Begleiter junger Sterne
Erst in den letzten Jahren erkannten Astronomen, daß bereits die jüngsten Sterne gewöhnlich in Zweier- oder Dreiergruppen auftreten. Dieser überraschende Befund trägt wesentlich dazu bei, die Entstehung von Sternsystemen besser zu verstehen.
Fernab von allen Teleskopen, die das Universum ergründen helfen, geriet am 6. April 1992 ein kleiner Bereich des kosmischen Weltbildes ins Wanken. Im Callaway Gardens Inn, einem Hotel auf dem nur 250 Meter hohen Pine Mountain 100 Kilometer südlich von Atlanta (US-Bundesstaat Georgia), hatten sich Astronomen zu einer internationalen Tagung über Doppelsterne zusammengefunden. Von den Experten dieses Forschungsgebietes erwartet die Disziplin eigentlich keine revolutionären Umbrüche, weil ihre Untersuchungsobjekte oft Jahrzehnte brauchen, um einander zu umrunden. Doch diesmal fügten sich die von mehreren Wissenschaftlern präsentierten Einzelbefunde – Ergebnisse mühsamer Beobachtungen mit trickreichen Verfahren und modernsten Geräten – zu einem sehr überraschenden, aber einheitlichen Bild zusammen: Demnach haben entgegen der bisherigen Annahme selbst die jüngsten Sterne häufig stellare Begleiter.
Dem Laien mag es als durchaus plausibel erscheinen, daß junge Sterne mindestens ebenso oft paarweise vorkommen wie ältere, doch auf die Astronomen wirkte diese Erkenntnis wie ein Schock. Den meisten Theorien über die Entstehung solcher Systeme zufolge sollten nämlich stellare Partner erst lange nach der Entstehung eines Sterns gebildet oder von ihm eingefangen werden. Folglich müßten die jüngsten Sterne allein im Raum stehen.
Doch derartige Vorstellungen erwiesen sich an jenem Tag unversehens als überholt. Aber nach den Diskussionen im Callaway Gardens Inn blieb mindestens ein Modell zur Entstehung von Doppelsternen übrig, das mit den jüngsten Beobachtungen in Einklang steht und vielleicht die einzige Erklärung zu liefern vermag, warum solche paarweisen Gruppierungen großer Himmelskörper so häufig sind.
Ein seltener Einzelgänger
Die meisten Sterne, die so alt und so weit entwickelt sind wie die Sonne, befinden sich in Mehrfachsystemen; doch unser Tagesgestirn hat, soweit wir wissen, kein gravitativ gekoppeltes Pendant. Richard A. Muller vom Lawrence-Berkeley-Laboratorium in Kalifornien und einige seiner Kollegen stellten dennoch 1984 die Hypothese auf, daß die Sonne von einem weit entfernten Begleitstern auf einer elliptischen Bahn mit einer Periode von etwa 30 Millionen Jahren umrundet werde. Sie meinten, damit das ungefähr in diesen Zeitabständen auftretende katastrophale Aussterben von Tierarten erklären zu können: Jedesmal, wenn sich der Begleiter der Sonne näherte, könnte er durch seine Gravitationswirkung die Umlaufbahnen von Materiebrocken in den Außenbereichen des Sonnensystems derart stören, daß ein Schauer von Kometen zu den inneren Planeten gelenkt und auch die Erde bombardieren würde. Wegen dieser unheilbringenden Eigenschaft nannte Muller den hypothetischen Partner der Sonne "Nemesis", nach der Göttin, die in der griechischen Mythologie Vergeltung, Strafe und Mißbilligung menschlicher Überheblichkeit personifizierte.
Die meisten Astronomen lehnen Mullers interessante Idee jedoch ab. Die nächsten bekannten Sterne (die des Dreifachsystems Alpha Centauri) sind mit 4,2 Lichtjahren viel zu weit entfernt, um gravitativ an die Sonne gebunden sein zu können; und bisher gibt es keinen Hinweis darauf, daß unser Zentralgestirn etwas anderes wäre als ein Einzelstern, dessen größter Begleiter – nämlich der Planet Jupiter – eine 1000fach kleinere Masse aufweist als er selbst.
Doch offenbar verzerrt der Umstand, daß die Menschheit auf einem Planeten lebt, der um einen stellaren Einzelgänger kreist, unsere Vorstellung vom Kosmos. Sternsysteme mit zwei, drei oder mehr sonnenähnlichen Komponenten sind nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel.
Mehrfachsysteme
Antoine Duquennoy und Michel Mayor vom Observatorium in Genf beendeten 1990 eine umfangreiche Durchmusterung naher Doppelsterne. Sie berücksichtigten alle, die weniger als 72 Lichtjahre von der Sonne entfernt sind und wie diese zu den sogenannten G-Zwergen gehören. Die Stichprobe umfaßte somit 164 Hauptkomponenten, die für Sterne in der galaktischen Scheibe repräsentativ sein sollten. Die beiden Forscher konstatierten, daß nur ein Drittel dieser Systeme als echte Einzelsterne anzusehen sind; die übrigen haben Begleiter, die mehr als ein Hundertstel der Sonnenmasse aufweisen, was etwa dem Zehnfachen der Jupitermasse entspricht.
Doppelsternsysteme sind sehr unterschiedlich ausgeprägt. In manchen aus G-Zwergen bestehenden berühren sich die Komponenten beinahe, in anderen sind sie fast 0,3 Lichtjahre voneinander entfernt. Dementsprechend variieren die Umlaufzeiten von wenigen Stunden bis zu einigen Dutzend Millionen Jahren. Duquennoy und Mayor zeigten, daß drei- und vierfache G-Zwergsterne wesentlich seltener sind als doppelte: Sie zählten 62 unterschiedliche Doppel-, aber nur sieben Dreifach- und zwei Vierfachsysteme.
Des weiteren stellten sie fest, daß die wechselseitigen Abstände in den Mehrfachsystemen hierarchisch abgestuft sind: Ein relativ enges Paar hat entweder (bei einem Dreifachsystem) einen gemeinsamen Schwerpunkt mit einem fernen Einzelstern oder (bei einem Vierfachsystem) mit einem anderen engen Doppelstern. Damit eine solche Konfiguration für lange Zeit stabil bleiben kann, muß der Abstand zwischen den fernen Partnern mindestens das Fünffache desjenigen des engen Paares betragen. Es kommen zwar auch Anordnungen mit kleineren Abständen vor (die man nach einem jungen Vierfachstern im Orionnebel Trapez-Systeme nennt), doch sind ihre Relativbewegungen instabil, so daß sie irgendwann auseinanderfliegen werden. Nähern sich beispielsweise die Komponenten eines Dreifachsystems alle einander an, wird im allgemeinen diejenige mit der geringsten Masse hinausgeschleudert, und ein stabiles Sternenpaar bleibt zurück.
Können derart komplizierte Mehrfachsysteme Planeten aufweisen? Durchaus, denn stabile Bahnen sind möglich, sofern der Planet sich nahe an einer der stellaren Komponenten oder in großer Entfernung von ihnen allen befindet (Bild 4).
Der Bewohner einer Welt, die beispielsweise in sicherem Abstand um einen engen Doppelstern kreist, könnte phantastische Schauspiele wahrnehmen: Der Taghimmel würde von zwei dicht beieinander stehenden Sonnen erhellt, die innerhalb weniger Tage ihre Positionen vertauschten; und es wäre faszinierend zu beobachten, wie bei Sonnenauf- und -untergängen zuerst der eine und dann der andere glühende Ball über dem Horizont auftaucht beziehungsweise hinter ihm versinkt. Auch andere seltsame Himmelserscheinungen könnten auftreten, etwa wenn sich die beiden Sterne in periodischen Abständen bedecken und dann nur das Licht einer Sonne auf den Planeten gelangt.
Sternentstehungsgebiete
Die Sonne entstand vor etwa 4,6 Milliarden Jahren und hat damit etwa die Hälfte der Zeit hinter sich, in der sie ihre Energie aus dem Verbrennen von Wasserstoff bezieht. In etwa fünf Milliarden Jahren, wenn sie das Ende des sogenannten Hauptreihenstadiums erreicht hat, wird sie sich zu einem Roten Riesen aufblähen, der die inneren Planeten umschließt.
Bereits am Anfang ihrer Geschichte war der Radius der Sonne weit größer als heute. Damals ähnelte sie einer als T-Tauri-Sterne bezeichneten Klasse, die sich in den gegenwärtigen Sternentstehungsgebieten der Galaxis beobachten läßt. Während ihrer T-Tauri-Phase betrug der Radius etwa das Vierfache des heutigen Wertes von knapp 700000 Kilometern. Noch früher muß die Protosonne eine Ausdehnung von etwa 1,5 Milliarden Kilometern gehabt haben, was dem Zehnfachen des derzeitigen Abstands Erde-Sonne, also zehn Astronomischen Einheiten, entspricht.
Von heutigen T-Tauri-Sternen können Astronomen lernen, wie die Sonne in einem frühen Stadium ihrer Entwicklung aussah. Die nächstgelegenen dieser Objekte befinden sich in zwei Himmelsregionen, der Taurus- und der Rho-Ophiuchi-Molekülwolke, die jeweils etwa 460 Lichtjahre von der Erde entfernt sind (Bild 1). Der Umstand, daß junge Sterne stets in solche Gas- und Staubkonzentrationen eingebettet sind, ist ein überzeugendes Indiz für ihren Ursprung: Sie entstehen durch Kontraktion und nachfolgenden Kollaps von dichteren Gebieten in Wasserstoffmolekülwolken.
Weil junge Sterne zumeist auch von großen, lichtundurchlässigen Staubmengen umgeben sind, bleiben sie selbst mit den leistungsfähigsten Fernrohren dem menschlichen Auge verborgen. Bei infraroten Wellenlängen jedoch lassen sich ihre Staubhüllen, die durch die Strahlung der Sterne aufgeheizt sind, recht einfach nachweisen. Die Entwicklung von Infrarot-Detektoren trug deshalb wesentlich zum besseren Verständnis der Sternentstehung bei. Im Jahre 1992, während der Tagung auf dem Pine Mountain in Georgia, stellten mehrere Astronomen erste Resultate ihrer Infrarot-Durchmusterungen vor, mit denen sie stellare Begleiter von T-Tauri-Sternen in den Sternbildern Taurus und Ophiuchus aufzuspüren trachteten.
Andrea M. Ghez, die nun an der Universität von Kalifornien in Los Angeles tätig ist, sowie ihre Kollegen Gerry F. Neugebauer und Keith Matthews vom California Institute of Technology in Pasadena benutzten eine neuentwickelte elektronische Kamera am Fünf-Meter-Hale-Teleskop auf dem Mount Palomar, um die Umgebung bekannter T-Tauri-Sterne im nahen Infrarot bei einer Wellenlänge von 2,2 Mikrometern zu photographieren. (Sichtbares Licht hat Wellenlängen zwischen 0,4 und 0,7 Mikrometern.) Um die Auflösung zu verbessern, verwendeten sie die sogenannte Speckle-Interferometrie, ein Verfahren, bei der man viele Aufnahmen in rascher Folge jeweils nur wenige Millisekunden lang belichtet, so daß auf ihnen atmosphärische Turbulenzen, welche das Bild verschmieren würden, gleichsam eingefroren sind. Wie sich zeigte, weist fast die Hälfte der 70 untersuchten T-Tauri-Sterne stellare Begleiter in Abständen zwischen etwa 10 und 400 Astronomischen Einheiten auf – damit scheinen Doppelsysteme unter den jüngsten Sternen zweimal so häufig zu sein wie unter Hauptreihensternen (Bild 3).
Christoph Leinert vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und seine Kollegen verwendeten ebenfalls Speckle-Aufnahmen im nahen Infrarot. Von den 106 T-Tauri-Sternen, die sie untersuchten, haben demnach 43 nahe Begleiter. Dies deutet gleichfalls darauf hin, daß Doppelsysteme bei solch jungen Objekten weit häufiger sind als bei den sonnenähnlichen G-Zwergen.
Hans Zinnecker und Wolfgang Brandner von der Universität Würzburg sowie Bo Reipurth von der Europäischen Südsternwarte in La Silla (Chile) setzten eine hochauflösende digitale Kamera am europäischen New Technology Telescope ein, um 160 T-Tauri-Sterne bei einer Infrarot-Wellenlänge von einem Mikrometer aufzunehmen (Bild 2). Sie entdeckten 28 Begleiter mit Abständen von 100 bis 1500 Astronomischen Einheiten zur Hauptkomponente – etwa ein Drittel mehr, als bei entsprechenden älteren sonnenähnlichen Sternen zu erwarten wäre.
Michal J. Simon von der Staatsuniversität von New York in Stony Brook stellte eine neuartige Methode zum Auffinden junger Doppelsterne vor, die er mit Weng Ping Chen – inzwischen an der Nationalen Zentraluniversität von Taiwan in Chungli tätig – und mehreren Kollegen angewandt hatte: Weil der Mond innerhalb von vier Wochen einmal die Erde umrundet, überdeckt er auf seiner scheinbaren Bahn an der Himmelssphäre gelegentlich einen Hintergrundstern. Ist dieser nun in Wahrheit ein Mehrfachsystem, verschwinden die Komponenten nacheinander hinter dem scharfen Rand der Mondscheibe. Durch zeitlich hochaufgelöste Beobachtungen des Sternenlichts läßt sich dann die Anwesenheit stellarer Begleiter enthüllen, und zwar auch von solchen, die sich sehr nahe an der Hauptkomponente befinden und mit Infrarotkameras nicht mehr erfaßt werden können. Die Messungen von Simons Team zeigten erneut, daß ein großer Teil der T-Tauri-Sterne Doppelsysteme sind.
Dieselbe herkömmliche Methode wie Duquennoy und Mayor wandte Robert D. Mathieu von der Universität von Wisconsin in Madison an. Durch spektroskopische Messung der Doppler-Verschiebung, die mit der Umlaufperiode variiert, wies er nach, daß einige T-Tauri-Sterne Begleiter mit Abständen von weniger als einer Astronomischen Einheit haben. Auch für solch enge Doppelsternsysteme gilt, daß ihre Häufigkeit unter jungen Sternen höher ist als unter sonnenähnlichen (Bild 3).
Auf der Suche nach einer Theorie
Woher kommen all diese stellaren Begleiter? Warum entstanden sie so häufig und in einem so frühen Entwicklungsstadium? Aus den vielen Beobachtungen, die im Callaway Gardens Inn vorgestellt wurden, folgt, daß Doppelsterne sich schon lange vor ihrer Vor-Hauptreihenphase (dem T-Tauri-Stadium) bilden müssen und daß dieser Mechanismus – welcher Art auch immer – äußerst effizient ist.
Im Prinzip könnte ein Doppelsternsystem entstehen, wenn zwei Einzelsterne so nahe aneinander vorbeiziehen, daß sie sich gegenseitig in eine stabile Umlaufbahn zwingen würden. Doch dafür müßte ein drittes Objekt anwesend sein, das die überschüssige Bewegungsenergie aufzunehmen vermag. Derartige Drei-Körper-Begegnungen sind aber zu selten, als daß sie nennenswert zu der registrierten Doppelstern-Häufigkeit beitragen würden.
Cathy J. Clarke und James E. Pringle von der Universität Cambridge (England) untersuchten denn auch eine häufiger anzutreffende Konfiguration: die gravitative Kopplung zwischen jungen Sternen, die noch von flachen Gas- und Staubscheiben umgeben sind. Diese zirkumstellaren Scheiben könnten – zumindest theoretisch – genügend kinetische Energie aufnehmen; wie die genauere Analyse jedoch zeigte, würden sie dabei viel eher zerrissen werden. Folglich scheint auch diese schöne Idee die Bildung von Doppelsternsystemen nicht erklären zu können.
Deshalb mußten die Astronomen wieder über eher direkte Entstehungsprozesse nachdenken. Bereits der britische Physiker William Thomson (1824 bis 1907) – der spätere Lord Kelvin – hatte 1883 gemutmaßt, Doppelsterne entstünden durch "Rotationsspaltung". Ausgehend von Studien über die Stabilität von schnell rotierenden Körpern wies er darauf hin, daß ein Stern sich immer rascher drehen müsse, wenn er sich zusammenzieht – ähnlich einer Eisläuferin bei einer Pirouette. Schließlich würde er zerbrechen und aus den Trümmern ein Doppelstern entstehen. Inzwischen wissen die Astronomen zwar, daß Vor-Hauptreihensterne sich beträchtlich zusammenziehen, während sie sich dem Wasserstoffbrennen – dem Hauptreihenstadium – nähern; doch T-Tauri-Sterne rotieren nicht schnell genug, um instabil zu werden. Zudem würde der von Kelvin vorgeschlagene Mechanismus zu spät einsetzen, als daß er die Häufigkeit junger Doppelsternsysteme erklären könnte. Und wie Richard H. Durisen von der Indiana-Universität in Bloomington und seine Kollegen zeigten, muß ein solcher Bildungsprozeß auch aus theoretischen Gründen scheitern: Berechnungen ergaben, daß die von der ursprünglichen Masse fortgeschleuderte Materie als spiralförmiger Gasstrom enden würde und nicht als separater Stern.
Ein erst vor etwa zehn Jahren entwickeltes Modell, die Fragmentierung, scheint eine realistischere Erklärung zu liefern. Demnach entstehen Doppelsysteme, wenn eine dichte Molekülwolke unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabiert und sich zu Protosternen formt; sobald sich die anfänglich vorhandene Hülle aus Gas und Staub weitgehend aufgelöst hat, wird der neu entstandene Doppelstern (vom Typ T Tauri) erkennbar. Im Gegensatz zu älteren Theorien steht die Fragmentierung völlig im Einklang mit den neuesten Beobachtungen junger Sterne.
Verglichen mit der mehrere Milliarden Jahre währenden Entwicklungsphase von Sternen läuft der protostellare Kollaps, der die Fragmentierung ermöglicht, relativ rasch ab: innerhalb weniger hunderttausend Jahre. Diese für astronomische Verhältnisse fast spontan zu nennende turbulente Kompaktierung einer diffusen Wolke bietet eine besondere Gelegenheit dafür, daß eine Materieballung in mehrere Untereinheiten zerfällt. Offenbar sind dabei, wie Astrophysiker ermittelten, Temperatur und Drehimpuls die wesentlichen Faktoren: Sehr kalte Wolken können direkt zu Doppelsternen fragmentieren, wohingegen wärmere mit stärkerer Rotation zunächst dünne Scheiben bilden und später, wenn sie mehr Masse angesammelt haben oder immer flacher geworden sind, aufbrechen.
Nebulöse Ideen
Der bedeutendste Einwand gegen die Theorie der Fragmentierung betraf die Materieverteilung in protostellaren Wolken. Früher nahm man an, sie würde sich durch ein Potenzgesetz beschreiben lassen. Demnach wäre die Materie im wesentlichen in der Nähe des Wolkenzentrums konzentriert, und ihre Dichte würde nach außen hin rapide abfallen (Bild 6). Unter solchen Voraussetzungen könnten jedoch, wie Elizabeth A. Myhill von der Universität von Kalifornien in Los Angeles und ich unabhängig voneinander zeigten, kaum Mehrfachsysteme entstehen.
Aktuelle radioastronomische Beobachtungen im Submillimeterbereich mit hoher Auflösung scheinen denn auch eine andere Form der Materieverteilung nahezulegen: Im vergangenen Jahr untersuchte eine Gruppe um Derek Ward-Thompson vom Royal Observatory in Edinburgh (Schottland) verschiedene protostellare Wolken, die noch nicht kollabiert sind, und stellte fest, daß die Dichte eher durch eine (glockenförmige) Gauß-Verteilung zu beschreiben ist. In diesem Falle wäre die Materie zu Beginn des Sternentstehungsprozesses in Zentrumsnähe weniger stark konzentriert als bei einem Potenzgesetz; die Fragmentierung könnte infolgedessen wesentlich leichter einsetzen.
Daß dies tatsächlich so ist, vermögen Astrophysiker durch Lösen von Gleichungen anzugeben, welche die Teilchenbewegungen und den Strahlungstransport in einer protostellaren Wolke beschreiben. Ich hatte bereits 1986 mit der Modellierung dichter Wolken mit Gauß-Profilen begonnen, als ein genügend leistungsfähiger Computer und verläßliche Software zur Verfügung standen. Nach diesen Rechnungen sollte sich die Wolke während der gravitativen Kontraktion aufteilen, wenn sie genügend schnell rotiert, um dem entstehenden Doppelsternsystem den erforderlichen Drehimpuls mitzugeben, und wenn die Materie vor dem Kollaps kalt genug ist, daß ihre thermische Energie weniger als die halbe Gravitationsenergie beträgt (was für Temperaturen unterhalb 10 Kelvin zutrifft) – diese Bedingungen sind, so scheint es, in den Gas- und Staubwolken der Sternentstehungsgebiete durchaus erfüllt.
Ob sich schließlich ein Doppel-, Dreifach- oder Vierfachstern bildet, hängt von vielen weiteren Einzelheiten ab, etwa von der ursprünglichen Gestalt der Wolke, wie inhomogen darin die Materie verteilt ist und von den genauen Werten der thermischen und der Rotationsenergie. Im allgemeinen neigen prolate (etwa wie ein längliches Ei geformte) Wolken dazu, balkenförmige Strukturen zu bilden, die weiter zu Doppelsternen fragmentieren (Bild 7), während oblate (diskusförmige) Wolken zu Scheiben abflachen, die anschließend in mehrere Komponenten zerfallen.
Vermutlich verläuft der Kollaps in zwei Phasen. Zunächst entstehen ausgedehnte Massierungen mit Radien in der Größenordnung von zehn Astronomischen Einheiten. Folglich kann eine Fragmentierung in dieser Phase nur Binärsysteme mit größerem Abstand erzeugen. Erst in einem zweiten Schritt kollabieren diese Körper weiter, wodurch sich die eigentlichen Protosterne mit stellaren Dimensionen bilden. Dabei kann allerdings, wie Ian A. Bonnell und Matthew R. Bate von der Universität Cambridge nachwiesen, nochmals Fragmentierung auftreten. Daraus können protostellare Kerne hervorgehen, deren Abstände mit denen der engsten Hauptreihensterne vergleichbar sind. Durch diese hierarchisch abgestufte Fragmentierung lassen sich demnach alle Abstände zwischen den Komponenten erklären, die bei jungen Doppelsternen beobachtet werden – von den engsten bis hin zu den weitesten Systemen (Bilder 5 und 7).
Braune Zwerge und Riesenplaneten
Lassen sich mit den angeführten Beobachtungsmethoden auch Begleiter mit noch geringerer Masse aufspüren? Duquennoy und Mayor fanden Hinweise, daß bis zu zehn Prozent der sonnenähnlichen Sterne sogenannte Braune Zwerge als Partner haben könnten – Objekte, die nur 0,01 bis 0,08 Sonnenmassen (etwa 10 bis 80 Jupitermassen) aufweisen und damit zu klein sind, als daß sie den in ihnen vorhandenen Wasserstoff zünden würden, wie es in Sternen der Fall ist. Sie könnten jedoch massereich genug sein, um kurz nach ihrer Entstehung Deuterium zu fusionieren. Nachdem diese Reaktion abgeklungen wäre, würden sie keine weitere Energie mehr erzeugen und langsam abkühlen. Einmal erkaltet, wären sie nur äußerst schwer zu entdecken. Wenngleich die von Duquennoy und Mayor gefundenen Hinweise hoffen lassen und intensiv nach Braunen Zwergen gesucht wird, gibt es bislang keine gesicherte Erfolgsmeldung.
Auch nach Planeten – die noch kleinere Massen haben als Braune Zwerge – wird seit langem eifrig Ausschau gehalten. Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollten die Beobachtungsverfahren so weit verbessert werden können, daß Planeten von der Größe Jupiters bei einigen sonnennahen Sternen zu entdecken sind (oder ihr Vorhandensein ausgeschlossen werden kann). Ob es dabei sinnvoll ist, in Doppelsternsystemen nach ihnen zu suchen, oder sich besser auf einzelne Hauptreihensterne zu beschränken, ist nicht eindeutig zu beantworten. In ihrem Bestreben, extrasolare Planetensysteme zu entdecken, werden die Astronomen vermutlich beide Gruppen anvisieren.
(Kurz vor Redaktionsschluß dieser Ausgabe wurde bekannt, daß nun offensichtlich doch zwei Braune Zwerge sowie ein extrasolarer Planet entdeckt wurden. R. Rebolo, M. R. Zapatero Osorio und E. L. Martin vom Astrophysikalischen Institut der Kanaren auf Teneriffa haben in den etwa 400 Lichtjahre entfernten Plejaden, einem offenen Sternhaufen, ein im nahen Infrarot schwach strahlendes Objekt – Teide 1 genannt – entdeckt, dessen Masse etwa 20 bis 30 Jupitermassen beträgt. Aufgrund des geringen Alters der Plejaden von ungefähr 100 Millionen Jahren befindet sich Teide 1 noch in der Kontraktionsphase, so daß es ausreichend Gravitations- in Strahlungsenergie umwandelt, um es nachweisen zu können. Eine Gruppe um Geoffrey Marcy von der Universität von Kalifornien in Berkeley konnte mit dem 10-Meter-Keck-Teleskop auf Hawaii in der Atmosphäre des ebenfalls in den Plejaden befindlichen Objekts PPl15 Lithium nachweisen – und damit belegen, daß es ebenfalls ein Brauner Zwerg ist, dessen Masse nicht ausreicht, um Fusionsreaktionen auszulösen. Am 6. Oktober schließlich stellten Mayor und sein Doktorand Didier Queloz auf einer Tagung in Florenz Beobachtungen vor, die darauf hinweisen, daß der etwa 40 Lichtjahre von der Sonne entfernte Stern 51 Pegasi von einem Planeten umkreist wird, der die 0,6- bis 2,5fache Jupitermasse hat. Marcy und seinem Kollegen Paul Butler gelang es wenige Tage später, diesen Befund zu bestätigen. Die Redaktion.)
Literaturhinweise
- Mit Mondbedeckungen auf der Jagd nach jungen Doppelsternen im Taurus. Von Michal Simon und Christoph Leinert in: Sterne und Weltraum, Band 31, Heft 6, Seiten 380 bis 385, Juni 1992.
– Formation of Binary Stars. Von Alan P. Boss in: The Realm of Interacting Binary Stars. Herausgegeben von J. Sahade, G. E. McCluskey jr. und Y. Kondo. Kluwer Academic Publishers,1993.
– Stellar Multiple Systems: Constraints on the Mechanism of Origin. Von P. Bodenheimer, T. Ruzmaikina und R. D. Mathieu in: Protostars & Planets, Band 3. Herausgegeben von E. H. Levy und J. I. Lunine. University of Arizona Press, 1993.
– A Lunar Occultation and Direct Imaging Survey of Multiplicity in the Ophiuchus and Taurus Star-Forming Regions. Von M. Simon, A. M. Ghez, C. Leinert, L. Cassar, W. P. Chen, R. R. Howell, R. F. Jameson, K. Matthews, G. Neugebauer und A. Richichi in: Astrophysical Journal, Band 443, Heft 2, Teil 1, Seiten 625 bis 637, 20. April 1995.
– Pre-Main-Sequence Binary Stars. Von R. D. Mathieu in: Annual Review of Astronomy and Astrophysics, Band 32, Seiten 465 bis 530, 1995.
– Discovery of a Brown Dwarf in the Pleiades Star Cluster. Von R. Rebolo, M. R. Zapatero Osorio und E. L. Martin in: Nature, Band 377, Seiten 129 bis 131, 14. September 1995.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1995, Seite 46
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