Physik: Zeitlosigkeit gibt es nicht
Unaufhaltsam scheint die Zeit voranzuschreiten. Wir sehen, wie unsere Kinder wachsen, wie unsere Freunde und wir selbst altern. Eine Möglichkeit, dem zu entrinnen, gibt es für uns nicht. Auch manch renommierter Wissenschaftler, etwa der theoretische Physiker Lee Smolin, betrachtet die Dominanz der Zeit als unanfechtbar. Für ihn ist die Zeit etwas Absolutes: Nicht einmal Naturgesetze stünden über ihr, wie er im vorliegenden Buch schreibt. Naturgesetze seien nicht zeitlos, sondern veränderten sich allmählich.
Smolin ist nicht irgendwer; er wirkte an Top-Einrichtungen des Wissenschaftsbetriebs: Harvard University (Cambridge), Institute for Advanced Study (Princeton), Yale University (New Haven), um nur einige zu nennen. Mit seinen Thesen nimmt er auch nicht unbedingt eine Außenseiterposition ein. Viele Physiker beschleichen mittlerweile Zweifel, ob etwa Naturkonstanten wirklich fixe Größen sind oder doch einer zeitlichen Entwicklung unterworfen. Mit seiner Vermutung einer alles dominierenden Zeit bezieht Smolin eine klare Gegenposition zu großen Denkern wie Isaac Newton (1642-1726) oder Albert Einstein (1879-1955), die die Welt von ewig geltenden Naturgesetzen beherrscht sahen.
Auch der Beschaffenheit des Raums widmet sich der Autor – ein Aspekt, der kaum weniger rätselhaft ist als die Zeit. Wahrscheinlich, so Smolin, werde sich der Raum einmal als Illusion erweisen, als eine Art makroskopische Eigenschaft, die aus mikroskopischen Phänomenen resultiere, ähnlich wie Temperatur und Druck. Die Relativitätstheorie verschmolz den Raum mit der Zeit zur Raumzeit, ein Ansatz, den Smolin für falsch hält: Der Raum sei nicht fundamental.
Smolins Hypothesen sind nicht immer ganz leicht nachzuvollziehen; einige von ihnen erläutert er in Interviews (auf englisch), die auf seiner Website www.timereborn.com verlinkt sind. Nach eigenem Bekunden will der Wissenschaftler in eine "neue Richtung der Grundlagenphysik" weisen. Provokant behauptet er, sie sei der einzige Ausweg aus den gegenwärtigen Rätseln der theoretischen Physik und der Kosmologie. Der Autor hält den Gedanken für absurd, dass sich die Geschichte des Universums mit einer zeitlosen "Weltformel" beschreiben lassen könnte. Ebenso gut könnten wir glauben, schreibt er, die Wahrheit über die Welt liege außerhalb von ihr. Wenn das Universum jedoch alles sei, was es gibt, könne nichts außerhalb von ihm existieren.
Die These einer alles dominierenden Zeit berge aber ein großes Dilemma, wie Smolin zugibt: Die offene Frage nämlich, ob ein Metagesetz existiere, das die zeitliche Entwicklung der Naturgesetze vorgebe. Eine Lösung dieser Frage könnte der Schlüssel für große Durchbrüche in der Kosmologie und der Grundlagenphysik sein, meint der Autor.
Die Lektüre des Werks verlangt hohe Aufmerksamkeit. Der Physiker behauptet zwar, dass er seine Ausführungen sehr leicht verständlich formuliert, was er aus seiner Sicht vielleicht auch tut. Doch tatsächlich sollten Smolins Leser eine gewisse Vorbildung in Sachen Relativitätstheorie, Quantentheorie und Kosmologie mitbringen.
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