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Bücher-Spezial: Sorgenkinder des Buchmarkts

Einmal im Jahr will Spektrum der Wissenschaft seinen Lesern einen etwas längeren und tieferen Blick in die Vielfalt der Sachbuch-Neuerscheinungen mit wissenschaftlichem Inhalt verschaffen - andere Medien nicht ausgeschlossen. Vollständigkeit bleibt ein unerreichbares Fernziel, wie der nachstehende Beitrag mit Zahlen belegt.

Etwa 800000 deutschsprachige Werke sind zur Zeit lieferbar; immerhin ein Viertel dieser gewaltigen Produktion trägt das Etikett „Sachbuch“. Dieses Segment des Buchmarktes wächst weiterhin und treibt neue Blüten: Die Sachbuch-Verlage präsentieren sich dem Leser ausdifferenzierter und spezialisierter, die Wissenschaftliche Buchgesellschaft bündelt Sach- und Fachbuchthemen aus Geistes- und Naturwissenschaften zwischen zwei Buchdeckeln, der Druck in Kleinauflage auf Bestellung („Books on demand“) bietet auch kleineren Verlagen die Möglichkeit zur Publikation wissenschaftlicher Werke, technische Neuerungen verändern zusehends das Programm der Verlage.

Eine Orientierung in diesem Dschungel fällt leichter, wenn man die Tendenzen und Mechanismen hinter diesen Entwicklungen nachvollziehen kann. Der Vergleich zur literarischen Produktion des Buchmarktes drängt sich auf, trägt aber nicht sonderlich weit. Eine der wenigen gemeinsamen Sorgen ist die drohende Abschaffung der Buchpreisbindung. Dieses Problem hat sich aber auf zwei Ebenen erledigt: Einerseits scheint man schließlich doch verstanden zu haben, daß der feste Ladenpreis auch einen Schutz für Leser und Lesekultur darstellt; andererseits weicht besonders der Sachbuchmarkt zu den neuen Medien aus, die immer häufiger nicht mit gebundenem, sondern nur mit einem empfohlenen Preis angeboten werden. Das betrifft besonders die Nachschlagewerke; immer mehr Leser gehen zu CD-ROM und Internet über, nicht nur aus Preisgründen oder um sich das Wälzen schwerer und platzfressender Lexika zu ersparen, sondern auch um der Aktualität willen. Gebundene Nachschlagewerke größeren Umfangs werden in die Nische repräsentativer Objekte des Bildungsbürgertums abgedrängt; ein – ansehnliches – Beispiel ist der von André Heller gestaltete Brockhaus.

Sach- und vor allem Fachbücher leiden unter speziellen Usancen der Branche. Statt, wie häufig in der Belletristik üblich, parallel zur Arbeit des fremdsprachigen Verlags eine Übersetzung anfertigen zu lassen, warten Verlage oft zu, ob sich eine Veröffentlichung in deutscher Sprache überhaupt rentiert, und lassen sich damit Verkaufschancen entgehen: Der Kunde kauft sofort und ausschließlich das fremdsprachige Werk, da das darin enthaltene Wissen bereits veraltet zu sein droht, wenn die Übersetzung erhältlich ist. Besonders ausgeprägt ist diese Entwicklung bei Computerbüchern, von denen nur ein Bruchteil in deutscher Sprache erhältlich ist. Eine weitere problematische Übung ist „Book replaces Book“: Anstelle einer erweiterten Neuauflage eines älteren Buches publiziert der Verlag ein völlig neues Werk zum selben Thema. Im Effekt überstehen nur die wenigsten Sachbücher die ersten Jahre, eine Kurzlebigkeit, die mit Rentabilitätsgesichtspunkten begründet wird.

Eine Orientierungshilfe anderer Art bietet der Internet-Buchhandel. Während er sein Schwergewicht zunächst auf ein belletristisches Angebot gelegt hatte, überdeckt er mittlerweile zunehmend das gesamte Sortiment, gestützt auf Vorhersagen, die dem Handel im Netz einen Zuwachs auf das Achtfache in den kommenden drei Jahren prognostizieren. Die Information über das Sachbuchangebot hat sich in den letzten sechs Monaten stark verbessert; größere Buchhandlungen und Großhändler erstellen nicht nur Bestsellerlisten, sondern stellen auch ein internes Bibliographiersystem zur Verfügung, das Suche und Auswahl wesentlich erleichtert.

Die neuen Möglichkeiten verändern auch die Rolle des Lesers. Durch die World-Wide-Web-typische Verknüpfung des Dokumentinhaltes mit anderen, räumlich wie sachlich möglicherweise weit entfernten Dokumenten wird das endlose Buch, mit begrenzter Seitenzahl, aber unbegrenzten Verknüpfungs- und Verschachtelungsmöglichkeiten, Wirklichkeit. Insofern der Leser die Möglichkeit hat, ein Buch im Netz durch Kommentare und Verknüpfungen selbst anzureichern, verschwimmt auch die Grenze zwischen Leser und Autor.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1999, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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