Direkt zum Inhalt

Tillmann Scholl: Auf der Spur des ersten Menschen.

Dokumentarfilm über die Forschung nach dem Ursprung der Menschheit.
Spiegel TV, Hamburg 1997. 90 Minuten, DM 39,95.

Afrika gilt als die Wiege der Menschheit. Die Forschungen der Paläoanthropologen konzentrieren sich denn auch auf diesen Kontinent, seit 1924 der in Australien geborene, in Johannesburg tätige Anatom Raymond Dart (1893 bis 1988) bei Taung in Südafrika einen fossilen Schädel entdeckte, den er als Zwischenform von Menschenaffen und Menschen interpretierte und dafür den Namen Australopithecus (wörtlich: Südaffe) prägte. Die britischkenianische Forscherdynastie der Leakeys machte bald darauf das Ostafrikanische Grabenbruch-System zur Arena der Hominiden-Evolution; außer dem Ehepaar Louis und Mary Leakey, deren Sohn Richard und seiner Ehefrau Meave, die souverän das Feld beherrschten (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, November 1978, Seite 56, April 1982, Seite 44, und August 1997, Seite 50), sowie einigen Amerikanern gelang es nur wenigen anderen Fachwissenschaftlern, sich in Afrika zu etablieren.

Einer davon und der einzige Deutsche ist Friedemann Schrenk, stellvertretender Direktor des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt. Ihn begleitete der Wissenschaftsjournalist Tillmann Scholl auf zwei Afrika-Reisen; in seinem Film setzt er Mosaiksteine zum Bild der Evolution des Menschen zusammen.

Damit eröffnet er interessante Einblicke in die Natur der Regionen, auf die sich die Forschungen konzentrieren, vermittelt Vorstellungen von Art und Verlauf der Feldarbeit sowie von der Interpretation von Fundstücken. Der erste Teil des Films spielt im wesentlichen in Nordkenia im Camp von Meave Leakey, der zweite im Paläontologischen Museum von Johannesburg, wo sich auf Einladung Schrenks führende Experten eingefunden hatten, um über die neuesten Fossilfunde zu diskutieren, und in Malawi, wo Schrenk zusammen mit dem Amerikaner Tim Bromage das Hominid Corridor Research Project leitet – die Suche nach Belegen dafür, daß Süd- und Ostafrika nicht voneinander isolierte Entwicklungszentren unserer Gattung waren.

Eine umfassende Erklärung dafür, was "den Affen dazu brachte, sich zum aufrechten Gang zu erheben, und wie es dem fliehstirnigen Homo habilis gelang, sich zum kultivierten, intelligenten Menschen zu entwickeln", so der erläuternde Text auf der Rückseite der Kassette, liefert der Film jedoch nicht. Er geht nicht auf allgemeine Theorien ein, sondern konzentriert sich auf die fossilen Knochen und Zähne. Das ist interessant genug, denn kaum jemand kann sich aus den einschlägigen Büchern hinreichend klarmachen, wie die Prospektion im Gelände und das Graben in den durch Erosion wieder freigelegten Sedimenten wirklich ablaufen und wie die oftmals nur höchst bruchstückhaft erhaltenen Skelettreste (über)interpretiert werden. Der Film zeigt dies beispielhaft, mitunter vielleicht sogar unbeabsichtigt, auf.

Die wesentlichen Prozesse der Menschwerdung vollziehen sich für den Zuschauer in der elegant computeranimierten Veränderung der Schädelform vom Menschenaffen zur Gattung Homo. Allerdings nimmt es der Filmtext hier nicht sehr genau und spricht von Familie, wo höchstens Gattung die taxonomisch zutreffende Bezeichnung sein kann. Für den Nicht-Spezialisten sehr lästig ist es, daß die lateinischen Art- und Gattungsbezeichnungen sowie die Namen der Wissenschaftler und der Fundstätten nur – schwer verständlich – gesprochen vorkommen. Eingeblendete Schriften wären hilfreich und würden das ansonsten recht eindrucksvoll gemachte Video beispielsweise für Schulen geeignet machen. Um manche belanglose Szene gekürzt (wozu muß man Schrenk und Meave Leakey zusammen in einem normalen Verkehrsflugzeug sitzen sehen?), wäre der Film halb so lang, aber doppelt so gut und unterrichtstauglich geworden.

Wirklich eindrucksvoll sind jedoch die zum Teil historischen Szenen von berühmten Paläoanthropologen in ihren wie Schatzkammern gesicherten musealen Heiligtümern. Sie zeigen nicht nur die Menschen, die hinter der Forschung zum Ursprung des Menschen stehen, sondern auch, wie zeitgeistbedingt Interpretationen zunächst entwickelt und dann wieder rigoros verworfen werden. Wie sehr haben sich auch die Leakeys geirrt! Aber man hüte sich vor dem naiven Fortschrittsglauben, die gegenwärtigen Paläoanthropologen seien mit ihrer Feldforschung methodisch so ungleich besser als die Vorgänger. Wer sich mit wenigen Zähnen oder gar nur Bruchstücken davon ein ganzes Weltbild der mutmaßlichen Entstehungszeit aufbauen möchte, dem werden spätere Korrekturen nicht erspart bleiben. Es ist nicht schwer, Darts Theorie vom "Killeraffen" Australopithecus robustus (früher Paranthropus genannt) als Verirrung abzutun; aber die lapidare Feststellung, der mit mächtigen Kiefern ausgestattete Früh-Hominide, der sich wohl von harter Pflanzennahrung ernährte, "starb vor rund einer Million Jahre aus", bringt auch nicht viel mehr.

Da macht es schon mehr Spaß, nachvollziehen zu dürfen, wie man bei den Grabungen, die Schrenk in Malawi seit mehr als einem Jahrzehnt durchführt, schließlich doch noch jenes kleine Zahnstück findet und an genau der Stelle einsetzen kann, von der es abgesprungen war. Insofern werden Spannung und Erregung bei Sternstunden dieser Art Forschung verständlich und im Film spürbar, auch wenn die Hauptdarsteller in ihren Ausdrucksmöglichkeiten alles andere als professionelle Filmschauspieler sind.

Mit Staunen wird man zur Kenntnis nehmen, daß Paläoanthropologen allen Ernstes darüber nachdenken, ob der werdende Mensch nicht deshalb einen kürzeren Darm bekommen hat (und zur gehaltvolleren Fleischnahrung wechseln mußte), weil das immer größere Gehirn schließlich so viel Energie verbrauchte, daß für das Verdauungssystem zu wenig zur Verfügung stand.

Nun, so genau wird man das nie wissen; mit dieser Einstufung beschließt Scholl diesen Film, der trotz seiner Längen und Improvisationen sicherlich zu den sehenswerten gehört. Eine mit geringem Aufwand mögliche didaktische Umarbeitung würde ihn noch sehenswerter machen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1998, Seite 127
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.