Herstellung: Auf dem Weg in die erste Liga
Wie im Großen sollen auch Mikrosysteme aus Kunststoff den Massenmarkt erobern. Doch die nötigen Fertigungswerkzeuge erfordern ungewohnte Präzision.
Ein Minizahnrad neben einer Ameise, ein Hubschrauber kaum größer als ein Daumennagel – selbst Technik-Laien kennen diese spektakulären Bilder. Anfang der 1990er Jahre suggerierten sie den baldigen Durchbruch der Mikrosystemtechnik.
Durchbruch bedeutet aber: Serienreife und baldige Massenfertigung. Beides gelang vor allem mit Silizium, doch auch Metall und Kunststoff gewinnen an Boden. Insbesondere Kunststoff bietet Chancen auf preiswerte Massenprodukte, so die Hoffnung. Neben seiner direkten Bearbeitung mit dem Laser oder durch Trockenätzen haben Ingenieure Verfahren aus der Makrowelt weiterentwickelt. Dazu gehört auch das Heißprägen. Eine "Werkzeug" genannte Form wird in heißen Kunststoff gepresst; der kühlt ab und wird dann der Maschine entnommen – so entstehen große Stückzahlen im Sekundentakt.
Um dieses Verfahren in der Mikrosystemtechnik einzusetzen, bedarf es freilich hochpräziser Werkzeuge. Die können konventionell durch Bohren, Drehen und Fräsen mit einer Genauigkeit von einigen Mikrometern hergestellt werden. Es gibt jedoch Anwendungen, wo diese Präzision nicht ausreicht. Große Hoffnungen ruhen deshalb auf der Liga-Technik, die vor rund zwanzig Jahren am Forschungszentrum Karlsruhe erfunden wurde.
Liga steht für Lithografie, Galvanoformung und Abformung. Röntgenstrahlen oder UV-Licht übertragen bei diesem Verfahren die Muster einer so genannten Maske in eine Plexiglasschicht, die auf einer Metallplatte sitzt. Die belichteten Gebiete des Kunststoffs werden anschließend weggeätzt. Zurück bleibt eine Form, die als Negativ für einen Stempel dient. Dieser Stempel, das eigentliche Werkzeug für den Fertigungsprozess, wird mittels Galvanik – also durch Abscheiden von Metall – erzeugt. Die Metallstruktur wächst von der metallischen Basisschicht aus in die Öffnungen des Kunststoffs hinein. Am Ende wird der Kunststoff komplett weggeätzt, das Werkzeug bleibt übrig.
Das Liga-Verfahren hat mehrere Vorteile: Durch die kurzwelligen Röntgenstrahlen entstehen Strukturen, die etliche Millimeter tief sein können und dennoch Wandrauigkeiten von nur rund zehn Nanometern aufweisen. Bei herkömmlichen Siliziumbauteilen und bei der direkten Kunststoffbearbeitung ohne Stempelwerkzeug sind sie deutlich größer und liegen im Bereich von einigen Mikrometern.
Auf der anderen Seite dauern die einzelnen Prozeduren bei anspruchsvollen Werkzeugen sehr lange. Das Abscheiden des Metalls kann beispielsweise drei Wochen in Anspruch nehmen, die gesamte Werkzeugherstellung zieht sich bis zu vier Monate hin. Bei der Siliziumtechnik durchläuft ein Wafer sämtliche Prozesse in zwei bis drei Wochen, obwohl die Zahl der Prozessschritte mit über 200 etwa doppelt so hoch ist wie bei Liga.
Stempel gut, alles gut
Dass sich Liga bisher gegen die Siliziumtechnik nur in Nischenmärkten durchsetzen konnte, hat gleich mehrere Gründe. Einer ist das notwendige intensive Röntgenlicht, das es nur an Quellen so genannter Synchrotronstrahlung wie Anka in Karlsruhe, Bessy II in Berlin oder Elas in Bonn gibt. Anka, eine gerade fertig gestellte und für Liga optimierte Anlage, war mit Investitionskosten von rund 35 Millionen Euro noch eine der billigeren. Firmen, die mit Liga fertigen wollen, können zwar künftig mit Kosten von 200 Euro pro Stunde Strahlzeit rechnen, weil die Forschungsinstitute ihre Türen zunehmend auch für Unternehmen öffnen. Doch die Abhängigkeit von den disen Instituten in Berlin oder Karlsruhe ist für viele Unternehmen ein Hemmnis.
Entscheidend für den Erfolg dieses Verfahrens sind geeignete Produkte und Märkte, nicht die technische Perfektion. So gelang es dem Forschungszentrum Karlsruhe zwar vor Jahren, einen Beschleunigungssensor für Automobile zu entwickeln, der dem Silizium-Pendant in nichts nachstand – doch zu einem indiskutablen Preis. Walter Bacher, der stellvertretende Leiter des dortigen Instituts für Mikrostrukturtechnik, sieht aber Potenzial für Verbesserungen. Derzeit sei bestenfalls jedes zweite Stempelwerkzeug verwendbar. Wenn es gelänge, die Ausbeute von Liga auf siebzig Prozent zu steigern, ließe sich bereits eine kontinuierliche Massenfertigung von Endprodukten unterhalten, denn der einzelne Stempel halte sehr lange. Raum für Verbesserungen gäbe es auch beim Einsatz der Stempel in der Fertigung. Zwar liegt die Ausbeute der Kunststoffabformung bei über neunzig Prozent, Siliziumverfahren schaffen aber noch einige Prozentpunkte mehr.
Eine große Chance hat Liga in der Mikrooptik, wenn Fiber-to-Home Realität wird, also Telefon und Internetdaten via Glasfaser bis in die Wohnung gelangen (Spektrum der Wissenschaft 06/2001, S. 80). Vorrichtungen, die Glasfasern und andere optische Komponenten auf weniger als einen Mikrometer genau positionieren, vermag nur die Liga-Technik zu fertigen.
Einen weiteren Massenmarkt für Mikrokomponenten aus Kunststoff verheißen Experten für die Biotechnologie. Billige Plastikchips, die eine schnelle Analyse von Körperflüssigkeiten ermöglichen, implantierbare Systeme zur gleichzeitigen Diagnose von Körperfunktionen und Dosierung von Medikamenten – Ideen gibt es genug, und Liga-Stempel wären mit im Spiel.
Wie in der Mikroelektronik oder der siliziumbasierten Mikrofertigung muss auch hier die Produktion langfristig automatisiert werden. Dennoch wird keine Mikrofertigung – egal ob Silizium oder nicht Silizium – ganz ohne Personal auskommen. Schon jetzt zeichnet sich ein Mangel an qualifizierten Leuten ab. Das trifft für die gesamte Sparte zu, die nach internationalen Marktprognosen mit Umsatzzuwächsen in der Größenordnung von zwanzig Prozent pro Jahr rechnen kann und für die im Jahr 2002 ein Gesamtumsatz von 38 Milliarden Dollar erwartet wird.
Um den Fachkräftemangel zu lindern, wird seit 1998 die Ausbildung zum Mikrotechnologen angeboten, von manchen optimistisch als "Ingenieur light" bezeichnet. Mehr als 200 Auszubildende pro Jahr absolvieren bundesweit diesen Lehrberuf, den unter anderem das Forschungszentrum Karlsruhe, die Unternehmen Bosch und Siemens, das Institut für Mikrotechnik Mainz, etliche Fraunhofer-Institute und Universitäten anbieten. Sollten die Wirtschaftsauguren Recht behalten und die Branche boomt, dürfte selbst das nicht reichen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2002, Seite 82
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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