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Aufbaustimmung, die viele hoffen läßt


Herr Professor Kostovic, wie steht es in Kroatien mit dem allgemein in den osteuropäischen Ländern verbreiteten Syndrom des brain-drain, des Abwanderns von Forschern und Hochschullehrern ins Ausland?

Diese Tendenz gibt es auch bei uns. Allerdings scheinen mir die Universitäten weniger davon betroffen zu sein. Wir verfügen bis jetzt jedoch über keine genauen statistischen Werte, die uns zeigen würden, inwieweit Forscher und Hochschullehrer aus Kroatien auswandern. Das wollen wir in den nächsten Monaten systematisch untersuchen lassen.

Im Moment müssen wir uns eher mit Eindrücken zufriedengeben. Und da kann man sagen, daß vor allem der Krieg die Wissenschaftler und Forscher aus den Instituten und Universitäten geholt hat. Die Hälfte meiner Assistenten war an der Front; anschließend haben sie mit den Menschenrechtsorganisationen zusammengearbeitet und sich um die medizinische Versorgung der Vertriebenen gekümmert.

Doch nun ist Kroatien ein Land, das aufbaut. Das heißt, es sind viele interessante Stellen zu vergeben. Allein das Außenministerium hat in den letzten fünf Jahren mehr als 500 junge Diplomaten eingestellt. Und da sind noch andere Bereiche in Industrie und Handel, die dabei sind, sich zu entwickeln. Auch die Forschung braucht Nachwuchs. Leider studieren die meisten Studenten Sprachen, Wirtschaft oder Jura. Deshalb müssen künftig die Stellen in Forschung und Industrie besonders attraktiv gestaltet werden. Doch im allgemeinen haben wir eine Aufbaustimmung, die viele hoffen läßt; und von daher ist bei uns das Phänomen des brain-drain vielleicht weniger ausgeprägt als etwa in den GUS-Staaten.

Entwickeln sich seit dem Kriegsende Forschung und Lehre hier in Kroatien wieder einigermaßen?

Nun ja, das große Problem ist wie überall das Geld, auch wenn sich das Budget für Bildung und Forschung in der Zeit nach dem Krieg verdreifacht hat. Hinzu kommt, daß unsere Industrie noch zu schwach ist, um der Forschung Drittmittel zu gewähren. Alles hängt am staatlichen Budget. Sie können das nicht mit Deutschland vergleichen, wo etwa 70 Prozent der Forschungssubventionen von der Industrie erbracht werden. Deswegen sind auch die Gehälter der Hochschullehrer und Forscher recht gering. Ein Dozent beispielsweise erhält monatlich umgerechnet etwa 800 Mark brutto. Dies ist im Vergleich zu den anderen mittelosteuropäischen Ländern kein schlechter Verdienst, doch Kroatien ist ein kleines Land. Wir haben landesweit etwa 8000 Wissenschaftler, Hochschullehrer und Assistenten zu bezahlen. Hinzu kommen die technischen Ausstattungen und der Wiederaufbau einiger Universitäten und Institute nach dem Krieg. Dazu gehört insbesondere unser repräsentativstes Projekt, die Fertigstellung der neuen kroatischen Nationalbibliothek, die vor zwei Jahren in Betrieb genommen wurde und in der Studenten wie Forscher direkten Zugang zum Internet haben.

Wissenschaftler Ihres Landes arbeiten aber doch sicherlich auch mit europäischen und außereuropäischen Institutionen und Programmen zusammen, die sie finanziell unterstützen?

Gewiß, auch wenn wir seit 1991 unter Embargo stehen, dadurch aus dem TEMPUS-Programm der Europäischen Union herausgefallen sind und keinen Zugang zu PHARE haben. Wir arbeiten natürlich mit einzelnen Ländern und Universitäten zusammen. So setzt sich beispielsweise der amerikanische Kongreß sehr für unser Land ein. Wir haben mit ihm das kroatisch-amerikanische "Joint-Fund-Program" etabliert, das uns bereits 1995 mit einer Million Dollar für all jene Forschungsbereiche unterstützte, die unter dieses Abkommen fielen. Hinzu kommt das Fulbright-Austauschprogramm, das auch unseren Doktoranden und Forschern erlaubt, für eine Weile in den Vereinigten Staaten zu arbeiten. Mit unserem Nachbarstaat Slowenien und auch mit China haben wir Abkommen zur gemeinsamen Finanzierung von bestimmten Forschungsprojekten unterzeichnet. Zur Zeit wird dadurch vor allem ein Experten- und Studentenaustausch finanziert.

Doch einen bilateralen wissenschaftlichen Austausch pflegen wir auch mit Ländern wie Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Mit dem deutschen Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung erarbeiten wir gerade ein Evaluierungssystem der Wissenschaften in Kroatien. Dabei geht es um eine effektivere Zusammenarbeit von Forschung und Industrie. Es unterstützt des weiteren den Aufbau der technologischen Zentren in Split und Rijeka. Ich selbst arbeite mit dem Niederländischen Hirnforschungsinstitut in Amsterdam zusammen. Das sind nur einige Beispiele unserer vielfältigen wissenschaftlichen Auslandsbeziehungen.

Worauf konzentrieren sich der Wiederaufbau der wissenschaftlichen Institutionen sowie die neuen Forschungsprogramme?

Zunächst einmal wurden die neuen nationalen Prioritäten bestimmt. Diese bewegen sich im Bereich der meeresbiologischen, der medizinischen und technologischen Entwicklungen im Hinblick auf eine neue nationale Eigendefinition des Landes. Die Naturwissenschaften und technischen Wissenschaften verschlingen dabei 77 Prozent unseres gesamten Bildungs- und Forschungsetats. Während auch vor der kroatischen Unabhängigkeit die Naturwissenschaften in Jugoslawien immer schon sehr kompetitiv waren, haben die Geistes- und Sozialwissenschaften bis jetzt nicht die Möglichkeit gehabt, sich zu entfalten. Sie waren direkt, aber auch indirekt durch die damals herrschende Ideologie geprägt. Das soll sich in den nächsten Jahren auf alle Fälle ändern. Für das, was in den letzten Jahrzehnten hier in Kroatien publiziert wurde, gilt zunächst einmal die Faustregel, daß alle Arbeiten, die auch im Ausland erschienen, als "wissenschaftlich", das heißt fundiert und nicht unbedingt ideologisch gefärbt gelten können. Zudem gibt es ein ganz neues Gebiet, das der Kroatischen Studien. Lehre und Forschung sollen in diesem Fach jetzt entwickelt werden. Wir haben ein Institut für die kroatische Sprache und nun wollen wir auch ein Historisches Institut für die kroatische Kultur und Geschichte aufbauen, das es zum ersten Mal erlauben soll, frei auf diesem Gebiet zu forschen.

Viele, die sich als liberal bezeichnen, kritisieren uns und meinen, wir gingen in der Bestimmung unserer nationalen Identität zu weit. Doch es geht ja dabei nicht nur um uns. Es gibt zum Beispiel viele antike Stätten auf kroatischem Staatsgebiet – wie zum Beispiel die römischen Relikte bei Nin und Salona –, die bis jetzt nicht einmal ausgegraben werden durften. Das soll nun in Angriff genommen werden. Ferner sollen vor allem aktuelle gesellschaftliche Probleme analysiert werden. Dazu gehören solche der Immigrationspolitik und der Integration der Vertriebenen wie auch politologische Studien zur Entwicklung der kroatischen Parteienlandschaft.

Ich möchte es nicht versäumen, unser extrem gut entwickeltes Network und unser Carnet zu erwähnen. Es gehört zu den besten in Europa. Jedes Institut und jede Fakultät verfügt über ein Computersystem und einen Zugang zum Internet sowie zu Simulationsprogrammen, mit denen die Studenten auch während des Krieges ganz bestimmte biologische oder physiologische Prozesse verstehen lernen konnten, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt keinen Zugang zu den Laboratorien hatten. Dieser Bereich soll ebenfalls noch weiter ausgebaut werden.

Und wie steht es mit dem Verhältnis von Forschung und Lehre?

Ja, da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. In keinem der ehemaligen osteuropäischen Länder wurde an den Fakultäten jemals Forschung betrieben. Das war immer Sache bestimmter Institute oder der Ministerien gewesen. Das soll sich nun ändern. Wir haben eine gänzlich neue Forschungsstrategie entwickelt, nach der die Institute und die Fakultäten über bestimmte Wissenschaftler zusammenarbeiten, die sowohl an ihrem Institut forschen als auch an der zugehörigen Fakultät unterrichten und eventuell begabte Studenten in ihre Arbeiten miteinbeziehen können. Jede Fakultät kann so mit den Instituten zusammen spezielle Programme – die sogenannten Excellence-Programme – entwickeln, und sie werden dann von uns unterstützt. Forschung und Lehre sollen parallel verlaufen. Wir haben landesweit bereits mehr als tausend junge Forscher aus verschiedenen Gebieten, die sowohl an den Fakultäten unterrichten als auch an Instituten forschen. Allerdings sollen nicht nur Forscher an den Universitäten lehren; ein Teil des Lehrpersonals soll weiterhin hauptamtlich unterrichten.

Wurde denn der Lehrbetrieb an den Universitäten und Hochschulen nach dem Krieg so beibehalten, wie er vorher gewesen war, oder haben Sie hier auch Reformen eingeführt?

Im Vergleich zu den Reformen der Forschungsprogramme haben wir verständlicherweise viel mehr Probleme mit der Neustrukturierung des Lehrbereichs. Drei Jahre waren nötig, um überhaupt die Fragen von Wahlen und Neuwahlen des nationalen Wissenschaftsrates und der Rektorenkonferenz zu regeln. Die Universitäten sind autonom. Zur Zeit wird viel um den Begriff Autonomie gestritten. Es geht um die Verteilung der Gelder: Soll dies zentral vom Rektorat ausgehen, oder sollen die Fakultäten finanzielle Autonomie erhalten? Das ist bis jetzt noch nicht klar entschieden.

Das Ministerium evaluiert im Augenblick lediglich mit den Rektoren zusammen die sogenannten Minimumstandards für alle kroatischen Universitäten. Wir haben in Kroatien vier große Universitätsstädte: Zagreb mit etwa 50000 Studenten, 10000 studieren in Split, in Rijeka sind es um die 7000 und in Osijek noch etwa 5500. In Zagreb haben wir jetzt eine neue Hochschule für Medizin und in Dubrovnik eine neue kombinierte Universität und Fachochschule für alle technischen Berufe gegründet.

Durch diese kombinierten Ausbildungsstätten versuchen wir die Kapazitäten von vielen kleinen Fachhochschulen, Hochschulen und Universitäten zu reduzieren und zu konzentrieren. Das wird in den nächsten Jahrzehnten bei uns der akademische Trend sein. Allerdings wehren sich im Moment noch viele Professoren und Lehrkräfte der Universitäten gegen diese Rationalisierung. Sie fürchten vor allem um ihre Stellen und wollen oftmals auch ihre eingefahrenen Methoden nicht ändern. Gerade die Lehrkräfte des alten Systems kritisieren uns heftig. Darunter sind viele, die nicht aufgrund ihrer wissenschaftlichen Kompetenz, sondern aufgrund ihrer politischen Zuverlässigkeit zu ihren Stellen kamen. Auch hier müßten wir eingreifen und einige entlassen, das ist jedoch immer etwas heikel. Doch wir versuchen vor allem durch gezielte budgetäre Unterstützung ganz bestimmte neue Entwicklungen zu fördern. Wir organisieren hierzu Expertisen, die klar aufzeigen, was der Markt braucht; und so versuchen wir durch Budgetpolitik die alten Strukturen mit der Zeit zu verdrängen. Hinzu kommt, daß auch wir mit der Zeit Studiengebühren einführen werden. Noch sind wir ein absoluter Sozialstaat: Alles ist kostenlos. Doch das wird sich nicht mehr lange halten lassen. Dabei wollen wir aber darauf achten, daß es parallel zu den Studiengebühren auch Stipendienmöglichkeiten gibt, mit denen wir die sozial schwachen Studierenden unterstützen können.

Alles in allem geht es also aufwärts?

Sicherlich werden Sie hier auf viel Unzufriedenheit stoßen, denn wie gesagt: Es fehlt an Geld, es gibt nicht genügend Räume, die Laboratorien sind immer noch ungenügend ausgestattet, und oft fehlt es den Fakultätsbibliotheken noch an genügend ausländischen Fachzeitschriften. Doch viele hier haben erlebt, was Krieg bedeutet. Und wenn man bedenkt, daß auch wir ein Land im Umbruch sind und ganz neu anfangen müssen, so sind wir doch recht optimistisch, denn wir sind trotz allem dabei, aufzubauen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1997, Seite 118
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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