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Biologische Vielfalt und Naturschutz. Der riskierte Reichtum.

Aus dem Englischen von Andreas Held.
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1997. 344 Seiten, DM 68,–.

Wie viele Arten leben auf der Erde? Unser Wissen darüber ist erstaunlich vage: irgendwo zwischen 1,5 und 30 Millionen. Andrew Dobson, Evolutionsbiologe und Ökologe an der Universität Princeton (New Jersey), kalkuliert mit etwa 20 Millionen Spezies.

Doch ihm gelingt es, bei allem Kenntnismangel im globalen Maßstab eine Fülle von Fakten zusammenzutragen. Mit Studien aus aller Welt – vor allem über den Regenwald und (weniger bekannt) die Tiefsee – verdeutlicht er, was biologische Vielfalt heißt und wie schnell sie im Verschwinden begriffen ist.

Wurden in den letzten anderthalb Jahrtausenden in Europa pro Jahr etwa 0,1 Prozent der Fläche der natürlichen Lebensräume in Nutzflächen umgewandelt, so liegt diese Rate neuerdings zwischen 0,7 und 1 Prozent, mancherorts weit darüber. Dabei werden wir das meiste von dem, was dabei verlorengeht, nie kennenlernen. Selbst in England, dem seit 300 Jahren am intensivsten botanisch untersuchten Land der Erde, fehlen laut Dobson noch immer grundlegende Zahlen, um die Seltenheit und damit den Gefährdungsgrad von Wildpflanzen zu beurteilen: Nur für 177 von 1822 Arten liegen entsprechende Daten vor.

Dobson hat für dieses Buch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zusammengefaßt und das Resultat in verständliche Sprache und klare Abbildungen umgesetzt. Dabei gelingt es ihm, dem Laien auch komplexe Ökosysteme begreiflich zu machen. In seiner Bestandsaufnahme erläutert er die Folgen der Fragmentierung von Lebensräumen so klug wie die Mathematik des Aussterbens.

Nach der Einführung verläßt er die rein wissenschaftliche Ebene des Aufzählens, Kartierens und Vermessens. Jetzt kommen Wirtschaft und Politik ins Spiel. Wir erfahren zum Beispiel, wie Schirmartenschutz ganze Landschaften überleben läßt: Indem eine Lobby ihre Kräfte auf die Bewahrung einer einzigen Spezies – in diesem Falle des nordamerikanischen Fleckenkauzes (Strix occidentalis caurina) – konzentrierte, erreichte sie ein Holzeinschlagsverbot für Altholzwälder im küstennahen Nordwesten der USA und damit auch den Schutz anderer, weniger populärer Arten.

Dobson zeigt an Rechenbeispielen, wie unwirtschaftlich mit der Vielfalt umgegangen wird. So wurden 1992 die Fischereiflotten der Weltmeere mit 124 Milliarden Dollar subventioniert, landeten aber nur Fisch im Wert von 70 Milliarden Dollar an. An weiteren Beispielen demonstriert Dobson, warum die heute angestrebte nachhaltige Nutzung von Flora und Fauna in der Vergangenheit schon aus wirtschaftspolitischen Gründen scheitern mußte; er macht aber auch deutlich, daß solche Wirtschaftspolitik ihre Grundlagen und damit sich selber zerstört (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1995, Seite 92). Seine Beispiele Walfang, Sardinenindustrie, Pelztierfang und Elefantenwilderei des Elfenbeins wegen könnten Mahnung genug sein. Außer dieser kurzsichtigen Politik gibt es vier Hauptbedrohungen der Artenvielfalt: die (menschliche) Bevölkerungsexplosion, Umweltgifte, Wasserprobleme und die drohende Klimakatastrophe.

Dobson belegt, daß Zoologische Gärten nicht die Funktion von Noahs Arche übernehmen können, auch wenn das bei einzelnen Arten wie der Oryxantilope und dem kalifornischen Kondor einstweilen gelungen scheint. Die rund 1000 Zoos der Welt haben höchstens für eine Million gefährdeter Tiere Platz. Bei einer Minimalgröße einer gesunden Population von 500 Individuen bliebe also gerade Raum für die Rettung von 2000 Arten – weltweit. Zudem sterben Zoopopulationen, wie alle isolierten Lebensgemeinschaften, über kurz oder lang aus.

Selbst in den riesigen Nationalparks in den USA sind Arten verlorengegangen, weil ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt wurden. Mit Hilfe computergesteuerter Lückenanalysen vermag man inzwischen allerdings nicht nur maßgeschneiderte Schutzgebiete zu schaffen, sondern auch Wildkorridore; und da Naturschutz heute vor allem Reparatur ist, sagt Dobson auch, wie man beschädigte Schutzgebiete renaturiert. Sehr wichtig ist das Kapitel Schutzgebiet-Management, das an Seeottern, an Huftieren in Afrika, an Neophyten – vom Menschen in fremde Gebiete verschleppten Pflanzen –, am Guanacaste-Nationalpark in Costa Rica und anderen Beispielen beschreibt, was möglich ist.

Um den wirtschaftlichen Wert von Natur aufscheinen zu lassen, berechnet und bewertet Dobson Artenvielfalt mit ökonomischen Maßstäben, legt ein Wort ein für Ökotourismus und drängt auf die Reformierung des Welthandels. Doch zu guter Letzt, das wird deutlich, kommt es auf das Verhalten jedes einzelnen Menschen an. Er beginnt gleich bei sich selbst: Ein Teil der Einnahmen aus diesem Buch wird in den Ankauf von Wildkorridoren in Tansania verwendet. Damit sollen Kilimandscharo-, Arusha- und Amboseli-Nationalpark vernetzt werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1998, Seite 159
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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