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Biotechnologie zwischen Optimismus und Skepsis


Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers versichert unablässig, im Jahre 2000 sei die Bundesrepublik nicht nur wissenschaftlich, sondern auch wirtschaftlich die Nummer eins der Biotechnologie in Europa. In einem am 20. Januar veröffentlichten Bericht zu Empfehlungen, die der Technologierat der Bundesregierung vor einem Jahr dazu vorgelegt hatte, erläutert der Minister ausführlich seine Strategie, geht aber auf einige prinzipielle Fragen nur peripher ein.
Der kommerzielle Aufschwung der Biotechnologie ist erstaunlich (Spektrum der Wissenschaft, April 1997, Seite 112). In Deutschland verdoppelte sich die Zahl der darauf spezialisierten Firmen zwischen 1995 und 1996 auf 150 und seither noch einmal auf mehr als 300. Mitte 1997 wurde beim Verband der Chemischen Industrie die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie gegründet. Die Hälfte ihrer derzeit 75 Mitglieder sind kleine Unternehmen (Bild 1). Die Motivation meist junger Wissenschaftler, sich an eine Firmengründung zu wagen, steigt. Das Risiko, an Geldmangel zu scheitern, scheint allmählich geringer zu werden.
Dazu hat vor allem der BioRegio-Wettbewerb beigetragen. Auf Anregung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) hatten sich Forschungsinstitute, Wirtschaftsunternehmen und Banken in 17 Regionen zum Aufbau regionaler Infrastrukturen für Biotechnologie zusammengeschlossen. Die Ende 1996 von einer Jury gekürten drei Sieger – der Initiativkreis Biotechnologie München, die BioRegio Rheinland und die BioRegio Rhein-Neckar-Dreieck – erhalten ab 1997 für fünf Jahre bevorzugten Zugang zur Förderung aus dem Biotechnologieprogramm des BMBF. Mit diesen 150 Millionen Mark sollen möglichst viele zusätzliche private Mittel mobilisiert werden. Für die BioRegio Jena gab die Jury ein Sondervotum ab; sie bewertete die dortige Neuorientierung von Forschung und Wirtschaft auf dem Gebiet der Biotechnologie besonders positiv.

Defizite und Illusionen

Die Grundlage für die Gründung kommerzieller Firmen – die biotechnologische Forschung – steht in Deutschland seit langem auf hohem Niveau. Sie erhielt in den letzten Jahren zusätzliche Impulse, nicht nur durch das BioRegio-Programm, sondern insbesondere durch die Humangenomforschung und die Leitprojekte zur molekularen Medizin, die das BMBF seit Mitte 1997 fördert. Der von der Bundesregierung eingesetzte Rat für Forschung, Technologie und Innovation stellt in seinem Anfang März 1997 erschienenen Bericht "Biotechnologie, Gentechnik und wirtschaftliche Innovation" dazu fest: "Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg waren in der Vergangenheit und sind in der Zukunft ein hoher Stellenwert der Grundlagenforschung und eine breit angelegte und gut ausgebaute Forschungs- und Technologie-Infrastruktur." Defizite bestünden bei den Bemühungen, die Erfolge kommerziell zu nutzen.
An diesen Befund will jetzt das BMBF anknüpfen: Seine Forschungsförderung setzt "neue Akzente, die auf Schaffung von Strukturen für die schnelle Umsetzung von Wissen in neue Produkte und Verfahren angelegt sind". Allerdings räumt der Regierungsbericht die Befürchtungen nicht aus dem Weg, daß zugunsten der Anwendungsorientierung in Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik die "Front des Verständnisses für die Grundlagenforschung abzubröckeln beginnt", wie das Technologierats-Mitglied Ernst-Ludwig Winnacker in einem Zeitungsinterview anläßlich seines Amtsantritts als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft anmerkte. Der Münchener Biochemiker erkennt zwar die neue Innovationskultur an, die sich in den Biowissenschaften an deutschen Hochschulen ausbreitet (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1998, Seite 126); doch stören ihn, wie er an anderer Stelle schrieb, "die Innovations-Preise, -Börsen, -Zentren und -Kollegs, mit denen die Bundesrepublik derzeit in geradezu inflationärer Weise überzogen wird". Sie hätten einerseits schon viel früher kommen müssen; andererseits dürfe von ihnen nicht erwartet werden, sie könnten unsere Zukunfts- und Arbeitsprobleme lösen. Diese Illusion erweckt aber der Regierungsbericht zur Biotechnologie mit seinen stets wiederkehrenden Argumenten und Prognosen der Wettbewerbsfähigkeit, des Standortes Deutschland und der Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze in der Biotechnologie (Verdreifachung in den fünf Jahren zwischen 1996 und 2000 auf 110000).

Regionale Kompetenzzentren und Forschungsschwerpunkte

Der Regierungsbericht nimmt Stellung zu 95 der insgesamt 96 Empfehlungen des Technologierates und zeigt, was schon getan wurde, was geplant ist und wo ihm nicht gefolgt werden kann. Im Bereich "Forschung, Technik, Anwendung" werden die Genzentren in Heidelberg, Berlin, Köln und München weiter gefördert, und im Rahmen des BioRegio-Wettbewerbs baut man regionale Kompetenzzentren auf.
Ob dies allerdings genügt, das vom Rat gewünschte "dichte wissenschaftliche Umfeld" zu schaffen, ist eine andere Frage. Auf die Anregung des Rates, die neuen informations- und kommunikationstechnologischen Möglichkeiten in der biotechnologischen Forschung mittels virtueller Forschungszentren zu nutzen, die auf Zeit mit einem straffen Forschungsmanagement eingerichtet werden, geht die Regierung mit keinem Wort ein. Die Mahnung des Rates, staatliche Mittel gezielt für zukunftsweisende Schwerpunkte und interdisziplinäre Zentren zu verwenden, leitet die Regierung an die Forschungsinstitutionen weiter.
Relativ zurückhaltend äußert sich die Regierung zu den Wünschen des Rates nach steuerlichen Erleichterungen für Firmengründungen. Die Empfehlungen des Rates zu einzelnen Forschungsfeldern und die Anmerkungen der Regierung betreffen Biotechnologie in der Medizin, der Genomforschung, dem Bereich Landwirtschaft, Ernährung und nachwachsende Rohstoffe sowie der Umweltbiologie. In der Bioinformatik verlangt die Regierung von den dort in Genomforschungsprojekten erfolgreich tätigen Instituten, sie müßten sich stärker vernetzen, zu einer gewissen institutionellen Verankerung bereit sein und ihre Aufgaben entsprechend umsteuern. Der Rat hatte dazu befristete virtuelle Forschungszentren gefordert.
Im übrigen hebt die Regierung die Bioinformatik besonders heraus: In ihr "vereinigt sich mit zunehmend sicherer analytischer Basis die gesamte Vielfalt von Natur- und Regulationsvorgängen, Bau-, Energie- und Betriebsstoffwechsel sowie Selbstorganisation der biologischen Materie einschließlich ihrer ausdifferenzierten Höchstleistungsfunktion". Wirtschaft, Wissenschaft und öffentliche Förderinstitutionen sollen gemeinsam eine Konzeption ausarbeiten, wie dieses Arbeitsgebiet auch in Richtung neuronaler Systeme weiterentwickelt werden könne.
Im Bereich "Rechtliche Rahmenbedingungen" kündigt die Regierung entsprechend der Anregung des Rates an, die Sicherheitsstufe 1 für als risikolos erkannte gentechnische Verfahren im Gesetz zu streichen, ebenso die bisher vorgeschriebene öffentliche Anhörung bei gewerblichem Umgang mit solchen Organismen. Am Embryonenschutzgesetz will der Rat indes festhalten. Die Bundesregierung sieht darin eine Stärkung ihrer Bemühungen, "in zentralen ethischen Fragen der Biomedizin auch auf internationaler Ebene Standards für die Humanforschung herbeizuführen".

Nutzen und Akzeptanz

Im letzten Kapitel seiner Feststellungen konstatiert der Technologierat, die Vorteile der Biotechnologie gegenüber anderen Forschungsansätzen seien bei der Arzneimittelherstellung, der Diagnose und der Therapie von Krankheiten weitgehend anerkannt. Deren Produkte seien auf dem Markt tatsächlich erhältlich, ihre Vorzüge spürbar. Anders bei der Anwendung der Biotechnik in Landwirtschaft und Lebensmitteln; hier sei der Nutzen noch nicht sichtbar (Bild 2). Dementsprechend dürfte sich der Umsatz der biotechnologischen Industrie bei Therapeutika und Diagnostika in den nächsten Jahren um jährlich ein Drittel erhöhen. Auch die Agrobiotechnologie dürfte dank des großen Interesses leistungsfähiger Firmen gut vorankommen. Die Zukunft biotechnischer Methoden bei der Produktion und beim Haltbarmachen von Nahrungsmitteln (wie der sogenannten Anti-Matsch-Tomate) scheint hingegen höchst ungewiß.
Zu dem größeren Optimismus der Regierung trägt bei, daß aus ihrer Sicht der hinhaltende Widerstand in der Gesellschaft gegen die Biotechnologie allmählich schwindet. Doch wie gegenwärtig die öffentliche Meinung in Deutschland tatsächlich zur Bio- und Gentechnik steht, hat ein Team von Kommunikationsforschern um Michael Schenk an der Universität Stuttgart-Hohenheim mit einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage unter 1500 Personen im Mai 1997 und mit einer Befragung von 119 deutschen Journalisten im August und September 1996 ermittelt (Bild 3).
Vor zehn Jahren meinten 45 Prozent der Westdeutschen, Gentechnologie berge so große Gefahren, daß sie nicht akzeptiert werden könne. Dieses finstere Klima der Akzeptanzverweigerung hellt sich nur in kleinen Schüben auf. Im Jahre 1985 war die Hälfte der Befragten dagegen, Gentechnologie staatlich zu fördern, 1992 immerhin noch 42 Prozent. Bereits damals wurde deutlich, daß weniger die Anzahl der Befürworter der Gentechnik als vielmehr die der Unentschiedenen zunahm. Die neue Verbunduntersuchung der Kommunikationswissenschaftler, die das BMBF fördert und die Akademie für Technikfolgenabschätzung Baden-Württemberg koordiniert, bestätigt diese Ambivalenz: 44 Prozent glauben, Chancen und Risiken hielten sich die Waage, die Gruppe der negativ Urteilenden ist immer noch größer als die der eindeutigen Befürworter. Die skeptischen Haltungen überwiegen also. Die höchste Zustimmung – von zum Teil weit mehr als der Hälfte der Befragten – erhalten medizinische Anwendungen der Gentechnik. Kritischer – mit weniger als der Hälfte Zustimmung – wird die "grüne Gentechnik" beurteilt, und ihre Verwendung im Lebensmittelbereich verfällt mit nur neun Prozent Zustimmung extremer Ablehnung, soweit Geschmack, Haltbarkeit und Aussehen der Produkte damit gesteuert würden.
Als Gründe für die immer noch starke Ablehnung der Gentechnik haben die Meinungsforscher mangelnde Kontrollierbarkeit ihres Vorgehens und viel zu wenig Information darüber festgestellt. Das trifft nicht nur die Wissenschaftler, sondern auch die Journalisten. Bei ihnen hat sich das Meinungsbild allerdings deutlich verändert. Es ist nach einer Umfrage in Presse und Rundfunk positiver geworden, und es fällt nicht mehr so undifferenziert aus wie früher. Auch die Allgemein-, besonders aber die Wissenschaftsjournalisten sind kompetenter geworden und fragen in Zweifelsfällen jetzt Naturwissenschaftler eher als Politik- und Sozialwissenschaftler um Rat. Am deutlichsten stimmen sie der Anwendung der Gentechnik bei Bakterien und in der Humanmedizin zu. Hier halten sich auch die meisten Journalisten heute selbst für gut bewandert. Negativ beurteilen die meisten allerdings die Anwendung bei Nutztieren.

Mangel an offener Diskussion erzeugt Mißtrauen

Diese Meinungsbilder in Öffentlichkeit und Journalismus bestätigen den Technologierat, der darauf hinweist, daß Gentechnik außerhalb der Medizin häufig Unbehagen und Angstvisionen schüre, die Wissenschaftler könnten "aus experimenteller Neugier alles auslösen beziehungsweise realisieren ..., was technisch machbar ist, ohne darüber nachzudenken, ob dies überhaupt wünschenswert und mit ethischen Prinzipien vereinbar ist". Gentechnik mache "ihrer fundamentalen Natur nach grundsätzlich das gesamte Leben auf der Erde ihren Methoden verfügbar". Das Gremium regt deshalb neue Formen der Kontrolle und Selbstkontrolle bei Wissenschaft und Unternehmen an.
Auch sei, so der Technologierat, das Mißtrauen aus der offensichtlichen Abschottung der Diskussion über Chancen und Risiken der Biotechnologie entstanden. Geringe Transparenz werde als bewußte Verheimlichung aufgefaßt, "Wirtschaft, Politik und (mit Abstufungen) Wissenschaft" verlören dadurch weiter an Glaubwürdigkeit. Die Bundesregierung solle deshalb eine eigenständige Informationsarbeit für die Biotechnologie aufbauen.
Diesen Schwarzen Peter gibt das BMBF zurück: Das sei schon Teil seiner Presse- und Öffentlichkeitsarbeit; Wissenschaft und Wirtschaft müßten jetzt ebenfalls ihre Erkenntnisse und Sichtweisen der Öffentlichkeit nahebringen. Mit einem "Innovationsforum Biotechnologie 2000", das demnächst gebildet wird, will die Bundesregierung allerdings die Anregung des Rates aufgreifen, einen öffentlichen Diskurs als Grundlage einer breiteren gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Biotechnologie und Gentechnik einzuleiten. Wird dieser dann zusammen mit dem Grundsatzbeschluß des Kabinetts vom Dezember 1996 zur Innovation in der Biotechnologie und dem ebenfalls von der gesamten Regierung gebilligten Bericht zu den Empfehlungen des Technologierates allerdings die von diesem dringend gewünschte "gemeinsame, klare und durchgängige Politiklinie" aufzeigen?


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1998, Seite 113
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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