Auf den Spuren der Maya. Eine Fotodokumentation von Teobert Maler (1842 - 1917)
Auf den Spuren der Maya-Indianer Mittelamerikas hat sich der badische Emigrant Teobert Maler um die Jahrhundertwende bewegt. Es war ein klassisches Abenteurerleben: Nach kurzer Lehrzeit als Architekt in Wien kämpfte er im österreichischen Freiwilligen-Korps für Kaiser Maximilian, den Frankreich den Mexikanern aufgezwungen hatte, bis zu dessen Niederlage und Erschießung 1867. Anschließend blieb Maler in Mexiko und ließ sich nach einem Zwischenaufenthalt in Europa und im Orient in Mérida auf der Halbinsel Yukatan nieder, wo er ein Photostudio betrieb.
In der seit Jahrhunderten weitgehend entvölkerten Region südlich und östlich seines Standquartiers, die zu großen Teilen wegen des damals noch andauernden Indianeraufstandes (des „Kastenkriegs“ von 1848 bis 1901) dem Zugriff der mexikanischen Verwaltung entglitten war, wanderte der Einzelgänger Maler mit Photoausrüstung und Gewehr, nur von wenigen indianischen Trägern und Führern begleitet, jahraus, jahrein durch Dornbusch und Urwald. Er photographierte, vermaß und zeichnete seit Jahrhunderten verlassene und verfallende Ruinenstädte der klassischen Maya.
Seine Bilder fanden hohe Anerkennung in Fachkreisen; vorübergehend gelang es ihm sogar, nordamerikanische Institutionen und Mäzene für seine Forschungen zu interessieren. Doch die meisten Jahre arbeitete er auf eigene Kosten und verdiente sich durch den Verkauf seiner Photographien ein bescheidenes Zubrot. Über Otto Rosenkranz, den damaligen deutschen Konsul in Mérida, gelangten 321 Bilder in den Besitz des Lippischen Landesmuseums in Detmold, wo Andreas Herrmann sie wiederentdeckte.
Annähernd 200 Ruinenorte hat Maler als erster Forscher dokumentiert. Die vorliegende Auswahl bringt einen beträchtlichen Teil davon, jeweils in bis zu zehn Aufnahmen. Aus dem südlichen Maya-Tiefland sind Palenque, Yaxchilán und Piedras Negras vertreten, Orte, über deren Geschichte wir aufgrund der Hieroglypheninschriften und Herrscherporträts inzwischen bestens unterrichtet sind. Aus dem nördlichen Tiefland sind es Gebäudeansichten mit wunderbarem geometrischem Fassadenschmuck: der weitgeöffnete Rachen der Himmelsschlange etwa, der den Haupteingang zahlreicher Paläste bildet (Bild), streng geometrische Halbsäulenfriese und ähnliches.
Der damals noch gute Erhaltungszustand der Tempel und Paläste und die Konturschärfe von Malers Photographien sind die Gründe, warum seine Aufnahmen auch heute, hundert Jahre später, überaus wertvolle Dokumente für die Architekturforschung sind. Den Reisenden und an fremden Kulturen Interessierten dürfte vor allem der romantische Reiz der Ruinen ansprechen, der mittlerweile durch Abholzung und Restaurierung im Dienste des Massentourismus vernichtet ist. Wer in einer Menge von vielleicht 10000 Besuchern, im Hintergrund die röhrenden Reisebusse, die Fußwege von Picknickresten, Kot und sonstigem Unrat gesäumt, Chichén Itzá oder Uxmal einen Besuch abgestattet hat, kennt dessen bedrückende Folgen.
Leider wird das hier gewählte Reproduktionsverfahren der Offset-Autotypie dem Gehalt der Bilder nicht gerecht: Brillanz und Sättigungsgrad von Malers Originalpapierabzügen sind verlorengegangen; sie wären wohl nur im aufwendigeren Kupfertiefdruck oder in einem Duplex-Offsetdruck zu erhalten gewesen. Doch hätte man das in Anbetracht des stattlichen Preises nicht erwarten dürfen?
Andreas Herrmann hat sich als Nichtfachmann bei der Kommentierung der Abbildungen vernünftigerweise zurückgehalten. Malers eigenhändige Beschriftungen der Photos sind die hauptsächliche Information. Wenig erfährt der Leser über die Lage der Orte in den verschiedenen vorspanischen Kulturprovinzen und fast nichts von ihrer modernen Erforschung. Die biographische Einleitung über Teobert Maler ist freilich nebenbei ein lesenswerter Spiegel der Weltgeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Insgesamt ist der Bildband als historische Dokumentation dieser in modernen Büchern kaum je abgebildeten Photographien und als Hommage an einen herausragenden deutschen Forscher eine rundum begrüßenswerte Veröffentlichung.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1993, Seite 115
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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