Bioreaktoren für Marktnischen
Mit einer vorbildlichen technischen Infrastruktur ausgestattet, beherbergt das Forschungszentrum Jülich, eine Großforschungseinrichtung der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF), Institute fast aller wissenschaftlichen Disziplinen. Insgesamt 4300 Mitarbeiter, davon etwa 1000 Wissenschaftler, arbeiten in den Forschungsbereichen Leben, Umwelt, Material, Energie und Information. Eine Rechts- und Patentabteilung stellt die Anmeldung, die Weiterverfolgung und Aufrechterhaltung von Schutzrechten wie Patenten und Gebrauchsmuster für Erfindungen sicher und erfüllt damit eine wesentliche Voraussetzung für die kommerzielle Nutzung von Forschungsergebnissen. Die Suche von Kooperationspartnern und Lizenznehmern in der Industrie obliegt einem Technologie-Transfer-Büro. Seit einigen Jahren bietet das Forschungszentrum seinen Mitarbeitern auch praktische Hilfestellung bei der Gründung von innovativen Firmen an.
Als ehemaliger Mitarbeiter des Forschungszentrums Jülich habe ich 1997 die Firma Papaspyrou biotechnologie in der Rechtsform eines Einzelunternehmens mit Sitz im Technologiezentrum Jülich gegründet. Dieser Schritt war der Schlußpunkt einer Entwicklung, die bis in das Jahr 1994 zurückreicht. Zu dieser Zeit arbeitete ich im Institut für Medizin des Forschungszentrums Jülich auf dem Gebiet der Krebsforschung. Zusammen mit Manfred Biselli, dem Leiter der Abteilung Zellkulturtechnik im Institut für Biotechnologie, erprobte ich ein neues, dreidimensionales Tumor- und Organmodellsystem für die medizinische Forschung, das im Kern aus einem Bioreaktor mit Wirbelschichttechnik bestand (Bild 1). Ein solcher Wirbelschichtreaktor zur Produktion von monoklonalen Antikörpern und Pharmaproteinen war 1991 am Institut für Biotechnologie von Biselli und dem Institutsleiter Christian Wandrey entwickelt worden. Reinhold Wagner aus dem Technologie Transfer Büro des Forschungszentrums Jülich machte uns während dieser Forschungsarbeiten darauf aufmerksam, daß es sich bei unseren neuartigen Bioreaktoren um ein vielversprechendes Produkt handle, dessen Vermarktung man auch mit einer Firmengründung wagen könne.
Mitte 1995 begann ich also mit den Vorbereitungen zur Gründung einer Biotechnikfirma. Für eine Abschätzung des Marktpotentials unseres neuen Gerätes erschien uns zunächst die Präsentation auf einer Messe mit internationalem Publikum aus Forschung und Industrie äußerst wichtig. Nun sind Messeaktivitäten bekanntlich fester Bestandteil des Technologietransfers bei vielen deutschen Forschungseinrichtungen, und auch das Forschungszentrum Jülich ist auf wesentlichen internationalen Messen mit eigenen Präsentationen oder zusammen mit Firmen auf Gemeinschaftsständen vertreten.
Wir stellten also im Oktober 1995 auf der weltweit größten Biotechnikmesse, der Biotechnica in Hannover, einen Wirbelschicht-Bioreaktor für die medizinische Forschung vor. Horst Leutenberg vom Technologie-Transfer-Büro in Jülich präsentierte ihn sogar als Hauptexponat des Forschungszentrums. Das allgemein große Interesse und die Gespräche mit dem Messepublikum – meist Fachbesucher aus der Industrie – ließen eine Weiterentwicklung dieser Technologie zu einem verkaufsfähigen Produkt gerechtfertigt erscheinen.
In enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Biotechnologie des Forschungszentrums Jülich testete ich unsere Bioreaktorentwicklung nun unter. Zudem erwarb ich eine Lizenz vom Forschungszentrum zur Herstellung und zum weltweiten Vertrieb von Wirbelschichtreaktoren. Insgesamt waren noch zwei Jahre Entwicklungszeit notwendig, bis die Reaktoren zu einem marktfähigen Forschungs- und Produktionsgerät gereift waren. Parallel dazu arbeitete ich während dieser Zeit für eine andere Firma, um den Aufbau von Papaspyrou biotechnologie mit Eigenmitteln zu finanzieren. Erste Aufträge kamen über Kontakte des Instituts für Biotechnologie zustande. Biselli regte an, monoklonale Antikörper auf Bestellung zu produzieren. Für diese Dienstleistung konnte ich im Rahmen eines Kooperationsvertrages mit dem Forschungszentrum Produktionsanlagen im Institut für Biotechnologie nutzen.
In der Zwischenzeit ist die kundenspezifische Herstellung von Antikörpern mit Hybridomazellen und von Proteinen mit Säugetierzellen zu einem wichtigen Geschäftsbereich von Papaspyrou biotechnologie geworden. Die Herstellung und der Vertrieb von Wirbelschichtreaktoren in Verbindung mit Dienstleistungen haben sich sehr positiv auf die Entwicklung der Firma ausgewirkt. Der Einsatz eigener Wirbelschichtreaktoren bei der Durchführung von Auftragsfermentationen ermöglicht gleichzeitig die Weiterentwicklung der Fermentationstechnologie unter industriellen Produktionsbedingungen. Diese Erfahrungen sind für unsere Kunden sehr wertvoll, weil im Sinne einer Qualitätssicherung und Produktentwicklung die Langzeitstabilität der Reaktoren und die Produktionsverfahren ständig geprüft und verbessert werden.
Im Jahre 1997 erweiterte die Firma das Lieferprogramm für Bioreaktoren mit Wirbelschichttechnik von miniaturisierten Systemen für die medizinische Forschung auf Pilotanlagen für die industrielle Produktion von Antikörpern. Außerdem gelang es, mit B. Braun Biotech International (Melsungen), dem Marktführer für die Herstellung biotechnologischer Anlagen, einen kompetenten Kooperationspartner für diesen Schritt zu gewinnen. Vereinbart wurden die Zulieferung von Meß- und Regeltechnik und der Know-how-Transfer bei der Zertifizierung von Anlagen für die Arzneimittelproduktion. Überdies können Wirbelschichtreaktoren nun über das weltweite Vertriebsnetz von B. Braun Biotech International vertrieben werden.
Mittlerweile haben wir Bioreaktoren mit Wirbelschichttechnik sowohl an Kunden in Deutschland als auch an internationale Pharmakonzerne geliefert. Mehrere kleine und große Firmen nutzen unser Angebot zur Herstellung von monoklonalen Antikörpern und rekombinanten Proteinen. Die ersten Monate des Jahres 1998 markierten den Beginn eines vielversprechenden Aufwärtstrends bei den Auftragseingängen, der uns ermutigte, ein vorsichtiges Wachstum der Firma einzuleiten. Im Juni 1998 wurden zwei Mitarbeiter zur Verstärkung des Teams eingestellt, und im Oktober 1998 werden wir größere Laborräume im Technologiezentrum Jülich beziehen. Diese Erweiterung ist ein großer Schritt für uns und macht uns auch ein wenig stolz; denn es ist uns gelungen, neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Bisher wurde der Aufbau von Papaspyrou biotechnologie ausschließlich über eigene Mittel ohne Inanspruchnahme von Fremdkapital finanziert, jedoch wollen wir dieses Jahr staatliche Fördermittel zur Realisierung von neuen Forschungs- und Entwicklungsprojekten beantragen, um die Weiterentwicklung und damit die Zukunft des Unternehmens zu sichern.
Eine Firmenausgründung aus einer deutschen Forschungseinrichtung ist zweifellos eine große Herausforderung. Die Nutzung von Labors zu akzeptablen Konditionen hilft einer jungen Firma, den Geschäftsbetrieb aufzubauen, ohne daß sie gezwungen ist, sich in dieser schwierigen Phase zu verschulden. Genauso wichtig ist die Erteilung von Lizenzen zu finanzierbaren Konditionen. Eine seriöse Einschätzung des Marktpotentials eines High-Tech-Produktes oder einer entsprechenden Dienstleistung hat aber noch größere Bedeutung. Dabei kommt es entscheidend darauf an, neue Märkte zu erschließen und so einen Verdrängungswettbewerb mit etablierten Großanbietern zu vermeiden. Als klassischer Fermenterbauer hätte die neugegründete Firma wohl kaum eine Chance, gegen etablierte Anlagenbauer auf dem Markt anzutreten. Ziel unserer Firmenausgründung war es von Anfang an, nicht als Konkurrent der bestehenden Firmen aufzutreten, sondern mittels Innovation neue Märkte zu erschließen. Ein Industriepartner mit weltweitem Vertriebsnetz kann als Verbündeter helfen, den Markt und seine Gesetze richtig zu beurteilen, und ermöglicht es auch einem kleinen Unternehmen, international präsent zu sein.
Im Mai 1998 wurde anstelle des Einzelunternehmens die Papaspyrou biotechnologie GmbH gegründet. An der neuen Kapitalgesellschaft haben sich auch Thomas Drescher und Matthias Arnold beteiligt, zwei Gesellschafter der Jülicher Firma DASGIP mbH, die auf dem Gebiet der Informationstechnologie und Prozeßleittechnik erfolgreich ist. Dadurch gewinnt die Papaspyrou biotechnologie GmbH zusätzliches unternehmerisches und technologisches Know-how. Außerdem hat die Forschungszentrum Jülich GmbH die Absicht, sich mit einem Geschäftsanteil von 5 Prozent an dem Unternehemen zu beteiligen. Dies wird den Technologietransfer vom Forschungszentrum und die Nutzung seiner technisch-wissenschaftlichen Infrastruktur für das Unternehmen sicherstellen. Nach den Richtlinien des BMBF können sich staatliche Forschungseinrichtungen für die Dauer von bis zu 4 Jahren mit einem Anteil von maximal 24,9 Prozent an Firmenausgründungen beteiligen.
So wichtig das eigene Engagement und die Risikobereitschaft des Firmengründers sind, so reicht dies allein in vielen Fällen nicht aus. Dankbar bin ich für die Unterstützung von vielen Personen aus den unterschiedlichen Abteilungen des Forschungszentrums Jülich, ohne die ich das Unternehmen sicherlich nicht so weit gebracht hätte.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1998, Seite 49
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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