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Antipsychiatrie: Störung im System

In den 1970er und 80er Jahren wehrten sich Aktivisten gegen die Zustände in Psychiatrien, stellten aber auch die gängige Sicht auf psychische Störungen in Frage. Was ist von der Bewegung geblieben?
Antipsychiatrie-Aktivisten erinnerten am 2. Mai 2017  in Berlin an die systematische Ermordung von Patienten während des Nationalsozialismus – und beschuldigten heutige Psychiater, nach wie vor mit Zwang und Gewalt zu behandeln.

Was passiert eigentlich, wenn ein psychisch gesunder Mensch in einer psychiatrischen Anstalt landet? Um diese Frage zu beantworten, unternahm der US-amerikanische Psychologe David Rosenhan (1929-2012) im Jahr 1969 einen kühnen Selbstversuch: Er und sieben andere völlig gesunde Testpersonen, viele von ihnen ebenfalls in einem klinischen Beruf tätig, stellten sich in psychiatrischen Krankenhäusern vor. Die Scheinpatienten berichteten von Stimmen in ihrem Kopf, die wahlweise "leer", "hohl" oder auch "plumps" sagten. Abgesehen davon blieben Rosenhan und seine Mitstreiter jedoch größtenteils bei der Wahrheit. Sie wurden allesamt stationär aufgenommen und teils über viele Wochen hinweg behandelt, obwohl sie seit der Einweisung stets angaben, die Symptome seien wie weggeblasen. Insgesamt bekamen die acht Simulanten knapp 2100 Tabletten verschrieben. Während die Mitpatienten die Täuschungen oft schnell durchschauten, blieben die Ärzte bis zuletzt ahnungslos. Rosenhans Schlussfolgerung: Psychiater könnten keine validen Verfahren vorweisen, um psychische Erkrankungen zu diagnostizieren – alles fauler Zauber also?

Als er sein Experiment 1973 in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlichte, war die Aufregung groß. Zwar wiesen viele von Rosenhans Fachkollegen die Studie als wenig aussagekräftig zurück, schließlich würden auch andere medizinische Fachdisziplinen bei gezielter Täuschung versagen. Dennoch stieß sie eine lebhafte Debatte über den Sinn der Anstaltspsychiatrie an: Nach welchen Kriterien teilen Kliniker ihre Patienten in "gesund" und "gestört" ein? Ist der wochenlange Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus wirklich eine sinnvolle Therapiemethode? Und dürfen Ärzte ihre Patienten auch gegen deren Willen mit nebenwirkungsreichen Tabletten behandeln? ...

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  • Quellen

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Deutscher Bundestag: Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland. In: Bundesarchiv, Drucksache 7, 4200, 1975

Payk, T. R.: Antipsychiatrie - eine vorläufige Bilanz. In: Fortschritte der Neurologie · Psychiatrie 72, S. 516-522, 2004

Goddemeier, C.: Eine Institution steht am Pranger. In: Deutsches Ärzteblatt 12, S. 502-504, 2014

Goddemeier, C.: Geschichte der Psychiatrie: Wahnsinn ist keine Krankheit. Deutsches Arzteblatt 108, S. A1734-A1736, 2011

Hansen, J. B.: Does Film Keep Anti-psychiatry Alive? Aesthetic Knowledge of Mental Illness and Institutions. In: Res Rhetorica 10.17380/rr2015.4.3, 2015

Jachertz, N.: Sozialpsychiatrie in der DDR: Die unvollendete Reform. Deutsches Ärzteblatt 110, A1732-A1733, 2013

Nasser, M.: The Rise and Fall of Anti-Psychiatry. In: The Psychiatrist 19, 743-746, 1995

Pross, C.: Wir wollten ins Verderben rennen. Die Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs Heidelberg 1970-1971. Psychiatrie-Verlag, Köln 2016

Rosenhan, D. L.: On Being Sane in Insane Places. In: Science 179, S. 250-258, 1973

Statistisches Bundesamt: Strafvollzugsstatistik. Im psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt aufgrund strafrichterlicher Anordnung Untergebrachte (Maßregelvollzug). Wiesbaden 2015

Szasz, T. S.: The Myth of Mental Illness. In: American Psychologist 15, S. 113-118, 1960

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