Antikörper - Pflanzensamen als Fabrik und Speicher
Monoklonale, gewissermaßen reingezüchtete Antikörper sind ein hochgeschätztes Werkzeug in Forschung und Medizin. Als ihre Lieferanten dienen spezielle tierische Hybridzellen, die in Kulturfermentern weitervermehrt werden müssen.
Pflanzen wären in mancher Hinsicht geeignetere Produzenten; sie lassen sich im allgemeinen preiswert im großen Maßstab anbauen und vermehren. Anders als die verwendeten tierischen Zellen stellen sie aber nicht von Natur aus Antikörper her. Das ist freilich kein grundsätzliches Hindernis mehr – dank der Gentechnik.
Geerntete grüne Pflanzenteile müssen allerdings gewöhnlich gekühlt oder die gewünschten Fremdproteine zum Erhalt sofort daraus isoliert werden. Samen als natürliche Speicherorgane bewahren hingegen ihre eigenen Proteine über lange Zeit, ohne daß ein Abbau einträte. Sie nun gezielt zu Antikörper-Fabriken umzufunktionieren gelang Ulrike Fiedler und Udo Conrad vom Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben ("Bio/Technology", Band 13, Seiten 1090 bis 1093). Die Samen ihrer genmanipulierten Tabakpflanzen hatten selbst nach einem Jahr Lagerung bei Raumtemperatur nicht merklich an Fremdprotein eingebüßt, und es war auch weiterhin voll aktiv.
Bei dem Eiweißmolekül handelt es sich jedoch nicht um einen kompletten Antikörper, sondern praktisch nur um einen einzelnen Bindungsarm, was für bestimmte Anwendungszwecke aber reichen würde. Jeder der beiden Arme eines gewöhnlichen Y-förmigen Antikörpers setzt sich aus den sogenannten variablen Abschnitten zweier verschieden langer Aminosäureketten zusammen, die umeinandergefaltet sind und von verschiedenen Genen codiert werden. Die den Tabakzellen eingeschleuste genetische Konstruktion war deshalb ein raffiniertes Puzzle verschiedener Teile. Als Hauptelement enthielt sie den Genabschnitt für die variable Region der einen Kette und – verbunden über ein künstlich hergestelltes Stück Erbsubstanz – dann den für die entsprechende der anderen. Dieses Kupplungsstück war so konzipiert, daß es für eine ziemlich einförmige Sequenz kleiner Aminosäuren codierte, die im kompletten Protein das Zusammenlagern und Umeinanderfalten der normalerweise auf getrennten Ketten liegenden Regionen nicht behinderte. Vorgespannt war dem Ganzen ein genetisches Steuerelement aus der Saubohne, das auch in Tabakpflanzen (die aus den genmanipulierten Zellen dann regeneriert wurden) für ein alleiniges Ausprägen in den Samen sorgte.
Inzwischen haben die Wissenschaftler mit geeigneten Steuerelementen solche Antikörperarme auch in Kartoffelknollen (die wohlgemerkt keine Samen sind) erzeugt. Über die Dauer der Lagerfähigkeit läßt sich noch nichts sagen. Ferner wurde mittlerweile die Ausbeute verbessert – auf knapp zwei Prozent des Gehalts an löslichen Proteinen. Vielleicht kommt eines Tages eine passive orale Immunisierung quasi vom Acker auf den Tisch.
Die Technik läßt sich auch nutzen, um in Pflanzen die Wirkung eines eigenen Produkts experimentell zu unterbinden. Die Wissenschaftler haben dies im Falle der Abcisinsäure erprobt, deren Gehalt bei Wassermangel steigt und die Spaltöffnungen der Blätter zum Schließen bringt; dadurch verdunstet weniger Flüssigkeit. Bei Pflanzen, die Antikörperarme gegen ihre Abcisinsäure herstellen, werden die Blätter bei Trockenheit hingegen sofort schlaff ("Plant Journal", Band 8, Heft 5, Seiten 745 bis 750). Man hat hier quasi eine Anti-Sense-Technik auf Proteinbasis (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1995, Seite 28).
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1996, Seite 20
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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