermögen normalerweise harmlose Bakterien, die stark wuchern, durchaus manchmal Krankheiten zu verursachen.
Beispielsweise hat der häufige Einsatz von Cephalosporinen die Vermehrung des schon erwähnten Enterococcus faecalis begünstigt, denn die Spezies ist von Natur aus gegen diese Substanzen geschützt. Das Immunsystem gesunder Menschen hält zwar auch multiresisten-te Stämme dieses Darmbakteriums in Schach und verhindert ihre Ausbreitung; doch geschwächte Personen können lebensgefährlich erkranken, falls innere Organe oder Teile wie die Herzklappen befallen und angegriffen werden.
Eben diese einst gutartigen Bakterien sind infolge des langjährigen Gebrauchs von Vancomycin inzwischen ein gefährliches Sammelbecken für Resistenzen gegen das Antibiotikum geworden, das die Mediziner eigentlich dafür in Reserve halten sollten, daß andere versagen. Die Gefahr, daß solche Eigenschaften an andere Mikroben weitergehen ist sehr groß – man denke nur an die eingangs angeführten Beispiele von kaum beherrschbaren Infektionen mit Staphylococcus aureus: Dessen zahlreiche vielfachresistente Stämme könnten bald von den Darmbakterien auch völlige Unempfindlichkeit gegen Vancomycin übernehmen, so daß die letzte den Ärzten verbliebene Waffe stumpf wäre.
Ähnlich wie im Falle von E. faecalis stellten sich die höchst unerwünschten Streueffekte von Antibiotika auch bei Acinetobacter und Xanthomonas ein – Bakterien, die so harmlos waren, daß sie kaum beachtet wurden. Vor fünf Jahren aber tauchten plötzlich in Kliniken multiresistente Stämme auf, die bei Kranken lebensgefährliche Blutvergiftungen hervorrufen können.
Ansteckungswege
Wie bereits kurz erwähnt, verschiebt sich durch Antibiotika das Verhältnis von resistenten zu angreifbaren Bakterien nicht nur bei den behandelten Patienten, sondern auch in ihrem Umkreis. Nicht anders als gewöhnliche Mikroorganismen verbreiten sich resistente Stämme und gehen dabei eben auch auf andere Menschen über. Aufschlußreich war beispielsweise eine Studie an Familien: Wandte ein Jugendlicher gegen Akne regelmäßig eine Antibiotika-Tinktur an, fanden sich auf der Haut aller Angehörigen im Haushalt mehr resistente Bakterien. Da wundert es nicht, daß gerade in Einrichtungen mit starkem Antibiotika-Gebrauch und vielen Übertragungsmöglichkeiten wie Krankenhäusern und Tagespflegestätten unempfindliche Keime besonders gedeihen und verbreitet werden – nicht nur zwischen Menschen, die sich dort länger aufhalten, sondern auch auf gelegentliche Besucher und Bewohner der Nachbarschaft sowie auf andere Lebewesen. Auf die Gefahren der Antibiotika-Mast von Vieh gehe ich noch eigens ein.
Deshalb fasse ich sämtliche antimikrobiellen Wirkstoffe einschließlich solcher wie beispielsweise Pilzmittel, die ebenfalls Bakterienpopulationen beeinträchtigen, als eine Klasse zusammen, die man gesellschaftliche Medikamente nennen könnte: Es sind die einzigen Pharmaka, deren Wirkung – wenn auch unabsichtlich – von den damit behandelten Patienten aus um sich greift und gewissermaßen öffentlich wird.
In manchen Fällen haben sich resistente Stämme erschreckend weit ausgebreitet – teilweise bereits über die ganze Erde. Zum Beispiel sind durch den noch immer zunehmenden internationalen Reiseverkehr vielfachresistente Tuberkelstämme schneller als erwartet von anderen Kontinenten in die Vereinigten Staaten eingeschleppt worden. Nachgewiesen ist auch die Verbreitung eines multiresistenten Streptococcus-pneumoniae-Stammes von Spanien aus nicht nur in verschiedene Länder Europas, sondern auch nach Nordamerika, Mexiko und Südafrika (Bild 4). Diese Bakterien, die man auch als Pneumokokken bezeichnet, verursachen unter anderem Lungen- und Hirnhautentzündungen.
Überflüssiger und falscher Gebrauch
Zu der vertrackten Situation hat sicherlich der übermäßige und unsinnige Einsatz von Antibiotika wesentlich beigetragen. Mitte der fünfziger Jahre wurden davon in den USA rund eine Million Kilo produziert; heute ist es die 25fache Menge. Davon werden etwa 50 Prozent in der Humanmedizin verwendet. Man schätzt aber, daß hiervon allenfalls die Hälfte angemessen verordnet wird: also gegen bakterielle Infekte und in einer Dosierung, die der Selektion von Resistenzen nicht unnötig Vorschub leistet.
Nur zu oft geben Ärzte Patienten nach, die wegen Erkältungen oder anderen Virusinfekten nach Antibiotika verlangen. Das dürfte in den USA nach einer Schätzung der amerikanischen Zentren für Krankheitsvorsorge und -kontrolle bei jeder dritten Verschreibung in der ambulanten Behandlung der Fall sein, was sich auf jährlich ungefähr 50 Millionen Rezepte summiert. In einem von mir geleiteten Seminar gaben mehr als 80 Prozent der teilnehmenden Ärzte zu, sie hätten sich wider besseres Wissen zur Verordnung von Antibiotika überreden lassen.
Auch wenn solche Präparate in den Industrieländern in der Regel verschreibungspflichtig sind, ist keineswegs ihr korrekter Gebrauch gesichert. Häufig hören Patienten zu früh mit der Einnahme auf und geben die Restpackung später nach Gutdünken Familienmitgliedern oder Bekannten. Die meisten medizinischen Laien machen sich nicht klar, daß man mit zu geringer Dosierung oder zu kurzer Einnahmefrist die Pathogene nicht völlig ausrottet und den Nebeneffekt stärker resistenter Stämme riskiert, die um so schwerer zu therapierende Infektionen verursachen können.
Noch fahrlässiger ist der Umgang mit Antibiotika in den Entwicklungsländern. Etliche Präparate erhält man dort frei, und entsprechend beliebig und unkontrolliert werden sie genommen. Das bedingt oft kritische Situationen, weil resistent gewordene Erreger auf die sonstigen in solchen Ländern vorhandenen und vor allem dort erschwinglichen Mittel nicht mehr ansprechen.
In der Tierhaltung und Landwirtschaft benutzt man vielfach die gleichen oder sehr ähnlich wirkende Antibiotika wie in der Humanmedizin. Das ist ein so bedenkliches Verfahren, daß manche Länder dem bereits durch Verordnungen gegenzusteuern suchen. Mehr als 40 Prozent der Gesamtproduktion in den USA bekommt das Vieh: Nur ein geringerer Teil davon wird zur Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten gebraucht; die Hauptmasse wird – in geringen Mengen, dafür über Wochen oder Monate – dem Futter zugesetzt, weil die Tiere dabei besser zu gedeihen und die Nahrung gründlicher zu verwerten scheinen.
Wodurch ihr Wachstum beschleunigt wird ist nicht recht klar; vielleicht verhütet die Antibiotika-Mast leichte Infekte. Sicher ist aber, daß so gering dosierte Gaben wirklich gefährliche Erregerpopulationen nicht ausmerzen, jedoch – hauptsächlich wegen der langzeitigen Verfütterung – geradezu ideale Bedingungen für die Entwicklung diverser resistenter Mikroben bieten. Die können wiederum auf das landwirtschaftliche Personal übergehen, das sie weiterträgt. Gefährdet ist auch jeder, der mit den Schlachttieren zu tun hat, ihr Fleisch zubereitet oder es halbgar ißt. Rückstände von Antibiotika im Fleisch können direkt die Resistenzbildung bei Bakterien in Gang setzen, die den Menschen besiedeln; deshalb ist die Verwendung solcher Mittel in der Mast in Deutschland gesetzlich eingeschränkt; unter anderem soll zwischen der letzten Gabe und dem Schlachten eine Karenzzeit eingehalten werden.
Obstplantagen sind ein weiteres Anwendungsgebiet. Bei hoher Dosierung der Antibiotika, zur Prophylaxe oder als Bekämpfungsmaßnahme in Spritzmitteln eingesetzt, mögen die Bäume direkt nach dem Besprühen durchaus bakterienfrei sein. Bleiben indes Reste auf der Pflanze, kann dies die spätere Ansiedlung resistenter Keime begünstigen, die eventuell auch auf die Früchte und so zum Verbraucher gelangen. Außerdem trägt die Luft solche Aerosole über beträchtliche Entfernungen zu anderen Kulturen, wo sie zwar bereits zu gering konzentriert sind, um irgendwelche Infektionen auszumerzen, aber immer noch anfällige Bakterien abtöten und damit unempfindliche selektieren.
Die Menge resistenter Bakterien im menschlichen Verdauungstrakt, die aus der Nahrung stammen, sollte man auf keinen Fall unterschätzen. Denis E. Corpet vom französischen Nationalen Institut für Landwirtschaftsforschung in Toulouse hat in einem Experiment mit Freiwilligen nachgewiesen, daß ihre Zahl im Stuhl bei einer keimfreien Diät auf ein Tausendstel zurückging (siehe auch “Antibiotikaresistenz”, von Antoine Adremont, Denis Corpet und Patrice Courvalin, Spektrum der Wissenschaft, Juli 1997, Seite 50). Offenbar vertilgen wir mittlerweile mit Obst, Rohkost und leicht angegarter Nahrung eine nicht unbeträchtliche Portion solcher Mikroben. Zwar sind es gewöhnlich harmlose Arten; doch das Risiko besteht, daß einmal eben doch resistente Krankheitserreger dabei sind.
Die Entwicklung, so dramatisch sie auch ist, gebietet sicherlich nicht, daß man auf Antibiotika praktisch gänzlich verzichten sollte. Dazu sind sie bei bestimmten Infektionskrankheiten zu wertvoll. Unbedingt darauf zu achten aber ist, daß diese Pharmaka schlagkräftig bleiben. Sofern man mit ihrem sorgsamen Einsatz Leben rettet, wird die Allgemeinheit eine gewisse Zunahme resistenter Stämme hinnehmen müssen; nicht hinnehmen darf sie dies infolge nicht wirklich gebotener oder gar fahrlässiger Verwendungen.
Mit vielen Gegenmaßnahmen ließe sich sogleich beginnen. Als erstes sollte man den routinemäßigen Antibiotika-Einsatz in der Landwirtschaft abbauen, indem man nach preiswerten Alternativen für die Viehmast und den Schutz gegen schädliche Bakterien im Obstbau sucht. Allein mit besserer Hygiene ist in der Tierhaltung schon viel zu erreichen, wie sich etwa in Schweden erwiesen hat, wo Antibiotika als Masthilfe seit mehr als zehn Jahren verboten sind.
Jedermann sollte frisches Obst und Gemüse immer gründlich waschen, damit er weder resistente Bakterien noch eventuelle Antibiotika-Rückstände aufnimmt. Ärztliche Verordnungen von Antibiotika sind unbedingt strikt zu befolgen. Auf keinen Fall darf man nach eigenem Ermessen vorzeitig mit einer Therapie aufhören, weil man sich schon gesund fühlt, denn dann ist noch nicht gewährleistet, daß alle Erreger eliminiert sind. Schon gar nicht darf man restliche Medikamente irgendwann eigenmächtig einnehmen. Viel wäre gewonnen, wenn Patienten endlich einsähen, daß bei Erkältungen und anderen Virusinfekten mit Antibiotika nichts auszurichten ist und daß sie bei banalen bakteriellen Erkrankungen oder leichter Akne besser zu anderen Mitteln greifen. Auf kleine Wunden mag man weiterhin antibiotikahaltige Tinkturen auftragen, doch ansonsten sollte man im normalen Alltag auf antimikrobielle Spezialprodukte verzichten, sei es zum Händesäubern, zur Körperpflege oder als Reinigungsmittel (siehe Kasten auf Seite 40).
Viel können Ärzte in Allgemeinpraxen und Krankenhäusern tun. Wenn irgend möglich, sollten sie Pathogene vor Beginn einer Therapie zu identifizieren suchen und dann ein spezifisch wirkendes Antibiotikum verordnen statt eines Breitband-Präparats. Manche Kliniken isolieren bereits Patienten, die mit einem multiresistenten Erreger infiziert sind, und lassen das Personal wie auch Besucher Kittel und Handschuhe tragen. Selbstverständlich sein sollte etwa auch das Händewaschen, auch des Personals, nach jedem Patienten.
Wünschenswert wären fraglos weitere, neue Antibiotika, so daß die Mediziner mehr Möglichkeiten für eine gezielte Behandlung der unterschiedlichen bakteriellen Infekte hätten. In den achtziger Jahren wurde die Suche danach jedoch stark eingeschränkt, weil man den Sieg über die Infektionskrankheiten nahe wähnte und das vorhandene Arsenal für völlig ausreichend hielt: Wenn eine Substanz versagte, half in der Regel eine andere – zumindest in den wohlversorgten reichen Industrieländern.
Mittlerweile sucht man wieder intensiver nach neuartigen Antibiotika. Allerdings werden in näherer Zukunft nur wenige neu entwickelte Präparate auf den Markt kommen. Überdies sind jene, welche die langwierigen Prüf- und Zulassungsverfahren bald passieren dürften, vorhandenen Antibiotika strukturell ähnlich. Deswegen gibt es wahrscheinlich bereits Stämme von Bakterien, die auch gegen sie nur noch wenig empfindlich oder sogar resistent sind.
Eine weitere Strategie ist, den eingeführten Antibiotika wieder zu ihrer früheren Schlagkraft zu verhelfen. Beispielsweise schützen sich viele Bakterien gegen Penicillin und seine Abkömmlinge mit dem Enzym Penicillinase, das diese Substanzen abbaut. Ein Mittel mit einem Hemmstoff gegen das Protein ist bereits erhältlich. In meinem Laboratorium entwickeln wir derzeit eine Verbindung, die eine bestimmte molekulare Pumpe in der Bakterienmembran blockieren soll, mit der die Zellen Tetracyclin hinausbefördern (Bild 7).
Ökologischer Ansatz
So begrüßenswert die pharmazeutischen Bemühungen sind – am besten wäre es, den Trend zu Resistenz umzukehren. Dazu müssen sich jedoch alle Betroffenen und Beteiligten mit einer neuen Sichtart der Wirkweise von Antibiotika vertraut machen.
Daß mit jeder Gabe eines solchen Medikaments der Anteil resistenter Bakterien in der Gesamtflora zunimmt, oft außer bei dem Patienten auch bei Menschen in seinem Umfeld, ist zwar fatal. Günstig dabei ist aber noch, daß diese Stämme zwar nach Ende der Behandlung noch einige Zeit überdauern, jedoch in der Konkurrenz mit empfindlichen in einem antibiotikafreien Milieu geringfügig unterlegen sind: Sie zahlen sozusagen für ihre Resistenz, indem sie kostbare Energie für den Abwehrmechanismus abzweigen. Um dieses Quentchen sind wehrlose Varianten der Flora, die einige Zeit nach Absetzen des Präparats auf den Behandelten übergehen oder in geringer Zahl überlebt haben, im Vorteil und können durch etwas stärkere Vermehrung Vorherrschaft gewinnen. Diese Hauptursache für das Verschwinden von Resistenzen sollte man sich gezielt zunutze machen, indem man die Flora antibiotika-anfälliger Mikroben im Organismus und in der Umgebung von Patienten nach der Therapie sich erholen läßt, statt ihre sämtlichen Reservoire zu vernichten.
Ideal wäre es, den Grad von Resistenz sowohl bei infektiösen wie bei harmlosen Bakterien in einer Population zu kennen. Im Falle einer Erkrankung könnte man dann ein Antibiotikum wählen, gegen das beide Gruppen nur gering geschützt sind. Zudem ließe sich genau abpassen, wann die Infektion besiegt ist, und mit der Medikation aufhören, bevor auch die letzten harmlosen Bakterien im Körper des Patienten vernichtet sind.
Des weiteren wäre zu erfassen, wie viele Personen im Kontaktkreis gleichfalls ein bestimmtes Antibiotikum erhalten. Wird es beispielsweise vielen Patienten derselben Krankenhaus-Station gegeben (statt die gleiche Gesamtmenge einem), wäre eine ausgeprägte Selektion auf resistente Bakterienstämme die Folge, weil auch die empfindlichen dezimiert oder ausgerottet würden. Der Effekt auf das mikrobielle Ökosystem der Station wäre bei einem Einsatz verschiedenartiger Präparate günstiger.
Ärzte sollten also nicht nur darauf abzielen, jeweils die einzelne Infektion wirksam zu behandeln; vielmehr müßte in ihrem gesamten Patientenkollektiv der Gebrauch von gleichartigen Antibiotika stets unter jenen Schwellenwerten bleiben, bei denen resistente Stämme bereits gut gedeihen beziehungsweise empfindliche, die eigentlich deren Konkurrenten sein sollten, massenhaft vernichtet werden. So könnte sich die ursprüngliche harmlose Mikroflora jedes Patienten und seines Umfeldes nach Ende der Behandlung schnell wieder aufbauen.
Die Schwierigkeit dabei ist allerdings, daß bisher niemand weiß, wie man solch einen Grenzwert herausfinden könnte – abgesehen davon, daß in den meisten Fällen genaue Zahlen über die Zusammensetzung der Bakterienpopulationen gar nicht vorhanden sind. Mit einiger Kraftanstrengung sollten Wissenschaftler beides aber lösen können.
Was andererseits die Beherrschung des Antibiotika-Problems auf internationaler Ebene betrifft, bedarf es der weltweiten Kooperation zwischen den Ländern, sowie gemeinsamer Anstrengungen, um die Menschen über die Folgen unsachgemäßen Verhaltens aufzuklären und zu schulen. Schritte in diese Richtung gibt es mittlerweile. Verschiedene Gruppen versuchen jetzt, das Auftauchen resistenter Bakterienstämme zu verfolgen. So registriert die internationale Vereinigung für den sorgsamen Umgang mit Antibiotika (Alliance for Prudent Use of Antibiotics; Postadresse in den USA: P.O. Box 1372, Boston, MA 02117) schon seit 1981 weltweit solche Daten, die sie mit Mitgliedern in mehr als 90 Ländern austauscht. Sie erstellt außerdem Aufklärungsbroschüren für die Öffentlichkeit und für Beschäftigte im Gesundheitswesen.
Für unsere globale Gemeinschaft ist es an der Zeit, daß sie Bakterien als normale und in der Regel nützliche Mitbewohner hinnimmt, statt zu versuchen, sie auszumerzen – außer wenn sie Krankheit auslösen. Erforderlich ist ein neues Bewußtsein für die weitgefächerten Fol- gen des Antibiotika-Einsatzes. Nur dann wird sich eine Umkehr der bedrohlichen Resistenz-Entwicklung erzwingen lassen. Im Blickfeld steht dann neben der Therapie der aktuellen bakteriellen Erkrankung der langfristige Erhalt der Mikrobengesellschaften. Es gilt, nichtresistente Keime so weit zu schonen, daß sie resistente Stämme zurückzudrängen vermögen. Ähnliche Konzepte sind für die medikamentöse Bekämpfung von Parasiten, Pilzen und Viren wünschenswert. Seit der Einsatz auch solcher Wirkstoffe in letzter Zeit geradezu dramatisch zu steigen beginnt, verschärft sich ebenfalls bei diesen Pathogenen das Resistenz-problem.
Literaturhinweise
The Antibiotic Paradox: How Miracle Drugs Are Destroying the Miracle. Herausgegeben von S. B. Levy. Plenum Publishers, 1992.
Drug Resistance: The New Apocalypse. Sonderheft zu: Trends in Microbiology, Band 2, Heft 10, Seiten 341 bis 425, 1. Oktober 1994.
Antibiotic Resistance: Origins, Evolution, Selection and Spread. Herausgegeben von D. J. Chadwick und J. Goode. Verlag John Wiley & Sons, 1997.
Medical Consequences of Antibiotic Use in Agriculture. Von Wolfgang Witte in: Science, Band 279, Seiten 996 bis 997, 13. Februar 1998.
Containment of Antibiotic Resist-ance. Von Rosamund J. Williams und David L. Heymann in: Science, Band 279, Seiten 1153 bis 1154, 20. Februar 1998.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1998, Seite 34
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