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Bienen - plastische Pilzkörper für flexible Arbeitsteilung



Die Arbeiterinnen eines Bienenstaates sind nicht auf einen bestimmten Berufszweig festgelegt; sie durchlaufen alle Sparten, dies aber altersabhängig in einer bestimmten Reihenfolge. Wenn es die Situation erfordert, können sie jedoch ihre Karriere beschleunigen, stoppen oder gar umkehren.

Wie nun eine Forschergruppe um Gene E. Robinson von der Universität von Illinois in Urbana eruiert hat, gehen die Wechsel der Tätigkeit – altersabhängige wie erzwungene – mit deutlichen Veränderungen in bestimmten Hirnregionen einher, insbesondere solchen der Pilzkörper ("Nature", Band 364, Seiten 230 bis 240, 15. Juli 1993). In diesem höchsten Integrationszentrum des Insektengehirns laufen geruchliche wie visuelle Informationen zusammen. Auffällig stark entwickelt sind die nach ihrer Form benannten Pilzkörper bei Arbeiterinnen von Ameisen, Honigbienen und anderen sozialen Insekten, die über ein vielgestaltiges Verhaltensrepertoire verfügen und besonders lernfähig sind.

Der schärfste Einschnitt im vier- bis siebenwöchigen Leben einer Sommerarbeitsbiene ist der Übergang vom Innen- zum Außendienst. Frisch geschlüpft macht sie sich an das Säubern der Waben. Ab dem dritten Tag etwa kümmert sie sich um die Pflege der Königin und ihrer Brut; in dieser Zeit sind spezielle Drüsen im Kopf, die Futtersaft ausscheiden, besonders stark entwickelt. Ab dem zehnten Tag etwa schließt sie sich den Baukolonnen an, eine knappe Woche später den Futterabnehmern. Um den zwanzigsten Tag erscheint sie als Wächterin am Flugloch; nach der dritten Woche schließlich wird sie zur Sammlerin und bleibt es bis zum Lebensende.

Bei gewaltsamen Eingriffen in die Altersstruktur eines Bienenvolkes – indem man es seiner Jungbienen beraubt oder ihm nur die gerade geschlüpften Tiere beläßt – können Sammlerinnen wieder ihre Futtersaftdrüsen regenerieren und zu Pflegerinnen werden oder Jungbienen umgekehrt im zarten Alter von vier Tagen schon zum Sammeln ausfliegen.

Wie die amerikanischen Forscher nun feststellten, erhöht sich vom ersten Lebenstag über die Pflege- bis zur Sammlertätigkeit in den Pilzkörpern der Anteil des kelchförmig strukturierten äußeren Nervengeflechts gegenüber dem Inhalt des Kelches auf schließlich das Doppelte, ohne daß sich das Gesamtvolumen änderte. (Der Inhalt des Kelches besteht aus separat gelegenen Zellkörpern bestimmter Neuronen.) Diese Umstrukturierung war bei vorzeitigen, gerade sieben Tage alten Sammlerinnen mit höchstens drei Tagen Erfahrung im Außendienst schon komplett vollzogen.

Die Orientierung im Freien, das Erlernen und Behalten von Farbe, Form und Duft der Nektarquellen, die Kommunikation mittels Tanzsprache – all dies verlangt weit mehr neuronale Leistungen als eine der Arbeiten im Dunkel des Stocks. Ob aber die anspruchsvolle Tätigkeit selbst die Umstrukturierung und wohl komplexere Verschaltung in den Pilzkörpern bewirkt oder ihr vorausgeht bleibt noch zu klären. (I. H.)


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1993, Seite 36
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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