Antipsychiatrie: Störung im System
Was passiert eigentlich, wenn ein psychisch gesunder Mensch in einer psychiatrischen Anstalt landet? Um diese Frage zu beantworten, unternahm der US-amerikanische Psychologe David Rosenhan (1929-2012) im Jahr 1969 einen kühnen Selbstversuch: Er und sieben andere völlig gesunde Testpersonen, viele von ihnen ebenfalls in einem klinischen Beruf tätig, stellten sich in psychiatrischen Krankenhäusern vor. Die Scheinpatienten berichteten von Stimmen in ihrem Kopf, die wahlweise "leer", "hohl" oder auch "plumps" sagten. Abgesehen davon blieben Rosenhan und seine Mitstreiter jedoch größtenteils bei der Wahrheit. Sie wurden allesamt stationär aufgenommen und teils über viele Wochen hinweg behandelt, obwohl sie seit der Einweisung stets angaben, die Symptome seien wie weggeblasen. Insgesamt bekamen die acht Simulanten knapp 2100 Tabletten verschrieben. Während die Mitpatienten die Täuschungen oft schnell durchschauten, blieben die Ärzte bis zuletzt ahnungslos. Rosenhans Schlussfolgerung: Psychiater könnten keine validen Verfahren vorweisen, um psychische Erkrankungen zu diagnostizieren – alles fauler Zauber also?
Als er sein Experiment 1973 in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlichte, war die Aufregung groß. Zwar wiesen viele von Rosenhans Fachkollegen die Studie als wenig aussagekräftig zurück, schließlich würden auch andere medizinische Fachdisziplinen bei gezielter Täuschung versagen. Dennoch stieß sie eine lebhafte Debatte über den Sinn der Anstaltspsychiatrie an: Nach welchen Kriterien teilen Kliniker ihre Patienten in "gesund" und "gestört" ein? Ist der wochenlange Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus wirklich eine sinnvolle Therapiemethode? Und dürfen Ärzte ihre Patienten auch gegen deren Willen mit nebenwirkungsreichen Tabletten behandeln? ...
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