Biologische Sanierung von Rüstungsaltlasten
Chemikalien aus Altlasten der Sprengstoffproduktion sind zum einen besonders gefährdend, zum anderen – da sie normalerweise in der Natur nicht vorkommen – durch Mikroorganismen schwer oder gar nicht abbaubar. Hier können aber besondere verfahrenstechnische Maßnahmen erfolgreich sein.
Verdrängt, vergessen, aber nicht verschwunden: Was auf viele Altlasten zutrifft, gilt insbesondere für solche der Rüstung – gefährliche Relikte aus Zeiten, an die man sich ohnehin nur ungern erinnert. Rüstungsaltlasten sind nach der Definition der Bundesregierung "Boden-, Wasser- und Luftverunreinigungen durch Chemikalien aus konventionellen und chemischen Kampfstoffen".
In den letzten Jahren ist die Zahl der Verdachtsflächen mit den laufenden Ermittlungen stetig gestiegen und liegt zur Zeit bei einigen Tausend, die über das gesamte Bundesgebiet verstreut sind.
TNT-Altlasten
Ein nicht unerheblicher Anteil rührt von der Sprengstoffproduktion des Zweiten Weltkrieges her. Unter den 1,66 Millionen Tonnen Explosivstoff, die in dieser Zeit im Deutschen Reich produziert wurden, waren allein 0,8 Millionen Tonnen Trinitrotoluol (TNT); es ist darum auch nach wie vor eine der Hauptverunreinigungen auf den alten Produktions- und Verarbeitungsstandorten.
Weitere damit zusammenhängende Kontaminationen erklären sich aus dem Produktionsprozeß: TNT wurde durch eine schrittweise Nitrierung (Anlagerung von Nitro-Gruppen) von Toluol mit einem Gemisch aus Schwefel- und Salpetersäure hergestellt; als Zwischenstufen entstanden Mononitrotoluol (MNT) und Dinitrotoluol (DNT). Durch zwischengeschaltete Reinigungsschritte fielen große Mengen hochbelasteter Abwässer an, die nur unzureichend aufbereitet in die Umgebung abflossen oder wegen ihres Säuregehalts mit Ätzkalk neutralisiert und als Schlamm auf Halden deponiert wurden. Neben TNT selbst sind daher auch die Vor-, Zwischen- und Nebenprodukte in der Umgebung der Produktions- und Abfüllanlagen sowie der Abwasseranlagen und Schlammhalden zu finden.
Die Gefahr, die von Altlastenchemikalien für Mensch und Umwelt im weiteren Umkreis ausgeht, beruht ebenso auf ihrer Toxizität wie auf ihrer Mobilität – anders gesagt: je giftiger und je mobiler, desto gefährlicher. TNT wird vom Körper leicht aufgenommen und wirkt bei langfristiger Belastung toxisch, was während des Zweiten Weltkrieges in die Produktion eingespannte Dienstverpflichtete, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge leidvoll erfahren mußten. Im Körper wird es zu Produkten umgesetzt, die Krebs erzeugen und das Erbgut schädigen können. In der Umwelt breitet sich das schwerflüchtige TNT nicht über die Luft, sondern über das Wasser aus, wobei seine geringe Wasserlöslichkeit und die Adsorption an Bodenbestandteilen auch diese Wege einschränken. Das erklärt, warum an einstigen Produktionsstandorten auch heute noch größere TNT-Mengen vorkommen.
Als man die Bedrohung erkannt hatte und die zuständigen Behörden im Trinkwasser von Anliegergemeinden entsprechende Nitroverbindungen nachwiesen, wurden einige extrem belastete Böden auf Sondermülldeponien gelagert und Aktivkohleanlagen zur Trinkwasseraufbereitung eingesetzt. Seit einigen Jahren fördert nun das Land Hessen verschiedene Vorhaben zur modellhaften Sanierung der Rüstungsaltlasten in Stadtallendorf und Hessisch Lichtenau-Hirschhagen. Außerdem hat das Bundesministerium für Forschung und Technologie gemeinsam mit einigen Bundesländern unter Projektträgerschaft des Umweltbundesamtes und des Forschungszentrums Jülich ein Forschungsprogramm zur Sanierung von Rüstungsaltlasten ins Leben gerufen. Im Rahmen dieser Programme untersucht unsere Arbeitsgruppe der Abteilung Chemische Mikrobiologie am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart den mikrobiellen TNT-Abbau und dessen verfahrenstechnische Umsetzung für eine Bodensanierung.
Schwieriger Abbau
Voraussetzung für die Anwendung einer solchen sogenannten sanften Technologie ist, daß die zu eliminierenden Schadstoffe überhaupt biologisch abbaubar sind. Bei großflächigen Bodenuntersuchungen in Hessisch Lichtenau-Hirschhagen wurden außer TNT seine beiden Zwischenstufen bei der Produktion – DNT und MNT – als Hauptkontaminanten nachgewiesen. Wegen ihrer Toluol-Komponente handelt es sich um ringförmige aromatische Nitroverbindungen.
Aromatische Kohlenwasserstoffe wie Toluol sind zwar in der Natur weit verbreitet und können in der Regel durch aerobe Mikroorganismen – die Sauerstoff für ihren Stoffwechsel benötigen – vollständig abgebaut (mineralisiert) werden. Dabei entstehen Biomasse, Kohlendioxid und Wasser. Durch die Einführung von Nitrogruppen am Toluol jedoch ergeben sich fremdstoffartige Strukturen, die in der Natur selten oder überhaupt nicht vorkommen. Deshalb verwundert es nicht, daß für den Fremdstoff TNT mit seinen drei Nitrogruppen bisher keine vollständige Mineralisierung unter aeroben Bedingungen bekannt ist.
Nach zahlreichen Untersuchungen verschiedener Wissenschaftler wird der Explosivstoff TNT überwiegend durch sogenannte cometabolische Reaktionen abgebaut, ohne daß er den Bakterien als Energie- und Kohlenstoffquelle, also zum Aufbau zelleigener Substanz dienen kann. Aerobe Bodenbakterien wandeln TNT zu einem großen Teil in Aminodinitrotoluole um, daß heißt, je eine der drei Nitrogruppen (–NO2) wird zur Aminogruppe (–NH2) reduziert (Bild 1). Diese Substanzen wurden auch im Boden der darauf untersuchten Produktionsstandorte nachgewiesen; sie könnten dort mikrobiell oder durch nichtbiologische Prozesse entstanden sein.
Nun sind aromatische Aminoverbindungen im Gegensatz zu entsprechenden Nitroverbindungen in der Natur relativ weit verbreitet und demzufolge einem mikrobiellen Angriff leichter zugänglich. Das brachte uns auf die Idee, ein biologisches Verfahren zu konzipieren, bei dem die Nitroverbindungen zunächst vollständig in Aminoverbindungen umgewandelt werden. Nach Untersuchungen von Andrea Preuss und Gabriele Diekert vom Institut für Mikrobiologie der Universität Stuttgart erfolgt die gewünschte Umwandlung von TNT beispielsweise durch ein sulfatreduzierendes Bakterium unter Ausschluß von Luftsauerstoff, also unter anaeroben Bedingungen. Dagegen bleibt die Reduktion von TNT bei einer aeroben biologischen Behandlung auf der Stufe der Aminodinitrotoluole stehen (Bild 1); diese reichern sich an.
Anaerobe Bakterienkulturen aus dem Faulschlamm einer Kläranlage vermochten wie dieses sulfatreduzierende Bakterium alle Nitrogruppen von TNT vollständig zu Aminogruppen zu reduzieren. Bei diesen Kulturen handelt es sich um Mischpopulationen: Sie wachsen unter anaeroben Bedingungen mit einer leicht vergärbaren Kohlenstoffquelle wie etwa Glucose (Traubenzucker) und reduzieren dabei die Nitrogruppen von TNT im Sinne einer cometabolischen Reaktion sukzessive zu Aminogruppen (Bild 2). Unter anaeroben Bedingungen wird also auch das im Boden nachweisbare Aminodinitrotoluol vollständig reduziert. Gleiches gilt für die Mono- und Dinitrotoluole, die Zwischenprodukte der TNT-Synthese. Die resultierenden Aminoverbindungen können dann durch aerobe Mikroorganismen weiter abgebaut werden.
Laborverfahren
Auf diesen Erkenntnissen basiert unser zweistufiges kombiniertes Probeverfahren zum Abbau von Nitrotoluolen wie TNT. In einer anaeroben biologischen Stufe werden die Nitrogruppen zu Aminogruppen reduziert und die entstandenen aromatischen Amine sodann in einer nachgeschalteten aeroben Stufe mikrobiell weiter angegriffen und im Idealfall mineralisiert.
Leider zeigte sich, daß eine aerobe biologische Weiterbehandlung von Triaminotoluol (dem Reduktionsprodukt von TNT) nicht sinnvoll ist, da es in Gegenwart von Sauerstoff leicht oxidiert wird. Die dabei entstehenden reaktiven Zwischenprodukte können schnell mit weiteren Triaminotoluol-Molekülen reagieren und so allmählich Polymere bilden. Unter Sauerstoffausschluß haben wir hingegen einen weitergehenden mikrobiellen Abbau beobachtet, der gegenwärtig untersucht wird.
Triaminotoluol wird, wie sich ferner zeigte, so fest an die Bodenmatrix gebunden, daß es sich selbst mit drastischen Extraktionsverfahren nicht herauslösen läßt. Aufgrund seiner chemischen Struktur ist anzunehmen, daß es in den Humuskörper des Bodens eingebaut und fest gebunden wird – und zwar sowohl unter anaeroben als auch unter aeroben Bedingungen. Die Art der irreversiblen Bindung an die Bodenmatrix soll jetzt ebenfalls näher untersucht werden.
Im Gegensatz dazu lassen sich TNT und die partiell reduzierten Aminonitrotoluole aus dem Boden wieder herauslösen. Somit ist zu erwarten, daß diese Verbindungen im Boden verfügbar sind und vollständig zum Triaminotoluol umgewandelt werden können.
Technische Umsetzung
Was im Labor innerhalb von Stunden und Tagen gelingt, gilt es nun in ein technisches Verfahren zur mikrobiellen Sanierung von Rüstungsstandorten umzusetzen. Die dortigen Altlasten sind in rund 50 Jahren von der vorhandenen Mikroflora des Bodens kaum oder zumindest nicht vollständig umgesetzt worden, weil die Voraussetzungen dafür nicht gegeben waren: Erstens fehlte es an organischen Nährstoffen für einen cometabolischen Umsatz; zweitens kommt das TNT lokal in sehr hohen Konzentrationen bis hin zu kristallinen Aggregaten vor, und drittens sind die Umgebungsbedingungen ungünstig (der Boden ist zu sauerstoffhaltig, zu kalt und zu sauer oder zu basisch).
Ein Sanierungsverfahren muß also diese Bedingungen verändern, um einen mikrobiellen Angriff zu ermöglichen. Wir haben zwei verschiedene Wege vorgeschlagen, die gegenwärtig weiter untersucht werden.
Beim ersten Verfahren geht es darum, die Polynitroaromaten mit Wasser oder Wasser-Lösemittel-Gemischen so weit wie möglich aus dem Boden zu extrahieren. Die Waschlösung mit den Schadstoffen soll zunächst mit anaeroben Faulschlammbakterien und danach aerob biologisch behandelt werden. Seit mehreren Monaten erproben wir eine anaerobe, kontinuierlich betriebene Stufe im halbtechnischen Maßstab. Großtechnisch ließe sich das Verfahren mit einer Kombination gängiger Anlagen zur Bodenextraktion sowie zur anaeroben und aeroben Abwasserbehandlung verwirklichen.
Bei dem anderen Verfahren wird der Boden selbst biologisch behandelt – auch hier zunächst unter Ausschluß und dann in Gegenwart von Sauerstoff. Dabei kommt es zwangsläufig zur Wechselwirkung der entstehenden Zwischenprodukte mit der Bodenmatrix. Unser Ziel ist, die Polynitroaromaten entweder abzubauen oder in Substanzen wie Triaminotoluol umzuwandeln, die irreversibel an den Boden gebunden werden. Diese Versuche führen wir in Boden-Wasser-Suspensionen durch. Großtechnisch läßt sich die dafür nötige intensive Durchmischung von Boden und Wasser in sogenannten Suspensionsreaktoren erreichen. Für beide Verfahren muß zwangsläufig der Boden ausgehoben und in aufwendigen technischen Anlagen behandelt werden. Weniger aufwendig wäre eine In-situ-Sanierung, wobei der Boden an Ort und Stelle verbleibt und der biologische Abbau durch Zusatzstoffe beschleunigt wird, oder die Sanierung in Mieten, bei der man den Boden aushebt, durchmischt, mit Zuschlagstoffen versetzt, aufschüttet und von Zeit zu Zeit wendet (wie das auch mit ölkontaminiertem Erdreich gemacht wird).
Dem stehen jedoch mehrere Vortei- le unserer Verfahren gegenüber: Die Schad- und Zuschlagstoffe werden wesentlich besser an die Bakterien herangeführt (mangelnder Stofftransport begrenzt sonst in vielen Fällen den Abbau), und die Umsetzungsprozesse wie auch die dafür erforderlichen Umgebungsbedingungen lassen sich besser überwachen und regeln – mithin ist die Behandlungsdauer deutlich kürzer.
Bevor wir unsere Verfahren in einem Feldversuch erproben können, sind noch einige Fragen zu klären. Zum einen müssen wir uns mit dem bakteriellen Umsatz von Triaminotoluol weiter befassen; zum anderen sollen Untersuchungen zu dessen Toxizität und Bindung an den Boden zeigen, ob eine Gefährdung durch die fixierte Form ausgeschlossen werden kann.
Nach derzeitigem Stand erscheinen uns die biotechnologischen Verfahren als aussichtsreich genug, um sie in absehbarer Zeit in eine technische Erprobungsphase gehen zu lassen. Obwohl es sich bei Nitroaromaten um sehr schwer abbaubare Verbindungen handelt, ist es uns gelungen, durch eine auf die natürlich vorkommenden Bakterien zugeschnittene Verfahrensführung entscheidende Erfolge zu erzielen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1993, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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