Beschleuniger COSY für präzise Protonenstrahlen
Mit Protonenenergien um 2,5 GeV (Milliarden Elektronenvolt) stößt das Kühlersynchrotron des Forschungszentrums Jülich in den Übergangsbereich von Kern- und Teilchenphysik vor. Dort erwartet man Effekte, bei denen sich die Symetrieeigenschaften von Quarks und Gluonen bemerkbar machen.
Das neue Kühlersynchrotron COSY (abgekürzt für Cooler Synchrotron) hat in seiner Anlaufphase bewiesen, daß es hochenergetische Protonenstrahlen höchster Präzision zu erzeugen vermag. Herzstück der Anlage ist ein Speicher- und Beschleunigungsring von 184 Meter Umfang. Als Vorbeschleuniger dient das Jülicher Isochronzyklotron JULIC; seine Ionenquellen erzeugen unterschiedliche Teilchensorten – vor allem Protonen –, die zunächst auf eine Energie von rund 40 MeV (Millionen Elektronenvolt) beschleunigt und dann in den COSY-Speicherring injiziert werden.
Der Ring selbst besteht aus zwei 52 Meter langen Bögen, in denen die Teilchen um jeweils 180 Grad umgelenkt werden, sowie zwei 40 Meter langen geraden Strecken. Sie enthalten einerseits Targetplätze für interne Experimente, andererseits einen Elektronenkühler zur präzisen Strahlbündelung, die Beschleunigungsstruktur sowie Elemente, die zur Diagnostik des umlaufenden Strahles dienen. Er läßt sich aus dem Ring heraus wahlweise zu einem Magnetspektrometer, einem Flugzeitspektrometer oder einem Meßplatz für medizinische Forschung lenken (Bild 1).
Die Protonen kreisen im Vakuumrohr bei einem Druck von 10–10 Millibar und werden von insgesamt 24 Ablenk- und 56 Fokussierungsmagneten geführt. In der Anlaufphase ist es gelungen, 3 x 109 Protonen auf einen Impuls von 1400 MeV/c (gleich 750 MeV Energie) zu beschleunigen; im Prinzip lassen sich mit der Anlage maximal 3300 MeV/c (Energien von 2,5 GeV) erreichen.
Zweierlei Strahlkühlung
Die exzellente Qualität des Protonenstrahls in COSY wird durch sogenannte Strahlkühlung erzeugt; sie minimiert die Ausdehnung des Strahls sowohl quer als auch längs. Dazu dienen zwei Verfahren: Elektronen- und stochastische Kühlung.
Bei der Elektronenkühlung schleust man einen monoenergetischen Elektronenstrahl durch ein Magnetfeld in den umlaufenden Protonenstrahl ein und lenkt die Elektronen nach ungefähr zwei Metern gemeinsamer Flugstrecke durch ein weiteres Magnetfeld wieder aus. Auf der gemeinsamen Strecke wechselwirken Elektronen und Protonen – und zwar bei jedem Umlauf, das heißt etwa 500000 mal pro Sekunde. Dabei überträgt sich die relativ geordnete Bewegung der Elektronen ( sozusagen ihre niedrigere Temperatur) auf die Protonen.
Bei höheren Teilchenenergien läßt sich der Strahlquerschnitt durch stochastische Kühlung reduzieren. Dazu messen Signalaufnehmer an einer Stelle des Rings die mittlere Abweichung eines vorbeifliegenden Protonenpakets von der Sollbahn innerhalb eines Zeitabschnitts. Ein entsprechendes Korrektursignal wird direkt zu den gegenüberliegenden Signalgebern gesendet. Nach knapp 50 Sekunden ist ein Gleichgewichtszustand erreicht, bei dem der Abstand der einzelnen Protonen von der gewünschten Lage minimal ist. Nach derzeitiger Planung soll das stochastische Kühlsystem im Laufe dieses Jahres in Betrieb gehen.
Physik mit COSY
Mit COSY möchte man die starke Wechselwirkung erforschen, die zum Beispiel den Atomkern aus Protonen und Neutronen (Nukleonen) zusammenhält; diese Teilchen gehören zur Klasse der Baryonen. Die zweite Gruppe stark wechselwirkender Partikel sind die Mesonen, darunter als leichteste Vertreter die Pionen und Kaonen. Auch zwischen Mesonen und Baryonen herrscht starke Wechselwirkung .
Allerdings sind Mesonen und Baryonen ihrerseits aus noch elementareren Quarks und Gluonen aufgebaut: Vereinfacht gesagt, bestehen Baryonen aus drei Quarks, Mesonen aus einem Quark und einem Anti-Quark. Deshalb beschreibt die Theorie der starken Wechselwirkung, die Quantenchromodynamik (QCD), die Kräfte zwischen Baryonen und Mesonen nicht direkt, sondern über die – durch Austausch von Gluonen vermittelte – Wechselwirkung zwischen ihren Bausteinen, den Quarks. Eine der wichtigsten Aufgaben der Physik ist es heute, die starke Wechselwirkung zwischen Mesonen und Baryonen mit Hilfe der QCD quantitativ zu verstehen.
Zwischen den Quarks herrscht ein ungewöhnliches Kraftgesetz: Ihre Wechselwirkung ist bei kleinen Abständen schwach und bei großen sehr stark. Das hängt damit zusammen, daß die ausgetauschten Feldquanten, die Gluonen, selbst miteinander wechselwirken.
Deshalb lassen sich nur die Prozesse, die bei kleinen Abständen ablaufen, mit den wohlbekannten mathematischen Methoden der Störungstheorie quantitativ berechnen; man spricht vom perturbativen Bereich. Hingegen sind die sehr komplexen mathematischen Probleme, die bei größeren Abständen auftreten, bisher nicht befriedigend gelöst worden. In diesem nicht-perturbativen Bereich wird nämlich die Wechselwirkung der Gluonen mit sich selbst entscheidend. Sie bewirkt, daß die Quarks nicht als freie Teilchen erscheinen, sondern nur in Form von Mesonen und Baryonen.
Diesen Bereich sucht man zur Zeit mit Hilfe von sogenannten effektiven Theorien zu beschreiben, in denen Mesonen und Baryonen als nicht weiter zusammengesetzte Elementarbausteine behandelt werden. Die zugrundeliegende Quark-Gluon-Dynamik zeigt sich im Symmetrieverhalten dieser Theorien.
Mit COSY läßt sich gerade der nichtperturbative Bereich untersuchen. Die Anlage verfügt über genügend hohe Energien, um in Proton-Proton- und Proton-Kern-Stößen Mesonen zu erzeugen. Auf diese Weise kann man die Meson-Nukleon- und die Meson-Meson-Wechselwirkung sowohl im Vakuum als auch in Kernmaterie untersuchen (Bild 2). Für den Vergleich mit der Theorie ist das sogenannte Schwellengebiet, bei dem die Energie gerade zur Produktion der Mesonen ausreicht, besonders interessant. Dort lassen sich allein auf Grund der Symmetrien allgemeine Aussagen über die Kräfte zwischen Mesonen und Nukleonen machen.
Zur Zeit gibt es derartige Daten lediglich für das leichteste Meson, das Pion. Mit COSY vermag man nun eine Vielzahl von Schwellen und eventuelle Abweichungen gegenüber den theoretischen Voraussagen zu erforschen. Analoge Experimente sind an den Elektronenbeschleunigern MAMI (Universität Mainz) und ELSA (Universität Bonn) geplant; dort erzeugt man die Mesonen elektromagnetisch, bei COSY hingegen durch starke Wechselwirkung.
Atomkern als Minilabor
Für die Entwicklung unseres heutigen Atommodells waren Experimente entscheidend, bei denen man Atome starken elektrischen oder magnetischen Feldern aussetzte und die Aufspaltung der Spektrallinien beobachtete: Auf diese Weise wurde der Spin (der Eigendrehimpuls) der Elektronen entdeckt.
Nun möchte man die QCD-Modelle von Baryonen und Mesonen einer entsprechend empfindlichen Prüfung unterziehen. Doch Felder, die stark genug wären, eine Veränderung der Quark-Struktur zu bewirken, lassen sich im Labor nicht erzeugen. Man nutzt deswegen die starken Kräfte, die Baryonen und Mesonen in einem Atomkern aufeinander ausüben: Der Atomkern dient als Minilabor zur Untersuchung der Quark-Struktur von Baryonen und Mesonen.
Die Erzeugung von Mesonen bei Proton-Kern-Stößen ist aus diesem Grund für COSY eine wichtige Forschungsaufgabe. Die Daten lassen sich dann mit entsprechenden Untersuchungen am Beschleuniger SIS der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt vergleichen. Dort existiert ein Versuchsprogramm zur Mesonenproduktion in Kern-Kern-Stößen, mit dem die Zustandsgleichung von Kernmaterie bestimmt werden soll (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1992, Seite 46). Es wird sehr aufschlußreich sein, anhand der Daten von COSY und SIS zu untersuchen, ob die Erzeugung von Mesonen bei Kern-Kern-Stößen – wobei die Kerne komprimiert werden – qualitativ verschieden ist von der Mesonproduktion durch Proton-Kern-Stöße.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1994, Seite 35
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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