Aus Schaden lernen
Im Jahre 1997 sorgte die Mir durch eine Pannenserie für Schlagzeilen. Am 23. Februar begann ein Feststoff-Sauerstoffgenerator im Modul Quant 1 unkontrollierbar zu brennen, es entstand eine Flamme ähnlich wie von einem Lötwerkzeug, die bis zu 500 Grad erreichte. Die Besatzung der Mir – unter ihnen auch der NASA-Astronaut Jerry Linenger – griff sofort zu Sauerstoffmasken und Feuerlöschern. Der Sprühnebel vermochte den Brand zwar nicht zu löschen, aber es gelang, die Wände der Raumstation so lange kühl zu halten, bis sich das Feuer nach 14 Minuten selbst verzehrt hatte. Verletzt wurde niemand, aber die Besatzungsmitglieder mußten wegen des Qualms mehrere Tage lang Staubschutzmasken tragen.
Vier Monate später kam es zu einem noch schlimmeren Zwischenfall. Als am 25. Juni die Besatzung ein neues Andocksystem für das unbemannte Versorgungsraumschiff Progress testete, schätzte der Kommandant der Raumstation die Annäherung der Kapsel falsch ein; diese rammte eine Reihe von Solarzellenflügeln (Bild) und durchstieß die Hülle des Spektr-Moduls. Während die Luft aus der Raumstation zu entweichen begann, hastete der Astronaut Michael Foale – der einen Monat zuvor Linenger abgelöst hatte – zu dem Raumschiff Sojus und bereitete es für eine Rettungsaktion vor. Glücklicherweise war das Loch nur klein und die Besatzung konnte Spektr abschotten und in der übrigen Station wieder Normaldruck herstellen.
Wegen der Unfälle forderten Mitglieder des US-Kongresses eine Überprüfung des Shuttle-Mir-Programms. Die NASA berief zwei Gremien ein, die untersuchen sollten, ob die Sicherheit der Astronauten auf der Mir weiterhin gewährleistet sei und entschied im September, die beiden letzten geplanten Missionen durchzuführen. Kritiker der US-Raumfahrtbehörde äußerten jedoch Bedenken gegen die nächste Stufe des Gemeinschaftsprogramms, den Bau der Internationalen Raumstation, der in den kommenden Monaten beginnen soll. Ein Großteil der auf der Mir eingesetzten Ausrüstung – einschließlich der Feststoff-Sauerstoffgeneratoren – soll in den russischen Modulen der neuen Raumstation wiederum eingesetzt werden.
Um das Risiko eines erneuten Brandes oder Druckabfalls zu vermindern, forschte die NASA gemeinsam mit den Russen nach den jeweiligen Unfallursachen. Leider ist die des Feuers noch nicht bekannt. Der betroffene Generator verbrennt zur Erzeugung von Sauerstoff Lithiumperchlorat. Die Besatzungen der Mir nutzten diese Geräte in vielen Fällen als Ersatz für den zentralen Sauerstoffgenerator. Einige NASA-Ingenieure vermuten, daß der Feststoff-Sauerstoffgenerator durch eine Vielzahl von Fehlzündungen beschädigt worden sei. Zur Zeit überlegen die Behörden beider Länder, ob das System verändert oder mit einer besseren Abschirmung versehen wird.
Die Ursachen für den Zusammenstoß mit der Progress-Kapsel sind mittlerweile bekannt. Der Test der neuen Andockstation war schlecht geplant. Der damalige Kommandant der Mir, Wasili Ziblijew, sollte die Entfernung zwischen dem Versorgungsschiff und der Raumstation anhand eines Videobildes taxieren, das eine Kamera an Bord der Progress-Kapsel lieferte. Doch wegen des gewählten Annäherungswinkels war auf dem Bild hinter der Mir die Erde zu sehen, was die Beobachtung der Raumstation erschwerte. Zudem war das Radar der Mir während des Tests abgeschaltet, und es bestand zu diesem Zeitpunkt keine Sprechverbindung zur Bodenstation.
Die Vertreter der NASA waren über diese Schwachpunkte nicht vorher informiert worden; sie bestehen nun auf genaueren Informationen über russische Tests an den Andocksystemen, um eine ähnliche Kollision auf der Internationalen Raumstation zu verhindern. Diese wird drei Andockmöglichkeiten für die russischen und europäischen Raumschiffe und zwei für das Space Shuttle haben. Frank Culbertson, der Direktor des Shuttle-Mir-Programms meint: „Wir haben unsere Sicherheitsmaßnahmen deutlich verbessert. Besatzungen und Bodenmannschaften werden für künftige Zwischenfälle besser ausgebildet.“
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1998, Seite 39
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