Ausstellung früher Photographien von Samoa - ein Aspekt der Südsee-Kolonialpolitik
Der Sprachgebrauch, daß man ein Photo "schießt", hat ersichtlich mehr als nur die übertragene Bedeutung. Das Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde in Köln zeigt zur Zeit ein sehr eindrucksvolles historisches Beispiel dafür, wie Bilder sich in politische Zwecke umsetzen lassen und dann ein Weltbild wesentlich mit prägen können: Zum westlichen Mythos vom paradiesischen Leben in der Südsee, wie er teilweise noch bis heute wirksam ist, wie auch von der Exotik wilder Stämme, die zu missionieren und im europäischen Sinne zu zivilisieren seien, hat die Photographie um die Jahrhundertwende erheblich beigetragen.
Der polynesische Samoa-Archipel war ein Hauptziel solcher Aktivitäten. Die Direktorin des Southeast Museum of Photography in Daytona Beach (Florida), Alison Devine Nordström, und ich konnten bei Recherchen in annähernd 80 völkerkundlichen Archiven und Privatsammlungen Mitteleuropas, der Vereinigten Staaten, Australiens und Neuseelands in mehr als vier Jahren mehrere zehntausend vintage-Aufnahmen, also vom Photographen selbst autorisierte Abzüge, auswerten. Fast 200 davon werden nun unter dem Titel "Bilder aus dem Paradies. Koloniale Fotografie aus Samoa 1875 – 1925" ausgestellt.
Die kleine tropische Inselgruppe im zentralen Pazifischen Ozean ist seit 1899 politisch zweigeteilt. Zehn Jahre zuvor einigten sich die drei dort vertretenen Kolonialmächte Deutschland, Großbritannien und die Vereinigten Staaten auf einer Konferenz in Berlin, die westlichen Inseln Upolu, Savai'i, Manono und Apolima den Deutschen zu überlassen, die östlichen Tutuila, Aunu'u und die Manu'a-Gruppe den USA. West-Samoa, seit 1920 neuseeländisches Mandatsgebiet, wurde 1962 als Samoa i Sisifo unabhängig; der Osten hat zwar seit 1967 Selbstverwaltungsrechte, steht aber als "nichtinkorporiertes Territorium" noch immer unter Regierungsgewalt der Vereinigten Staaten, die ein Gouverneur ausübt.
Vor nunmehr rund 150 Jahren begann für Samoa, das wirtschaftlich wenig bedeutend war, koloniale Herrschaft. Es wurde bald nach seiner Entdeckung im Jahre 1722 durch den Niederländer Jacob Roggeveen für die Kolonialstaaten ein strategisch wichtiger Punkt mit Pago Pago, der heutigen Hauptstadt Amerikanisch-Samoas, als wichtigstem Anlaufhafen.
Mit der aufkommenden Photographie wurden bald Aufnahmen vom Alltags- und Festleben auf den Inseln weltweit populär, wovon allein schon ihre beeindruckende Zahl zeugt. In der ersten Zeit betätigten sich photographisch vor allem Forscher, Missionare und Marinesoldaten, aber bald entstand auch ein einträglicher kommerzieller Zweig. Bereits in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es in der Hafenstadt Apia auf der Insel Upolu, die jetzt Hauptstadt West-Samoas ist, drei Photostudios, die ihre nach zeitgenössischem europäischem Muster ästhetisch gestalteten Produkte – Portraits der Einheimischen und Gruppenphotos zu verschiedensten Sujets, zumeist im Studio gestellt, wie auch Landschaftsaufnahmen – als Einzelabzüge, Postkarten oder Souvenirdrucke an Kolonialbeamte, Reisende und Wissenschaftler sowie nach Übersee verkauften (Bild 1). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden zudem Photoamateure mehr und mehr aktiv, so daß nahezu jede ethnographische Sammlung der westlichen Welt mit diesen Zeugnissen des kolonialzeitlichen Samoa bestückt ist.
Die Ausstellung will unter anderem zeigen, wie man damals der den Europäern völlig fremden Kultur westliche Vorstellungen überstülpte, sie also nach eigenen Klischees deutete. Auch mittels der Photographie hat man diese Welt sozusagen vereinnahmt. Immer wieder tauchen die gleichen Motive auf – Stereotypen, die der Europäer verstand, weil sie zu vorgeformten Vorstellungen paßten, die aber zugleich seinem Alltag fremd genug waren, um ihn exotisch anzumuten und seine Phantasie zu reizen; unter dem Vorwand ethnologischen Interesses konnte sich auch der lüstern-prüde Bourgeois erlauben, Konterfeis halbnackter Menschen zu betrachten. Der Inhalt der Bilder schien zu bestätigen, was Seefahrer berichtet hatten: Die Südseebewohner leben sorglos, sind unschuldig schön wie Kinder, aber auch gleichermaßen von jeder Kultur unberührt und bedürfen deswegen der Führung und Anleitung des zivilisatorisch weit überlegenen westlichen Menschen. Höhepunkt dieser Entwicklung war der Hollywood-Film "Moana: A Romance of the Golden Age" von Frances Hubbard und Robert Flaherty aus dem Jahre 1924, dessen Standphotos nach mehr als 60 Jahren erstmals wieder in Deutschland zu sehen sind.
Die Art, wie man das Fremde durch eigenkulturelle Darstellungsmittel visuell vereinnahmte, war sicherlich keine bloße Zeiterscheinung, sondern ist im Prinzip heute noch anzutreffen. Andere Lebensmuster pflegt man eben nicht mit den fremden, sondern mit den eigenen Kriterien zu betrachten – sogar auch dann, wenn dies wie im Falle der amerikanischen Anthropologin Margaret Mead durchaus nicht geschehen sollte (Bild 2).
Die Ausstellung wurde von der UNESCO als Projekt der "Weltdekade für kulturelle Entwicklung" ausgezeichnet und steht unter der Schirmherrschaft des Botschafters von West-Samoa in Brüssel, Afamasaga Toleafoa. Sie ist noch bis zum 7. Mai in Köln zu sehen und geht anschließend nach Oxford, Daytona Beach und New York.
In Abstimmung und Kooperation mit beiden samoanischen Regierungen und der Deutschen UNESCO-Kommission ist zudem als integraler Bestandteil des Projektes geplant, unter größtmöglicher Beteiligung der einheimischen Bevölkerung hochwertige Kopien der Originalphotographien in Samoa selbst – in kommunalen Einrichtungen wie Schulen, Bibliotheken und Gemeindezentren – zu präsentieren und dies wie auch die Ausstellung zu dokumentieren. Die Reproduktionen sollen später in der Nelson-Gedenk-Bibliothek in Apia beziehungsweise in Pago Pago auf Tutuila in den Territorial-Archiven verbleiben.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1995, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben