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Bakterien schützen die Pilzgärten von Blattschneiderameisen

Die hochentwickelte Partnerschaft zwischen Blattschneiderameisen und den Pilzen, die sie in unterirdischen Gärten kultivieren, ist ein Lehrbuchbeispiel für Symbiose. Nun wurde überraschend ein dritter Partner entdeckt – ein Bakterium, das auf dem Körper der Ameisen wächst; es produziert Antibiotika, die eine Infektion der Pilzkulturen durch einen Schmarotzerpilz verhindern.


Vor rund 50 Millionen Jahren fand bei einigen staatenbildenden Ameisen in Südamerika eine Entwicklung statt, die viel später auch der Mensch durchmachte. Ursprünglich Jäger und Sammler, wurden die Tiere zu Farmern und Gärtnern, die ihre Nahrung selbst erzeugen. Auch ihre modernen Nachfahren, die Blattschneiderameisen (Attini), pflegen diese Tradition: Sie züchten bestimmte Pilze, von denen sie Teile verzehren.

Die über 200 verschiedenen Arten der Gattungen Atta und Acromyrmex sind hauptsächlich in den feuchtwarmen Gebieten des tropischen Südamerika beheimatet. Sie legen Erdnester an, in die sie alle möglichen Stoffe schaffen. Urtümliche Arten sammeln zum Beispiel Insektenkot; höher entwickelte Formen tragen dagegen zerschnittene Blätter und Blüten der verschiedensten Pflanzen ein.

Schon am Rand größerer Städte – beispielsweise im Amazonasgebiet – kann man die "Sauba", wie die Brasilianer die Blattschneiderameisen nennen, bei ihrem Treiben beobachten. Ohne sich durch die Menschen im geringsten stören zu lassen, sind sie eifrig damit beschäftigt, mit ihren kräftigen Kiefern Stücke von abgefallenen Mango- und Orangenblättern abzuschneiden; teils holen sie ihre Beute auch von den Bäumen selbst. Der Anblick einer langen Reihe von Tierchen, die auf eigens gebahnten "Trampelpfaden" ihre Blattstücke wie grüne Segel oder Sonnenschirme mit sich schleppen, bevor sie im Eingang ihres unterirdischen Nests verschwinden, ist ausgesprochen putzig.

Kolonien mancher Atta-Arten können bis zu acht Millionen Ameisen umfassen; das entspricht der Biomasse einer ausgewachsenen Kuh. Auch die Blattmasse, die von solchen großen Kolonien täglich abgeschnitten wird, deckt sich etwa mit dem Grünfutter-Tagesbedarf eines Rindes. Deshalb können die Tiere in Pflanzungen beträchtlichen Schaden anrichten.

Die Blattschneiderameisen ernähren sich jedoch nicht direkt von den eingetragenen Blättern. Vielmehr werden die Pflanzenstücke zu einer breiigen Masse zerkaut, die als Nährboden für bestimmte Pilze dient. Diese zählen zu den Schirmlingsartigen (Familie Lepiotaceae), sind also Verwandte des Champignons. Unter der Hege der Ameisen bilden die Pilzfäden an ihren Enden Verdickungen, die als Gongylidien, Bromalien oder Kohlrabi bezeichnet werden. Die Ameisen pflücken diese sehr eiweißreichen Knöllchen und ernähren damit sich selbst und ihre Brut.

Die Partnerschaft zwischen Blattschneidern und Pilzen nützt beiden. Der Pilz profitiert beispielsweise davon, daß ihm die Ameisen die Verwertung von Pflanzenmaterial wesentlich erleichtern, indem sie die pilzabwehrende äußere Schicht der Blätter zerstören. Die Ameisen andererseits haben den Vorteil, daß der Pilz die Cellulose des Pflanzenmaterials aufschließt und so für sie nutzbar macht. Außerdem zersetzt er die chemischen Verbindungen, welche die Pflanzen zur Abwehr von Ameisen und anderen Insekten enthalten, so daß sich in dem Pilzgewebe, das die Tiere konsumieren, keine pflanzlichen Insektizide mehr finden.

Die Blattschneiderameisen nahmen schon im Denken der indianischen Urbevölkerung einen bedeutenden Platz ein. Beispielsweise sind sie im Schöpfungsmythos der zentralamerikanischen Maya-Kultur, dem "Popul Vuh", erwähnt. Der Grund für das Sammeln und Eintragen der Blätter blieb jedoch lange ein Rätsel. Der englische Naturforscher Henry Walter Bates (1825-1892), der Mitte des letzten Jahrhunderts den Amazonas bereiste, behauptete noch, die Blätterstücke dienten den Ameisen dazu, die Eingänge zu den Erdnestern abzudecken, um so die junge Brut in den unterirdischen Kammern vor den sintflutartigen Regenfällen zu schützen. Die überraschende Wahrheit entdeckte schließlich Thomas Belt, der sich als Bergbauingenieur und Naturforscher in Nicaragua aufhielt. Er schrieb 1874: "Ich glaube, daß die Ameisen die Blätter als eine Art Dung oder Mist verwenden, auf dem ein kleiner Pilz wächst, von dem sie sich ernähren; sie sind also tatsächlich Pilzzüchter und Pilzesser."

Seit jener Erkenntnis war diese Symbiose Gegenstand eingehender wissenschaftlicher Forschung. Dennoch wurde die Komplexität der wechselseitigen Beziehung bis vor kurzem stark unterschätzt. Nach jüngsten Untersuchungen eines kanadisch-panamaischen Forscherteams um Cameron R. Currie ist nämlich noch ein dritter Partner beteiligt, der bislang übersehen wurde (Nature, Bd. 398, S. 701-704).

Wie die Pflanzenkulturen der Menschen von Schädlingen heimgesucht werden – besonders dann, wenn es sich um Monokulturen handelt –, so sind auch die Pilzgärten der Ameisen von Parasiten bedroht. Die größte Gefahr geht von infektiösen Pilzen der Gattung Escovopsis aus, die zur Gruppe der Askomyceten (Schlauchpilze) zählen. Parasitische Escovopsis-Arten sind hochspezialisiert: Sie wurden bisher in den Gärten aller pilzzüchtenden Ameisen, aber nirgendwo sonst gefunden. Die meiste Zeit treten sie kaum in Erscheinung – als warteten sie auf ihre Chance. Diese kommt, wenn die Pilzgärten aus noch nicht genau bekannten Ursachen schlechter gedeihen. Dann werden die Parasiten virulent: Sie befallen und überwachsen die Pilzkultur, saugen sie aus und zerstören in kurzer Zeit die Ernte der Ameisen.

Die kanadisch-panamaischen Forscher entdeckten nun eine überraschende Antwort auf die Frage, wie der parasitische Pilz in den Ameisennestern normalerweise in Schach gehalten wird. Schon länger war bekannt, daß die Ameisen an ihrer Unterseite im Brustbereich einen puderigen weißlichen Belag tragen, der schon mit bloßem Auge erkennbar ist. Bisher hielt man ihn für eine wachsartige Ausscheidung. Currie und seine Kollegen aber stellten nun fest, daß es sich um fädige Bakterien der Gattung Streptomyces aus der Klasse der Actinomyceten ("Strahlenpilze") handelt.

Zu den Actinomyceten gehören viele im Boden lebende Bakterien, die dort oft in großen Mengen vorkommen. Sie produzieren zahlreiche Stoffe mit antibakterieller oder fungizider Wirkung. Die meisten Antibiotika, die in der Human- und Veterinärmedizin eingesetzt werden, sind Stoffwechselprodukte von Actinomyceten.

Das breiteste Spektrum an nützlichen Verbindungen weisen dabei die Streptomyceten auf. Allein vier der wichtigsten Antibiotika – Streptomycin, Tetracyclin, Chloromycetin und Actinomycin – werden von ihnen gebildet und ausgeschieden. Angesichts die-ser einzigartigen biosynthetischen Fähigkeiten der Strahlenpilze im allgemeinen und der Streptomyceten im besonderen lag der Gedanke nahe, die Streptomyces-Bakterien der pilzzüchtenden Ameisen könnten dazu dienen, das Wachstum von Schadpilzen zu unterdrücken.

Daß die Actinomyceten der Blattschneiderameisen tatsächlich Stoffe produzieren, die antimikrobiell wirksam und für die Ameisen von Nutzen sind, war leicht zu beweisen. Mit gängigen mikrobiologischen Tests prüften Currie und seine Mitarbeiter die Wirkung der Bakterien auf die Schlauchpilze der Gattung Escovopsis, die in den Gärten der Ameisen parasitieren. Tatsächlich wurde das Wachstum der Schmarotzer stark gehemmt, und ihre Sporen keimten nur zu einem kleinen Prozentsatz aus. Umgekehrt scheinen die Streptomyces-Bakterien den Nahrungspilz der Ameisen sogar direkt zu fördern. Wurde er mit der Kulturflüssigkeit gedüngt, in der vorher die Streptomyces-Bakterien gewachsen waren, so bildete er bis zu achtmal mehr Biomasse. Der Grund ist vermutlich, daß die Bakterien auch Vitamine und Aminosäuren abgeben, die dem Pilz zugute kommen.

Die Gründung neuer Kolonien verläuft bei den Blattschneidern nicht anders als bei allen anderen Ameisen. Aus einem blühenden Staat schwärmen zur Paarungszeit geflügelte Männchen und Weibchen aus. Nach dem Hochzeitsflug lassen sich die begatteten Königinnen zu Boden fallen, werfen ihre Flügel ab und machen sich auf die Suche nach einem geeigneten Platz zur Gründung einer neuen Kolonie. Dort gräbt die angehende Stammutter eines neuen Volkes die erste kleine Brutkammer. Vor dem Verlassen des alten Nests hat sie sich instinktiv mit einer kleinen Menge des dort gezüchteten Pilzes versorgt und sie in einem besonderen Behälter unterhalb des Mundes untergebracht. Mit diesem Material legt sie nun Pilzbeete an und düngt sie mit ihren Ausscheidungen.

Wenn die Larven aus den ersten Eiern schlüpfen, ist der Pilzgarten schon so weit herangewachsen, daß er genügend Nahrung für die Brut bietet. Die rasch wachsende Kultur bildet die Grundlage für das Erblühen des neuen Staates.

Wie Currie und seine Kollegen jetzt feststellten, führen die Königinnen auch die Streptomyces-Bakterien mit, wogegen die geschlechtsreifen Männchen, die nach der Hochzeit sterben, offenbar frei davon sind. Später tragen auch alle Arbeiterinnen des neu gegründeten Staats Streptomyces auf der Körperunterseite und verbreiten die Bakterien über die ganze Pilzkultur. Schadpilze der Gattung Escovopsis werden dagegen nicht von der Königin aus der alten in die neue Kolonie mitgeführt, sondern erst später von Arbeiterinnen unabsichtlich eingeschleppt.

Wie die kanadisch-panamaischen Forscher herausfanden, wirken die Antibiotika der Streptomyces-Bakterien spezifisch nur gegen die Parasiten in den Pilzkulturen der Blattschneiderameisen. Keiner der sonst in mikrobiologischen Tests üblicherweise benutzten Pilze wurde von ihnen im Wachstum gehemmt. Im Gegenzug sorgen die Ameisen für die Verbreitung der Bakterien in einem für diese günstigen Lebensraum und bieten ihnen eine Nahrungsgrundlage für ihr Wachstum. Diese hochgradige wechselseitige Anpassung beweist, daß die Streptomyceten tatsächlich ein essentieller Partner in einer ungewöhnlichen Dreier-Symbiose sind


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1999, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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