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Bäume als Zeitzeugen

Über 12000 Jahre in die Vergangenheit reichen die Jahr-ringmuster archäologischer Hölzer. Damit lassen sich unbekannte Funde einordnen und Radiokarbondaten eichen.


Der Wechsel der Jahreszeiten ist ein Segen für die Wissenschaft, denn Bäume bilden in unseren gemäßigten Klimazonen Jahrringe aus, und die eignen sich als Kalender. Im Frühling wachsen im Stamm große, dünnwandige Zellen für den Wassertransport, im Spätsommer kleine, dickwandige, die für die nötige Stabilität sorgen. So manifestieren sich aufeinander folgende Jahre als abrupte Übergänge im Holzquerschnitt – eben als Jahrringe. War das Jahr gut für den Baum, konnte er viel Masse bilden, und der Ring ist breiter als beispielsweise in einem trockenen Jahr. Deshalb bilden Folgen dieser Ringe charakteristische Muster, die bei gleichzeitig gewachsenen Bäumen einer Art und Region weitgehend übereinstimmen.

Der Astronom A. E. Douglass (1867 –1962), zuletzt an der Universität von Arizona in Tucson tätig, erkannte das als Erster. Er untersuchte Bäume in der Hoffnung, Sonnenfleckenzyklen in den Ringbreiten wieder zu finden. Dabei entdeckte er Ähnlichkeiten in den Jahrringmustern gleichzeitig gewachsener Exemplare. Der Umkehrschluss lag nahe, und anhand von Bäumen bekannten Alters konnten Wissenschaftler nun andere Hölzer jahrgenau datieren, indem sie die Jahrringmuster zur Deckung brachten. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts etablierte der Forstbotaniker Bruno Huber an der Technischen Universität Tharandt bei Dresden die Methode in Europa. Sein Schüler, der Forstbotaniker Bernd Becker, begann in den siebziger Jahren an der Universität Hohenheim bei Stuttgart die längste Jahrringchronologie der Welt aufzubauen. Über 10000 einander überlappende Muster von Eichen wurden vermessen, zur Deckung gebracht und so Stück für Stück zu einer Chronologie gemittelt. Den einzelnen Baum betreffende Ereignisse wie Schädlingsbefall, Schneebruch oder Blitzschlag filtert man durch die Vielzahl an Jahrringmustern heraus. Mittlerweile gibt es weltweit Datierungskurven für verschiedene Holzarten und Regionen.

Bevor eine solche Datensammlung steht, müssen Proben entnommen, präpariert und vermessen werden. Für den Aufbau von Chronologien sägen wir Scheiben aus frisch gefällten Stämmen, aus Balken alter Gebäude und aus Hölzern archäologischer Grabungen. Können keine Scheiben gewonnen werden, weil beispielsweise ein Balken tragende Funktion hat, verwenden wir Hohlbohrer; deren Bohrkerne enthalten aber unter Umständen Wachstumsstörungen.

Im Labor werden die Scheiben in handliche Stücke zersägt und die Ringe entlang mehrerer Radien mit Rasierklingen sichtbar gemacht. Mit stark vergrößernden Stereolupen auf hochpräzisen Messtischen vermessen wir deren Ringbreiten. Die so gewonnenen Daten werden dann abgeglichen und im Computer gemittelt – eine Jahrringkurve entsteht. Sie wird mit einer bestehenden Chronologie verglichen und so datiert. Dann kann man sie dieser hinzufügen, um die Statistik zu verbessern oder gar den Datensatz zu verlängern.

Für vieltausendjährige Chronologien verwenden wir in gleicher Weise auch "subfossile" Bäume. Das sind Exemplare, die einst in Mooren oder Flusstälern umstürzten und dann im nassen Milieu eingeschlossen wurden. Das hielt Sauerstoff weitgehend fern und verhinderte so den Abbau des Holzes durch Mikroben. Moor-Eichen kommen immer wieder bei der Entwässerung von Feuchtgebieten zu Tage, Fluss-Eichen und -Kiefern bei der Kiesförderung. Aus den Stämmen, die 15 Meter lang und 1,5 Meter dick sein können, sägen wir Scheiben möglichst nahe der Wurzel heraus, um viele Ringe zu gewinnen.

Die Analyse der Wachstumsverhältnisse, Holzarten und Fundhäufung solcher Bäume lässt sogar Rückschlüsse auf das Aussehen einstiger Urwälder zu. Kiefern wuchsen in unseren Flusstälern in der ausgehenden Eiszeit, also seit etwa 14500 Jahren, wurden aber vor etwas mehr als 10000 Jahren mit dem Ansteigen der Temperaturen von Eichen verdrängt. Diese dominierten bis ins frühe Mittelalter, dann kamen Ulme, Pappel und Weide hinzu. Vermutlich hatte der Mensch die Bestände des hochwertigeren Baumes reduziert. Die Täler waren aber nicht immer mit dichtem Wald bedeckt. Schon während der Bronzezeit gab es Phasen der Auflichtung, möglicherweise ebenfalls ein Indiz für den Einfluss des Menschen.

Auch Hinweise auf kurz- und langfristige Klimaschwankungen sowie Änderungen der Umwelt sind im Holz gespeichert: Stabile Isotope von Sauerstoff, Wasserstoff und Kohlenstoff kommen in bestimmten Konzentrationen in der Luft und im Wasser vor und werden von Pflanzen in die Zellulose eingebaut, wobei sie das leichtere Isotop bevorzugen. Wenn die Bäume bei Hitze und Trockenheit die Spaltöffnungen ihrer Blätter schließen, um die Verdunstung zu verringern, steigt der Anteil am schweren Isotop. Diese Verhältnisse lassen sich im Holz messen und so Änderungen der Umwelt jahrgenau rekonstruieren. So belegt der kontinuierliche Anstieg von schwerem Kohlen- und Wasserstoff in Kiefernholz für die Dauer von hundert Jahren den zunehmenden Stress, dem die Bäume durch die Erwärmung vor etwa 11400 Jahren ausgesetzt waren.

Darüber hinaus haben Jahrringchronologien die Radiokarbonmethode geeicht, seinerseits ein Verfahren der Altersbestimmung von organischem Material: Das radioaktive Kohlenstoff-Isotop 14C wird in der oberen Atmosphäre durch kosmische Strahlung gebildet, von lebenden Organismen aufgenommen und in ihr Zellgerüst eingebaut. Das Verhältnis von 14C zu dem häufigeren und stabilen 12C im Lebewesen entspricht zu diesem Zeitpunkt dem in der Atmosphäre. Nach dem Tode wird kein radioaktives Isotop mehr eingelagert, die vorhandene Menge zerfällt mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren (nach dieser Zeit hat sich die Konzentration daran jeweils halbiert); 50000 Jahre später ist es nicht mehr nachweisbar. Bis dahin aber lässt sich die Relation von 14C zum stabilen 12C bestimmen und mit dem Verhältnis in der Atmosphäre vergleichen, mithin also das Alter einer Probe ermitteln – vorausgesetzt, die Atmosphäre enthielt in den vergangenen 50000 Jahren stets dieselbe Konzentration an 14C. Das war aber nicht der Fall. Vor allem entstand mehr davon bei schwächerem Erdmagnetfeld oder geringerer Sonnenaktivität, während in die Tiefe absinkende Meeresströmungen je nach Stärke der Ozeanzirkulation unterschiedlich viel 14C aus der Atmosphäre entnommen haben. Deshalb waren Radiokarbon-Datierungen lange wenig verlässlich, bestimmten beispielsweise das Alter von altägyptischen Hölzern zu jung im Vergleich zur Datierung anhand schriftlicher Belege.

Altes Holz im Tagebau


Dendrochronologisch datierte Hölzer boten sich zur Korrektur an. Für mittlerweile 12000 Jahre lassen sich Radiokarbon- in Kalenderjahre umrechnen. Eine solche kalibrierte Altersangabe kann heute auf wenige Jahrzehnte genau sein. Die Kalibrationskurve eignet sich auch dazu, in Verbindung mit Daten aus Eisbohrkernen oder See- und Meeresablagerungen die Einflüsse von Sonnenaktivität und Meeresströmungen auf das Klima der Vergangenheit zu erforschen.

Derzeitig arbeiten wir an der Verlängerung der Jahrringchronologie, um noch weiter in die letzte Eiszeit zu gelangen. Möglichkeiten dafür bietet beispielsweise der Braunkohle-Tagebau in Brandenburg und Sachsen. Dort werden riesige Flächen geöffnet und alte Sedimente damit zugänglich. Mitte der neunziger Jahre entdeckten Archäologen im Vorfeld des Tagebaus Cottbus-Nord Schichten mit Überresten von lichten Kiefern-Birken-Wäldern, die einst auf sandigen Böden wuchsen. Die aus den Kiefern erstellte Chronologie umfasste mehr als 300 Jahre und begann vor über 12000 Jahren, also am Ausgang der letzten Eiszeit. Als noch älter erwies sich ein Fund im sächsischen Tagebau Reichwalde. Seit 1995 decken Archäologen dort ein Moor ab, das ebenfalls einen Kiefern-Birken-Wald konserviert hatte. Diese Kiefernchronologie erstreckt sich sogar über 1000 bis 1500 Jahre, das 14C-Alter beträgt 14300 bis 12900 Jahre.

Aus diesem "Spätglazial" gibt es weitere Jahrringchronologien aus Süddeutschland, der Schweiz und Nord-Italien. In Zusammenarbeit mit dem Schweizer Geographen K. F. Kaiser, Gymnasiallehrer und Dozent in Hohenheim, wollen wir sie zu einem lückenlosen Jahrringkalender der letzten 15000 Jahre kombinieren, um vergangene Klimata zu rekonstruieren und so aktuelle Entwicklungen besser zu verstehen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2001, Seite 86
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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