Schlichting!: Auf Biegen und Brechen
Eine große Esche in meiner Nachbarschaft versorgt mich regelmäßig mit abgestorbenen Zweigen, die ideal zum Anheizen des Kamins sind. Sie sind ausreichend dick, relativ trocken und lassen sich leicht zerbrechen. Dabei zeigt sich ein merkwürdiger Effekt: Fasst man einen solchen Stock an beiden Enden und biegt ihn über seine Elastizitätsgrenze hinaus, so bricht er selten nur entzwei, sondern meist entdrei. Daran, dass es das letzte Wort in der deutschen Sprache nicht gibt, wird klar, wie wenig vielen das Phänomen bewusst ist. Dabei tritt es nicht nur bei trockenen Eschenstöcken auf, sondern bei allen möglichen Stäben.
Man kann es etwa beim Kochen von Spagetti erleben, wenn man ein Bündel der langen Nudeln auf den Topfdurchmesser zurechtstutzen will. Das Beispiel hat es zu einiger Berühmtheit gebracht, weil der bekannte Physiker Richard Feynman (1918 – 1988) genau diese Erfahrung gemacht hat und das Rätsel nicht lösen konnte, warum neben leidlich halbierten Spagetti so viele kleine Fragmente entstehen. So wertete er das profane Kochereignis zum ernsthaften Untersuchungsobjekt auf. Die Lösung gelang erst viele Jahre später mit Hilfe von Highspeed-Aufnahmen des Vorgangs.
Schaut man sich die splitternden Spagetti genauer an, so stellt man fest, dass sie nicht exakt in der Mitte brechen, wo sie am stärksten gekrümmt werden und der größten Biegebelastung ausgesetzt sind, sondern meist etwas daneben. Das kann man nachträglich überprüfen, indem man die Stücke aneinanderlegt. Die Ursache für diese Asymmetrie liegt darin, dass die zylindrischen Nudeln weder perfekt geformt sind noch aus einem vollkommen homogenen Teig bestehen. Sie geben daher zuerst an herstellungsbedingten Defektstellen nach, wo sich die Kombination von Biegebelastung und Materialschwäche maximal auswirkt. Bis zu diesem ersten Bruch ist die Erklärung also ganz intuitiv. ...
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