'Brauchen wir ein deutsches National Institute of Health?'
Der Vorsitzende des Stiftungsvorstandes Deutsches Krebsforschungszentrum, Professor Dr. Harald zur Hausen, plädiert für eine Neustrukturierung der deutschen Gesundheitsforschung nach US-amerikanischem Vorbild. Dadurch soll die Effizienz steigen und das Defizit gegenüber dem schlagkräftigen System der National Institutes of Health beseitigt werden.
Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor zur Hausen, aus Ihrer Sicht besteht ein Bedarf an außeruniversitärer biomedizinischer Forschung. Wo sind die Defizite?
Professor zur Hausen: Bedarf besteht dort, wo komplexe biomedizinische Fragestellungen eine umfassende interdisziplinäre Bearbeitung erfordern. Das gilt zum Beispiel für Krebs, für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für den allergischen und rheumatischen Formenkreis und für chronische Infektionsprozesse. Dies ist aber nur eine Auswahl aus dem möglichen Themenspektrum. Grundsätzlich können solche Themen natürlich auch an den Universitäten bearbeitet werden; allerdings ist dort die Forschungsstruktur für komplexe interdisziplinäre Ansätze nicht in gleicher Weise optimal.
Spektrum: Die Biomedizin rangierte in den Programmen der großen Forschungsorganisationen eher am Rande. Ist die Wahl des Neurologen Professor Dr. Karl Max Einhäupl zum Vorsitzenden des Wissenschaftsrats ein Zeichen, dass diese Fachrichtung künftig gestärkt wird?
zur Hausen: Ich stimme Ihrer Aussage zu, dass die Biomedizin in den großen Forschungsorganisationen eher am Rande rangiert. Es fehlt eben eine einheitliche Struktur. Ebenso fehlt eine einheitliche Repräsentanz etwa in den europäischen Forschungsorganisationen. Ich würde mich freuen, wenn die Wahl des Neurologen Einhäupl sich auch als ein Signal erweist, die Biomedizin künftig gezielt weiterzuentwickeln.
Spektrum: Sie fordern also einen Strukturwandel: Wie soll der aussehen?
zur Hausen: Ich habe meine Vorstellung zum Strukturwandel sowohl dem Wissenschaftsrat als auch den zuständigen Ministerien vorgelegt. Danach sollten die Gesundheitsforschungs-Einrichtungen der Helmholtz- und der Leibniz-Gesellschaft unter einer einheitlichen Führung zusammengefasst werden. Deren Aufgabe wäre es, durch gezielte Neuberufungen auf eine thematische Fokussierung hinzuwirken, durch internationale Begutachtungen das Evaluationssystem zu vereinheitlichen und über einen Vernetzungsfond die Bearbeitung von Querschnittthemen anzuregen.
Dies würde sicherlich nicht – wie immer wieder argumentiert wird – zu einer "Versäulung" des deutschen Forschungssystems führen, sondern der bereits bestehenden Versäulung entgegenwirken und ein eher flexibles Strukturelement schaffen. Ferner sollten die so zusammengeschlossenen Einrichtungen über spezielle Strukturen mit den umliegenden Universitätskliniken kooperieren oder sich direkt an der klinischen Forschung beteiligen.
Spektrum: Wie kann dieser Plan einer neuen Struktur nach dem Vorbild der US-amerikanischen "National Institutes of Health" konkret umgesetzt werden?
zur Hausen: Hier bedarf es eines mutigen politischen Schrittes. Es müsste vor allem ein Konsens zwischen dem Bund und den Sitzländern der betreffenden Einrichtungen hergestellt werden, der die Strukturfragen langfristig regelt. Erfolge dieser neuen Struktur sind nicht sehr kurzfristig zu erwarten. Vielmehr wird sich die Fokussierung der Einrichtungen erst mittelfristig einstellen können – vor allem bedingt durch eine Neuorientierung der Berufungspraxis.
Spektrum: Können Sie anhand eines Beispiels schildern, wie die derzeitige Struktur an ihre Grenzen stößt und welche Vorteile Ihr Modell demgegenüber böte?
zur Hausen: Die bestehende Struktur bringt der Gesundheitsforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft Nachteile – wie übrigens auch vielen anderen Einrichtungen dort. Alle sind von einer langfristigen pauschal verfügten 1,5-prozentigen Mittelsperre betroffen. Hingegen erfahren die Max-Planck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft jährlich einen Zuwachs, der mehrere Prozentpunkte beträgt. Für die Institutionen der Helmholtz-Gemeinschaft ist es deshalb sehr schwer, neue Themen aufzugreifen oder neue Nachwuchsgruppen einzurichten, selbst wenn eine ganze Reihe der bisherigen Abteilungen geschlossen werden.
Die Begutachtungssysteme der Einrichtungen innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft – aber auch diejenigen der Leibniz-Institute – sind uneinheitlich und werden nicht unter den gleichen harten Sachkriterien durchgeführt. Die gegenwärtige Struktur erleichtert es, in verschiedenen Institutionen Forschergruppen einzurichten, die auf analogen Sachgebieten arbeiten. Schließlich hat die Gesundheitsforschung im deutschen Bereich ein sehr uneinheitliches Profil und ist im Rahmen der Europäischen Union und auch international nur in Einzelaspekten vertreten.
Spektrum: Um Ihr Modell umsetzen zu können, müssen sehr viele Instanzen mitspielen. Werden da nicht viele Einrichtungen, die derzeit noch frei nebeneinander her forschen, versuchen, ihre Besitzstände und Entscheidungsfreiheit zu wahren?
zur Hausen: Die Zahl der Instanzen, die hier mitspielen müssen, ist vergleichsweise gering. Im Wesentlichen sind Bund und Länder gefordert, die entsprechende Richtlinie zu erarbeiten. Den Kuratorien und Aufsichtsräten der betreffenden Einrichtungen würde dann die Aufgabe obliegen, ihre jetzige Struktur den projizierten Entwicklungen anzupassen. Nach einer Reihe von Vorgesprächen habe ich zumindest den Eindruck, dass die Leiter der gesundheitsforschenden Institute der Leibniz-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft diesem Konzept grundsätzlich positiv gegenüberstehen.
Spektrum: Und wie sieht es mit den Kosten aus?
zur Hausen: Ich erwarte durch die Vereinheitlichung des Gesundheitsforschungssystems keine Kostensteigerung. Querberufungen werden in deutlichem Umfang vermieden. Durch gemeinsame Einrichtungen wären sogar in manchen Bereichen – wie etwa der Tierhaltung, des Bibliothekswesens und der Bioinformatik – gewisse Einsparungen zu erzielen.
Spektrum: Welche Hindernisse sind noch zu überwinden?
zur Hausen: Wir sind von einer Lösung der hier angeschnittenen Frage offensichtlich noch weit entfernt. Für mich ist der politische Wille nicht erkennbar, den hier vorgetragenen Vorschlag umzusetzen, obwohl er – zumindest nach meiner Überzeugung – die Effizienz der deutschen Gesundheitsforschung deutlich steigern würde.
Spektrum: Nach den ersten BSE-Fällen wurden sofort Millionen für die BSE-Forschung versprochen. Gesundheitsminister haben den Hut genommen. Das Ganze vermittelt nicht den Eindruck von Koordination. Hätte eine Organisationsstruktur nach US-amerikanischen Muster hier früher die Weichen stellen können?
zur Hausen: BSE mag als Beispiel dienen, wie sehr gerade komplexe chronische Erkrankungen eine fokussierte, dabei aber interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordern. Hier handelt es sich um eine Infektionskrankheit, deren Epidemiologie weitgehend unerforscht ist, deren früheres sporadisches Auftreten in unseren Rinderbeständen aufgrund einer fehlenden umfassenden pathohistologischen Diagnostik unbekannt ist und für die wir dringend weitere empfindlichere Untersuchungsverfahren benötigen.
Da bei uns eine übergeordnete Koordinationsstelle – wie sie etwa der Präsident oder Senat eines "Deutschen Zentrums für Gesundheitsforschung" darstellen könnte – fehlt, wird dieser Krankheitskomplex voraussichtlich nicht das einzige Beispiel bleiben, wo wir in Deutschland den US-amerikanischen Aktivitäten hinterherhinken.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2001, Seite 94
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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