Antoniusfeuer: Die rätselhafte Plage
»Es war ein Seuchenjahr, vor allem im westlichen Teil Lothringens, wo viele, deren Inneres das Heilige Feuer verzehrte, an ihren zerfressenen Gliedern verfaulten, die schwarz wie Kohle wurden. Sie starben entweder elendig oder sie setzten ein noch elenderes Leben fort, nachdem die verfaulten Hände und Füße abgetrennt waren.« So schilderte der aus dem romanischen Teil Belgiens stammende Mönch Sigebert von Gembloux die Ereignisse des Jahres 1089 in seiner Chronik. Eine rätselhafte Krankheit raffte in ganz Europa tausende Menschen dahin oder machte sie zu Krüppeln.
Die Ärzte wussten keinen Rat, und die Erkrankten suchten Zuflucht im Glauben: Sie beteten zum heiligen Antonius, der in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts als Einsiedler in der Thebaischen Wüste in Ägypten lebte, wo er Wunderheilungen vollbracht haben soll. Da die Kranken das Gefühl hatten, innerlich zu verbrennen, erhielt das Leiden schließlich den Namen »Antoniusfeuer« oder »Heiliges Feuer«.
Nach der großen Epidemie im 11. Jahrhundert dauerte es noch mehr als ein halbes Jahrtausend, bis die Ursache der Krankheit gefunden war: das Mutterkorn, ein giftiger Pilz, der vor allem den Roggen befällt. Wie ein zu groß geratenes, schwarzes Getreidekorn ragt er aus der Ähre heraus, weshalb man ihn im Mittelalter fälschlicherweise für eine besondere Variante des Roggens hielt. Dass dieser »gehörnte Roggen« (lateinisch »secale cornutum«) giftig sein könnte, zogen die damaligen Ärzte nicht in Erwägung – ein fataler Trugschluss. Denn die so genannten Mutterkornalkaloide, die der Pilz produziert, führen zu starken Gefäßverengungen, wodurch Extremitäten und innere Organe nicht mehr ausreichend durchblutet werden und die Gliedmaßen absterben. In der Folge drohen Atem- und Herzstillstand …
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