Brief an die Leser
Verehrte Leserin, sehr geehrter Leser,
auch wenn Mephistopheles das sagt, als er Faust den tragischen Pakt mit einem roten Tropfen unterzeichnen läßt – Blut ist wirklich ein ganz besonderer Saft. Aber je mehr Komplikationen bei dessen Übertragung die Medizin ausschloß, desto mehr Möglichkeiten fand sie, mittels Konserven, Fraktionen und Derivaten dieser Körperflüssigkeit akute Bedrohungen und chronische Krankheiten zu behandeln. Deshalb bleiben einerseits Spenden knapp. Andererseits wäre in vielen Fällen, wie mein New Yorker Kollege John Rennie erläutert, "eine Vollblut-Transfusion gleichsam ein Neun-Gänge-Menü als Frühstück – zuviel des Guten". Neuere Verfahren, allein Plasma oder bestimmte Zellen zu gewinnen, schonen den Spender.
Der Chefredakteur des Scientific American hat mit einer derartigen Prozedur seit etwa neun Jahren Erfahrung. Regelmäßig in Intervallen von einigen Wochen läßt er seinem Kreislauf Blutplättchen entnehmen, die zum Beispiel Patienten mit Verbrennungen oder unter einer Krebstherapie dringend benötigen. Rennie beschreibt das so: "Während ich bequem zurückgelehnt liege, strömt permanent Blut aus meinem linken Arm durch eine Kanüle in eine sterile Zentrifuge, den Zellseparator. Die Rotation trennt die Blutbestandteile nach ihrer Dichte. In einem Plastikbeutel sammelt sich die wolkige, strohfarbene Fraktion mit den Plättchen. Alles übrige fließt samt etwas Salzlösung zurück in meinen rechten Arm. (Ein-Arm-Maschinen zapfen, separieren und refundieren zyklisch jeweils nur eine kleine Menge.) In 90 Minuten kommt eine Einheit Plättchen zusammen: zu wenig, als daß ich Schaden nähme, doch genug, um ein Leben zu retten. Danach fühle ich mich nicht einmal benommen."
Selbst die ausgefeilten Techniken Plasma- und Cytopherese beheben indes nicht den Mangel an Blut. Das erhofft man seit längerem von einem Ersatz, der zunächst allein die Hauptfunktion des komplexen Gemischs – Verteilung von Sauerstoff im Organismus und Abtransport des beim Stoffwechsel anfallenden Kohlendioxids – übernehmen sollte. Zwar werden sich in absehbarer Zukunft keine roten Blutkörperchen nachbauen lassen; aber Substitute für ihr gastragendes Molekül Hämoglobin sind in der klinischen Erprobung – sowohl synthetische Substanzen als auch clevere Abwandlungen des Naturprodukts. Über die Entwicklung solcher Präparate informieren Mary Nucci und Abraham Abuchowski (Seite 56)
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1998, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben