Schifffahrt: Auf die sanfte Tour
Bewuchs auf Schiffsrümpfen kostet Treibstoff, doch übliche Gegenmittel – biozidhaltige Anstriche – schaden Meerestieren. Von denen lernen Wissenschaftler nun, umweltverträgliche Alternativen zu entwickeln.
Im Meer sind feste Oberflächen rar und heiß begehrt. Felsen, Muschelschalen, Treibholz oder Wracks – was sich nicht schnell genug davon macht, wird bald als Lebensraum okkupiert. Leider gilt das auch für Handelsschiffe, deren Rümpfe bei langsamer Fahrt und längeren Liegezeiten im Hafen bewachsen werden: zunächst von Bakterien und anderen Einzellern, dann von Algen und Pilzen, schließlich folgen Seepocken und Muscheln. Dieser fachlich als "Fouling" bezeichnete Bewuchs erhöht jedoch den Wasserwiderstand und damit den Treibstoffverbrauch der Schiffe. Um diese Kosten unter Kontrolle zu halten, müssen die Fahrzeuge regelmäßig ins Dock zur Reinigung, doch auch das schlägt zu Buche.
Deshalb sucht man den Bewuchs zu verhindern: In der Antike durch Kupfer- und Bleiplatten, seit dem 20. Jahrhundert durch biozidhaltige Anstriche. Diese Farben geben jedoch kontinuierlich Gifte ins Wasser ab und töten oder verschrecken so die "Zielorganismen". Insbesondere Tributylzinn (TBT) hatte sich seit Anfang der siebziger Jahre in der Handels- und Sportschifffahrt weltweit durchgesetzt. Diese Ära dürfte bald beendet sein.
Denn längst sind die "Nebenwirkungen" solcher Zinnverbindungen bekannt. Sie reichern sich in Wasser und Sediment an, werden von den Lebewesen aufgenommen und in der Nahrungskette weitergereicht. So konnte TBT schon in gestrandeten Walen nachgewiesen werden, die nachweislich nur in der Tiefsee gejagt hatten.
Diese Substanz ist nicht nur hochtoxisch, sondern greift auch in das Hormonsystem zahlreicher Organismen ein. So produzieren weibliche Schnecken unter TBT-Einfluss vermehrt Testosteron und "vermännlichen", sind also weniger fruchtbar. Auf diesen Effekt führen Meeresbiologen den starken Rückgang zahlreicher Populationen wirbelloser Tiere zurück. Erste Hinweise gibt es auch für eine hormonartige Wirkung von TBT bei Fisch und Mensch. Organozinn-Konzentrationen in den Sedimenten vieler großer und kleiner Häfen haben mittlerweile alle Grenzwerte für biologische Effekte wie Wachstumsstörungen überschritten. Schlamm, der beim Ausbaggern von Fahrrinnen anfällt, darf aus dem gleichen Grund nicht mehr in den Küstengewässern verklappt, sondern muss kostspielig an Land deponiert werden.
Selbstreinigende Oberflächen
Seit Beginn des letzten Jahrzehnts schränken jetzt die Europäische Union, die USA, Australien, Japan und andere Länder den Gebrauch von Organozinn-Verbindungen in Anstrichen auf Schiffen unter 25 Metern Länge stark ein – mit geringem Effekt. Von Verstößen gegen diese Verordnung abgesehen, liegt das wohl daran, dass Organozinn-Verbindungen in den Meeressedimenten nur sehr langsam abgebaut werden.
Die in London ansässige Weltschifffahrtsorganisation (IMO) bereitet deshalb ein generelles Verbot von Zinnverbindungen in Antifouling-Farben vor; es soll noch in diesem Sommer als Konvention verabschiedet werden. Setzen die Mitgliedsländer den Beschluss wie geplant in nationales Recht um, dürfte die neuerliche Verwendung dieser Biozide ab 2003 verboten sein und ab 2008 kein damit ausgestatteter Schiffsrumpf mehr die Weltmeere befahren.
Die Farbenindustrie hat bereits reagiert. Ersatzprodukte basieren allerdings auf giftigen Kupferverbindungen oder keineswegs umweltunbedenklichen organischen Bioziden wie Triazinen, Methylharnstoffen und Dithiokarbamaten. Über deren "Verhalten" im Lebensraum Wasser gibt es beunruhigende Daten. Die Niederlande, Dänemark und Schweden beschränken ihre Verwendung deshalb bereits per Gesetz. England hat sie vor kurzem verboten, das deutsche Umweltbundesamt will sie nur als Übergangslösung akzeptieren.
Weltweit untersuchen Forschungszentren daher umweltverträgliche Möglichkeiten des "Antifoulings": selbstpolierende Beschichtungen, Antihaftschichten, Mikrofasern und elektrochemische Verfahren, natürliche Gifte und Abschreckungsstoffe, nicht zuletzt auch spezielle Reinigungsanlagen.
Biozide wie TBT gelangen in das Wasser, weil sich die Farbe, in die sie eingebettet sind, langsam, aber stetig auflöst. Bei so genannten selbstpolierenden Beschichtungen wird die Auflösung noch beschleunigt, doch Gifte enthalten sie nicht. Algen, Bakterien und Muscheln werden also weder abgeschreckt noch getötet, sondern verlieren schlicht ihren Haftgrund. Dabei werden Methacrylate freigesetzt, die vermutlich ohne schädliche Produkte abgebaut werden. Überdies sorgt man für eine bestimmte mikroraue Oberfläche der Farben – Larven der Bewuchsorganismen mögen solche Oberflächen nicht besonders und lassen sich vom Wasser an eine andere Stelle treiben.
Dieses Prinzip der selbstreinigenden Oberfläche ist in der Natur weit verbreitet. Auch Algen, Korallen, Krebse und Meeressäuger befreien sich durch Schälen, Schuppen, Häuten oder Erneuern der Haut von angesetztem Bewuchs. Die ostfriesische Reederei Norden Frisia setzt diesen Beschichtungstyp seit fünfJahren mit zumeist zufrieden stellenden Ergebnissen für jeweils eine Bewuchssaison ein. Dann muss der Anstrich allerdings erneuert werden. Ob sich diese Standzeit noch verbessern lässt, möglicherweise durch dichtere Schichten, soll ein aktueller Test mit mehreren Schiffen zeigen; mit Ergebnissen ist frühestens 2002 zu rechnen.
Oberflächen mit sehr geringer Oberflächenspannung, wie sie für Silikone, Teflon und Wachse typisch sind, bieten Meeresorganismen Versuchen zufolge nur wenig Halt und werden dementsprechend kaum besiedelt. Auf der anderen Seite müssen diese "Anti-Haftbeschichtungen" aber selbst am metallenen Rumpf "haften". Die meisten Farbhersteller haben dieses Problem gelöst, etwa durch eine spezielle Grundierung.
Anders als bei Bratpfannen kann man Teflon nicht unter starker Erwärmung auf das Metall aufsintern, sondern muss es zunächst beispielsweise in Polyurethan als Bindemittel einbringen und dann als Farbe auftragen. Dabei entsteht allerdings keine reine Teflonoberfläche, sondern eine Mischung aus Teflon und Bindemittel, die bislang keine ausreichende Wirkung erzielte.
Erfolgreicher und bereits praxiserprobt sind gummiartige Silikonschichten, zumeist auf Basis von Polydimethylsiloxan, das in manchen Polituren enthalten ist und zur Aufwertung weiblicher Reize implantiert wird.
Versuche zeigten, dass die verschiedenen Besiedler nicht nur die geringe Oberflächenspannung dieser unter dem Mikroskop schwammartigen Schicht scheuen, sondern auch ihre Flexibilität und Mikrorauigkeit. Dazu kommt ein Wasser abstoßendes Verhalten (Hydrophobie). Für die Haftung wichtige "Klebstoff"-Moleküle können sich dann nicht binden. Der große Nachteil dieser Schichten: Sie sind nicht sehr fest und schrammen leicht ab.
Ein dritter Vertreter des Antihaftprinzips sind so genannte hydroviskose Beschichtungen. Ihre Entwicklung beruht ebenfalls auf der Beobachtung natürlicher Vorbilder. Manche Algen, Schwämme und Korallen schützen sich durch Schleimüberzüge vor Bewuchs und dem Anheften von Krankheitserregern. Deshalb wurden verschiedene aufquellende hydrophile Beschichtungen meist aus Zucker oder Polysacchariden untersucht und zu Prototypen entwickelt. Im Süßwasser verliefen Tests erfolgreich, im Meer bislang nicht.
Robben, Seelöwen und -otter schützen ihren Körper durch ein Fell nicht nur gegen Auskühlung, sondern auch gegen Bewuchs. Organismen können sich auf den beweglichen Haaren nicht ansetzen, weil diese aneinander reiben und sich so gegenseitig reinigen. Das sollen filzartige Überzüge aus Polyesterfasern nachahmen. Elektrostatisch aufgeladene, etwa ein Millimeter lange Fasern werden auf einen noch weichen Epoxid-Untergrund geblasen. Beim Aushärten des Kunststoffs werden die Mikrofasern quasi angeklebt, durch ihre Ladung stehen sie senkrecht vom Rumpf ab.
So viel zur Theorie, die Praxis stellt sich schwieriger dar: Das Aufblasen sollte möglichst in einer Halle geschehen, denn Niederschlag und Wind können die Fasern quer legen, doch nur bei senkrechter Stellung erzielen sie die gewünschte Wirkung. Ein guter Bezug schützt ersten Erfahrungen nach gegen Seepocken, nicht aber gegen Algen. Derzeit versucht ein Unternehmen, das System mit anderen Fasermaterialien zu optimieren; auch geeignete Reinigungsverfahren für den bislang nicht zu verhindernden Algenbewuchs sind in der Entwicklung.
Nicht der Natur, sondern der Industrie abgeschaut sind elektrochemische Verfahren: Zum Beispiel spaltet ein schwacher Strom beim System MAGPET von Mitsubishi Heavy Industries elektrolytisch Chlorsalze im Seewasser. Dabei entstehen negativ geladene Chlor-Sauerstoff-Ionen und als Nebenprodukte – im Meereswasser aber sehr wirksam – auch hochtoxische halogenierte Chlorkohlenwasserstoffe. Diese lagern sich als maximal ein Millimeter dünne Schicht an den positiv geladenen Rumpf an und schützen ihn auf diese Weise vor Bewuchs. Werden die Ionen fortgespült, reagieren sie schnell wieder zu Wasser und Salz, die Nebenprodukte sind dagegen häufig stabil. Allerdings erfordert dieses Verfahren einen elektrisch leitenden Farbanstrich und zur gleichmäßigen Ladungsverteilung eine Titanfolie auf dem Rumpf.
Ein zweites Verfahren senkt durch Elektrolyse mit schwächerem Strom diskontinuierlich den Säuregehalt im angrenzenden Wasser ohne die Bildung der toxischen CKWs. Die pH-Schwankungen reichen aus, um Ansatz und Wachstum von Organismen zu verhindern. Beide Verfahren sind über die Stromstärke regelbar und lassen sich bei Bedarf – beispielsweise während der Liegezeit im Hafen – einsetzen. Leider hat sich als metallische Schicht zur Ladungsverteilung bislang nur das teure Titan bewährt. Alternativen stehen noch aus.
An dieser Stelle muss man sich freilich fragen, ob es nicht auch einfacher geht, nämlich durch regelmäßige mechanische Reinigung. Aufs Trockendock kommt ein Handelsschiff nur alle drei bis fünf Jahre, das ist oft zu wenig. Taucher können zwischendurch das Gröbste beseitigen, doch solche Einsätze sind sehr teuer. Die USA, Australien und Großbritannien entwickeln deshalb halbautomatische Waschstraßen für Handelsschiffe; für Sportboote gibt es derlei schon. Alternativ zu solchen zwangsläufig großen Anlagen könnten mobile Roboter den Rumpf bearbeiten, während die Ladung gelöscht wird. Voraussetzung für eine Genehmigung wäre freilich, dass der abgelöste Bewuchs für die Entsorgung aufgefangen werden kann.
Allerdings gehen Bürsten oder Hochdruckwasserstrahl recht ruppig zu Werke, die genannten Beschichtungen sind aber derzeit noch recht empfindlich. Deshalb sind einige Reeder dazu übergegangen, auf Antifouling-Maßnahmen ganz zu verzichten, wenn ihre Schiffe Meere mit unterschiedlichen Salzgehalten befahren, nur im Brackwasser operieren oder "fahrplanmäßig" nur kurze Liegezeiten am Pier haben. Unter diesen Bedingungen siedelt sich kaum Bewuchs auf dem Rumpf an. Bei diesen Schiffen könnte also eine automatische oder halbautomatische Reinigung ausreichen, eventuell müsste man sie mit einer Hartbeschichtung versehen.
Zukunftsmusik sind derzeit noch so genannte biogene Biozide, also der großtechnische Nachbau von Substanzen, wie sie beispielsweise manche Seesterne produzieren, um sich selbst vor Seepocken zu schützen: Die Larven der Letzteren werden von den chemischen Botenstoffen abgeschreckt.
Ihr Vorteil liegt auf der Hand: Diese natürlichen Gifte werden im Meer schnell wieder abgebaut und reichern sich dort nicht an. Doch sie zu identifizieren, ihre Struktur aufzuschlüsseln und sie vor allem in großen Mengen und der geeigneten Form herzustellen, erweist sich als äußerst schwierig. Klar ist, dass eine chemische Synthese das Risiko birgt, durch geringe Änderungen der molekularen Struktur die Abbaubarkeit der Produkte erheblich zu vermindern. Deshalb dürften solche Stoffe vorwiegend biotechnisch, das heißt von genetisch manipulierten Bakterien hergestellt werden. Danach muss man sie noch durch Einkapseln vor vorzeitigem Abbau bewahren und anschließend in ein Bindemittel einbringen.
Der nächste Schritt wäre sicher nicht weniger aufwendig: Als Biozide durchlaufen solche Produkte ein teures Zulassungsverfahren.
Ob es gelingen wird, einige wenige derartige Stoffe zu finden, die zwar wenig giftig sind, aber dennoch auf viele wichtige Bewuchsorganismen wirken, scheint derzeit noch fraglich. Schließlich setzen die Meeresbewohner selbst zumeist eine Kombination mechanischer, physikalischer und chemischer Antifouling-Strategien zu ihrem Schutz ein. So häutet sich eine Alge, scheidet Biozide aus, reibt sich an anderen Algen und trägt noch einen Schleimüberzug. Letztlich dürfte auch für das technische Antifouling eine mehrgleisige Strategie optimal sein: Wer auf harte Gifte verzichten will, benötigt vermutlich eine Vielfalt von Verfahren.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2001, Seite 86
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