Blinkendes Quallenprotein läßt Mäuse und Forscheraugen leuchten
Anfang 1994 stellten Molekularbiologen fest, daß sich das grün fluoreszierende Protein (GFP) der Qualle Aequorea victoria ideal als molekulares Etikett eignet. Will man ein beliebiges Stück Erbsubstanz auf ein Lebewesen übertragen und anschließend leicht überprüfen können, ob der Transfer geklappt hat, braucht man es nur mit dem Gen für GFP zu koppeln; grünes Leuchten beim Betrachten der manipulierten Zellen unter einer UV-Lampe dokumentiert den Erfolg (Spektrum der Wissenschaft Mai 1995, Seiten 30 bis 34). Wegen dieser einfachen Handhabung konnte sich das Quallenprotein, das seit 1995 auch als Fertig-Bausatz kommerziell erhältlich ist, in kürzester Zeit als Genmarker in der molekularbiologischen Praxis etablieren.
Beschränkte sich das Einsatzgebiet zunächst auf Einzeller und Bakterien, so haben Wissenschaftler inzwischen selbst komplette Pflanzen und Tiere mit GFP zum Leuchten gebracht. So versahen Karl J. Oparka und seine Mitarbeiter am Scottish Crop Research Institute in Dundee Pflanzenviren mit dem GFP-Genmarker, um genau verfolgen zu können, wie sich der Erreger in befallenen Gewächsen ausbreitet. Ebenso leicht läßt sich an den transgenen Pflanzen untersuchen, welche Faktoren die Vermehrung des Virus beeinflussen.
Auch in Tieren funktioniert das Leuchtphänomen. Schon 1994 ließ sich das GFP-Gen in Taufliegen und 1995 in Zebrafische einbringen. Mit einer verstärkt leuchtenden Mutante konnten Masaru Okabe und seine Mitarbeiter an der Universität von Osaka (Japan) jetzt auch Mäuse erzeugen, die als erste Säugetiere überhaupt unter der UV-Lampe durch und durch in einem gespenstischen Glibbergrün erstrahlen (Bild 1). Die Forscher hatten das Gen in befruchtete Eizellen eingeschleust. Dadurch war es in alle ausgereiften Körperzellen gelangt und sogar an die nächste Mäusegeneration weitervererbt worden. Fernziel solcher Arbeiten ist es, Grundfragen der Embryonalentwicklung zu klären.
Aber auch in der medizinischen Forschung wurde die Leuchterscheinung bereits nutzbringend eingesetzt. Beispielsweise diente sie dazu, die Ausbreitung metastasierender Krebszellen zu beobachten. Außerdem wurde GFP bei Versuchen zur Gentherapie von Tumoren in Zellkultur als Marker verwendet. Dabei ging es um die Frage, ob sich ein bestimmtes Retrovirus als spezifischer Überträger fremden Erbmaterials in Krebszellen eignet. Tatsächlich gelang es, eine an typische menschliche Erbfaktoren angeglichene Variante des GFP-Gens derart in kultivierte Hautkrebszellen aus menschlichen Melanomen einzubauen, daß sie dort auf Dauer aktiv war und auch an die Tochterzellen weitergegeben wurde.
Immer kompliziertere molekulare Werkzeuge und Sonden werden aus dem vielseitigen Leuchtprotein gebastelt. Im jüngsten Beispiel haben Atsushi Miyawaki und seine Mitarbeiter an der Universität von Kalifornien in San Diego zwei verschiedenfarbige Varianten in einem Konstrukt vereint: Sie umrahmen eine Calcium bindende Einheit aus dem Protein Calmodulin und dem Peptid M13. Sobald sich ein Calcium-Ion an das Calmodulin anlagert, ändert sich die Geometrie des gesamten Gebildes so, daß die kurzwelliger absorbierende GFP-Variante die aufgenommene Lichtenergie an das andere GFP weiterreicht, so daß dieses in seiner charakteristischen Farbe fluoresziert. Damit verfügt man über eine hochempfindliche Meßsonde, mit der sich noch geringste Calciummengen (bis zu einem hundertmillionstel Mol pro Liter) mit einer so hohen räumlichen Auflösung bestimmen lassen, daß es gelingt, die Konzentration im Cytosol (der Zellflüssigkeit) mit der in verschiedenen Organellen zu vergleichen. In anderen Experimenten bauten die Forscher die verschiedenfarbigen GFPs in getrennte Proteine ein und konnten auf analoge Weise die Wechselwirkung zwischen den Eiweißstoffen in der Zelle untersuchen.
Hilfreich beim Konstruieren derart komplizierter GFP-Varianten ist die Kenntnis der dreidimensionalen Struktur des Quallenproteins. Zwei Arbeitsgruppen konnten vor gut einem Jahr unabhängig voneinander zeigen, daß es sich um ein recht ausgefallenes und zugleich ästhetisch sehr reizvolles Gebilde handelt. Die äußere Hülle ist ein perfekt symmetrisches, erstaunlich großes Faß aus elf Strängen einer Beta-Faltblatt-Struktur, auf dessen Stirnseiten – gleichsam als Deckel – kurze helikal gewundene Abschnitte sitzen (Bild 2). Im Inneren des Hohlraums windet sich eine weitere, längere Helix um die Faßachse, und genau in deren Mitte befindet sich – wie der Wolframdraht in der Glühbirne – der leuchtende Teil des Moleküls (das Chromophor), der durch eine ungewöhnliche Reaktion zwischen benachbarten Aminosäurebausteinen entsteht.
Aus der Kenntnis dieser Struktur heraus läßt sich nun besser verstehen oder vorhersagen, wie sich der Austausch einzelner Aminosäurebausteine auf die Leuchterscheinung auswirkt. Das natürliche Quallenprotein absorbiert am besten bei etwa 396 Nanometern (an der Grenze zwischen Violett und nahem Ultraviolett), weist aber ein zweites Absorptionsmaximum bei 476 Nanometern (im blaugrünen Spektralbereich) auf. Man weiß inzwischen, daß die kurzwelligere Absorptionsbande auf den elektrisch neutralen Zustand des Chromophors zurückgeht, während die langwelligere nur auftritt, wenn der leuchtende Molekülteil eine negative Ladung trägt. Durch subtile Veränderungen derjenigen Aminosäurebausteine, die dem Chromophor hinreichend nahe kommen, um seinen Ladungszustand zu beeinflussen, können Forscher nun GFP-Varianten mit maßgeschneiderten optischen Eigenschaften erzeugen. Eine stärkere Energieaufnahme bei etwa 480 Nanometern ist zum Beispiel aus praktischen Gründen wünschenswert; denn für diesen Wellenlängenbereich gibt es Laser, die ihre Energie mit großer räumlicher und zeitlicher Präzision an das Protein abgeben können.
Trotz aller Fortschritte im theoretischen Verständnis des Fluoreszenzvorgangs beim GFP kam allerdings die Entdeckung, daß das Licht unter Umständen nicht gleichmäßig, sondern in Form diskreter Blitze abgestrahlt wird, völlig überraschend ("Nature", Band 388, Seiten 355 bis 358, 24. Juli 1997). William E. Moerner und seine Mitarbeiter an der Universität von Kalifornien in San Diego wollten an zwei GFP-Varianten mit negativ geladenem Chromophor, die bevorzugt im blaugrünen Bereich absorbieren, die fluoreszierenden Moleküle einzeln untersuchen. Dazu verteilten sie die Proteine sehr weiträumig in einem porösen Gel (einer Art Wackelpudding mit sehr kleinen Luftlöchern), so daß sie sich nicht mehr vom Fleck rühren konnten, aber immer noch für Licht und Chemikalien zugänglich waren. Die so eingefangenen Proteinmoleküle bestrahlten die Wissenschaftler mit Licht von 488 Nanometern Wellenlänge und filmten durch ein Mikroskop ihr Leuchten. Dabei konnten sie die Lichtemission einzelner GFP-Moleküle getrennt aufzeichnen, weil deren durchschnittlicher Abstand im Gel wesentlich größer war als die Auflösung des Mikroskops (250 Nanometer).
Verblüfft stellten Moerner und seine Mitarbeiter fest, daß jedes einzelne Molekül jeweils nur einige Sekunden lang fluoreszierte und dann für einige Sekunden erlosch, ehe es wiederum aufleuchtete. Dieser Wechsel zwischen hell und dunkel hielt – mit statistischen Schwankungen, aber im Mittel gleichbleibender Frequenz – für einige Minuten an, bis die Moleküle nach Aussendung von etwa einer Million Lichtquanten (Photonen) gewissermaßen erschöpft waren und ihr Leuchten auf Dauer einstellten. Allerdings ließen sie sich regenerieren, wenn sie etwa fünf Minuten lang mit energiereicherem violetten Licht bestrahlt wurden. Danach durchliefen sie den Blink-Zyklus wie zuvor.
Wirklich erklären läßt sich das Phänomen bisher nicht; man kann nur gewisse Vermutungen darüber anstellen. Offensichtlich müssen mindestens drei relativ stabile Zustände daran beteiligt sein. Zu Beginn und während der Fluoreszenz befindet sich das Molekül im energetisch günstigsten, anionischen (negativ geladenen) Zustand, in dem es das auftreffende Licht der Wellenlänge 488 Nanometer absorbiert und im grünen Spektralbereich wieder abstrahlt. Bei dem erschöpften Zustand, in dem das Leuchten völlig aufgehört hat, dürfte es sich dagegen um die neutrale Form des Chromophors handeln, die das eingestrahlte blaugrüne Licht gar nicht mehr absorbiert. Dafür spricht, daß sich das Protein mit violettem Licht regenerieren läßt, dessen Wellenlänge nahe am Absorptionsmaximum des neutralen Chromophors liegt. Durch die fortgesetzte Aufnahme und Abgabe von elektromagnetischer Strahlung, von der ein Teil jeweils in Wärme umgesetzt wird, gewinnt das zunächst negativ geladene Chromophor möglicherweise genügend Energie, um ein Elektron abzugeben und in die relativ hochenergetische neutrale Form überzugehen.
Am spekulativsten bleiben die Vermutungen über den dritten Zustand, den das Molekül in den kurzen Dunkelphasen während des Blinkens einnimmt. Vorerst läßt sich nicht viel mehr darüber sagen, als daß er energetisch wohl nur wenig über dem Grundzustand liegt, so daß leicht ein spontaner Wechsel zwischen beiden stattfinden kann.
Möglicherweise läßt sich das Blinken auch praktisch verwerten. Bei der von Moerner untersuchten GFP-Variante handelt es sich vermutlich um das erste molekular-optische System, das bei Raumtemperatur zwischen zwei Zuständen umgeschaltet werden kann. Ein Molekül, das auf eine kurze Bestrahlung bei 488 Nanometern mit pulsierender Fluoreszenz reagiert, könnte demnach etwa die binäre Ziffer 1 codieren, während eines, das sich im dauerhaft dunklen Zustand befindet, die 0 repräsentiert. Durch längeres Bestrahlen mit blaugrünem beziehungsweise violettem Licht ließen sich die beiden Ziffern ineinander umwandeln. Schaltgeschwindigkeiten von mehreren Minuten wären allerdings völlig inakzeptabel.
Ob Biophysik, Medizin, Entwicklungsbiologie oder Molekularbiologie – es gibt kaum einen Bereich der Life Sciences, in dem das grüne Leuchten noch nicht erstrahlt ist. GFP dient als Modellsubstrat für molekulare Chaperone ebenso wie als Sonde zur Messung der Viskosität des Cytoplasmas oder als Leuchtspur, anhand derer sich Transportwege innerhalb der Zelle verfolgen lassen. Noch bemerkenswerter als die rapide steigende Zahl der Einsatzmöglichkeiten von GFP ist dieser außerordentlich weit gespannte Bogen seiner Erforschung und Anwendung. Sein grünes Licht scheint in vieler Hinsicht ein Startsignal zu sein.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1997, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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