Winters' Nachschlag: Behandlung mit Biss
Um sich seinen Ängsten zu stellen, braucht man den Rückhalt des Partners und der Familie - sowie gute Freunde.
Freunden sagt man die Wahrheit. Es ist schließlich nur zu ihrem Besten. Dabei sollte man Kritik natürlich behutsam vorbringen. Gesagt, getan: "Mensch, Borrel!", staunte ich eines Nachmittags, als ich meinen alten Schulfreund im Café traf, "deine Kauleiste sieht ja aus, als hättest du sie seit den dreißiger Jahren nur noch mit Zuckerwatte geputzt!" Borrel schien meine Offenheit jedoch nicht zu schätzen und fragte barsch, ob wir uns kennen. Später rief er mich an, um sich zu entschuldigen, meinte aber, ich hätte nicht von dem Thema anfangen sollen, als er sich gerade zum zweiten Date mit seiner neuen Freundin traf!
Von solchen Ablenkungsmanövern ließ ich mich nicht beeindrucken: Dank meiner profunden Kenntnisse über Dentalphobien, die ich hauptsächlich dem Artikel "Keine Angst vorm Bohrer" (S. 22) verdanke, war mir sofort klar, dass Borrel unter Zahnarztangst im fortgeschrittenen Stadium litt – was er nach einigem Drängen meinerseits sogar zugab.
Ich überredete ihn dazu, mich am nächsten Abend zu besuchen, um die erste Stufe der wintersschen Verhaltenstherapie zünden zu können. "Du musst dich wegen deiner Angst nicht schämen", begann ich, "schließlich hat deine Mutter dir ihre Zahnarztangst vererbt!" Woher ich das wissen wollte, fragte Borrel irritiert. Ich erklärte ihm, dass die Phobie häufig in der Familie liege. Daher hätte ich seinen Vater angerufen, der mir unter lautem Gelächter berichtet hatte, der Bursche sei ganz die Mama und habe schon als Baby Angst vor seinem eigenen Schatten gehabt! Borrel schimpfte etwas von verletzter Privatsphäre und stürmte hinaus. Offenbar versuchte er erneut, vom eigentlichen Problem abzulenken.
Am nächsten Tag klingelte ich gegen 5.30 Uhr Sturm an der Tür meines Klienten. Im Halbschlaf würde er bestimmt aufnahmefähiger für die nächste Stufe sein, die Suggestionstherapie. Ich drückte den verquollen dreinblickenden Borrel in seiner Küche auf einen Stuhl und konfrontierte ihn mit grauenvollen Bildern schwarzer Zahnruinen, die ich aus medizinischen Lehrbüchern und einigen Zombiefilmen herausgesucht hatte. Aus meinem Gettoblaster kreischte dazu der schrille Klang eines Zahnarztbohrers. Kurz darauf stand seine neue Freundin in der Küchentür. Die lebhafte Diskussion, die sich nun entspann, endete zwar mit meinem Rauswurf, doch wenigstens war Borrels engste Vertrauensperson jetzt in seinen Problemkomplex eingeweiht.
Nachdem ich mich zwei Tage lang reumütig für den morgendlichen Überfall entschuldigt hatte, nahm Borrel mein Angebot eines Versöhnungsspaziergangs an. Natürlich wusste er nicht, dass ich unseren Ausflug minutiös auf einen Behandlungstermin bei meinem Zahnarzt abgestimmt hatte. Scheinbar spontan schlug ich vor, die Praxis, an der wir "zufällig" vorbeikamen, zwecks Desensibilisierung zu besichtigen. "Wenn du dann endlich Ruhe gibst, von mir aus!", grummelte Borrel. Augenblicke später standen wir im Behandlungszimmer. "Da ist ja unser Patient", säuselte Dr. Fleischhauer, der den Raum betrat und sich weiße Gummihandschuhe überzog. "Bitte setzen Sie sich!"
Zunächst schien mein Plan aufzugehen. Borrel war so überrumpelt, dass er tatsächlich auf den Behandlungsstuhl sank. Die Situation geriet jedoch außer Kontrolle, als kurze Zeit später sein Vater hinzukam und – entgegen meinen Anweisungen – seinem "kleinen Hosenscheißer" fröhlich auf die Schulter klopfte. Dann begann er, Kindheitsgeschichten zum Besten zu geben, worauf die Zahnarzthelferin so sehr lachte, dass ihr Mundschutz verrutschte und sie sich viel zu früh als Borrels Freundin zu erkennen gab! Nur mit vereinten Kräften gelang es uns, den Patienten zu bändigen, der nun offenbar rasend vor Angst um sich schlug.
Zwei Wochen später saßen Borrel und ich in unserem Lieblingscafé. Mein Freund ließ zwei runderneuerte Zahnreihen aufblitzen. "Ich glaube, ich muss mich bei dir bedanken", sagte er. "Nicht nur wegen der Zähne: Mein Vater hat endlich eine neue Geschichte für die Familienfeiern." Und für seine Freundin habe er nun schon das nächste Geburtstagsgeschenk parat – ein Arzthelferinnenkostüm. "Ach was", erwiderte ich und rührte bescheiden in meinem Milchkaffee, "das waren doch bloß einfachste Methoden der Verhaltenstherapie!" Die doppelte Dosis Barbiturate, die Dr. Fleischhauer ihm verpasst hatte, verschwieg ich lieber.
Von solchen Ablenkungsmanövern ließ ich mich nicht beeindrucken: Dank meiner profunden Kenntnisse über Dentalphobien, die ich hauptsächlich dem Artikel "Keine Angst vorm Bohrer" (S. 22) verdanke, war mir sofort klar, dass Borrel unter Zahnarztangst im fortgeschrittenen Stadium litt – was er nach einigem Drängen meinerseits sogar zugab.
Ich überredete ihn dazu, mich am nächsten Abend zu besuchen, um die erste Stufe der wintersschen Verhaltenstherapie zünden zu können. "Du musst dich wegen deiner Angst nicht schämen", begann ich, "schließlich hat deine Mutter dir ihre Zahnarztangst vererbt!" Woher ich das wissen wollte, fragte Borrel irritiert. Ich erklärte ihm, dass die Phobie häufig in der Familie liege. Daher hätte ich seinen Vater angerufen, der mir unter lautem Gelächter berichtet hatte, der Bursche sei ganz die Mama und habe schon als Baby Angst vor seinem eigenen Schatten gehabt! Borrel schimpfte etwas von verletzter Privatsphäre und stürmte hinaus. Offenbar versuchte er erneut, vom eigentlichen Problem abzulenken.
Am nächsten Tag klingelte ich gegen 5.30 Uhr Sturm an der Tür meines Klienten. Im Halbschlaf würde er bestimmt aufnahmefähiger für die nächste Stufe sein, die Suggestionstherapie. Ich drückte den verquollen dreinblickenden Borrel in seiner Küche auf einen Stuhl und konfrontierte ihn mit grauenvollen Bildern schwarzer Zahnruinen, die ich aus medizinischen Lehrbüchern und einigen Zombiefilmen herausgesucht hatte. Aus meinem Gettoblaster kreischte dazu der schrille Klang eines Zahnarztbohrers. Kurz darauf stand seine neue Freundin in der Küchentür. Die lebhafte Diskussion, die sich nun entspann, endete zwar mit meinem Rauswurf, doch wenigstens war Borrels engste Vertrauensperson jetzt in seinen Problemkomplex eingeweiht.
Nachdem ich mich zwei Tage lang reumütig für den morgendlichen Überfall entschuldigt hatte, nahm Borrel mein Angebot eines Versöhnungsspaziergangs an. Natürlich wusste er nicht, dass ich unseren Ausflug minutiös auf einen Behandlungstermin bei meinem Zahnarzt abgestimmt hatte. Scheinbar spontan schlug ich vor, die Praxis, an der wir "zufällig" vorbeikamen, zwecks Desensibilisierung zu besichtigen. "Wenn du dann endlich Ruhe gibst, von mir aus!", grummelte Borrel. Augenblicke später standen wir im Behandlungszimmer. "Da ist ja unser Patient", säuselte Dr. Fleischhauer, der den Raum betrat und sich weiße Gummihandschuhe überzog. "Bitte setzen Sie sich!"
Zunächst schien mein Plan aufzugehen. Borrel war so überrumpelt, dass er tatsächlich auf den Behandlungsstuhl sank. Die Situation geriet jedoch außer Kontrolle, als kurze Zeit später sein Vater hinzukam und – entgegen meinen Anweisungen – seinem "kleinen Hosenscheißer" fröhlich auf die Schulter klopfte. Dann begann er, Kindheitsgeschichten zum Besten zu geben, worauf die Zahnarzthelferin so sehr lachte, dass ihr Mundschutz verrutschte und sie sich viel zu früh als Borrels Freundin zu erkennen gab! Nur mit vereinten Kräften gelang es uns, den Patienten zu bändigen, der nun offenbar rasend vor Angst um sich schlug.
Zwei Wochen später saßen Borrel und ich in unserem Lieblingscafé. Mein Freund ließ zwei runderneuerte Zahnreihen aufblitzen. "Ich glaube, ich muss mich bei dir bedanken", sagte er. "Nicht nur wegen der Zähne: Mein Vater hat endlich eine neue Geschichte für die Familienfeiern." Und für seine Freundin habe er nun schon das nächste Geburtstagsgeschenk parat – ein Arzthelferinnenkostüm. "Ach was", erwiderte ich und rührte bescheiden in meinem Milchkaffee, "das waren doch bloß einfachste Methoden der Verhaltenstherapie!" Die doppelte Dosis Barbiturate, die Dr. Fleischhauer ihm verpasst hatte, verschwieg ich lieber.
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