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Computer aus Proteinen

Biomoleküle als Rechnerbausteine erlauben im Prinzip, noch mehr Daten noch schneller auf noch engerem Raum zu speichern. Außerdem sollten sie sich besonders für parallele Datenverarbeitung, dreidimensionale Speichersysteme und die Konstruktion neuronaler Netze eignen - Grundvoraussetzung für die Schaffung künstlicher Intelligenz.

Der leistungsfähigste Supercom- puter der Welt kommt ohne jed- weden Halbleiter-Chip aus: Im menschlichen Gehirn sind organische Moleküle zu einem hochkomplexen Geflecht verbunden, das Berechnungen auszuführen, Sinneswahrnehmungen zu verarbeiten, Handlungsanweisungen zu geben, sich selbst zu reparieren, zu denken und zu fühlen vermag. Im Rechnen sind digitale Computer sicherlich sehr viel schneller und genauer als der Mensch, aber bei den anderen fünf Leistungen können sie selbst mit primitiven Organismen nicht mithalten.

Maschinen werden wahrscheinlich nie alle Fähigkeiten des natürlichen Gehirns erlangen; doch glauben viele Computerwissenschaftler, man könnte sich eini-ge besondere Eigenschaften biologischer Moleküle – insbesondere der Proteine – zunutze machen, um Rechnerbausteine herzustellen, die kleiner, schneller und leistungsfähiger sind als jedes heutige elektronische Schaltelement, die im Entwurfsstadium eingeschlossen.

Die Frage der Größe hat dabei besondere Bedeutung. Seit den sechziger Jahren ist die Computerindustrie bestrebt, die Bauelemente der Halbleiter-Chips immer weiter zu verkleinern, um aufnahmefähigere Speicher und leistungsstärkere Prozessoren herstellen zu können. Im wesentlichen bestehen diese Chips aus Reihen von Schaltern, meist sogenannten Logik-Gattern, die durch elektrische Ströme zwischen zwei mit 0 und 1 bezeichneten Zuständen hin- und hergeschaltet werden. (Computer stellen alle Informationen in diesen für sie typischen Binärziffern oder Bits dar.) Sollte die Miniaturisierung im bisherigen Tempo weitergehen, müßten die Logik-Gatter etwa im Jahre 2030 auf molekulare Maße geschrumpft sein.

Bei jeder Verkleinerung auf die Hälfte steigen allerdings die Herstellungskosten auf das Fünffache. Deshalb ist vermutlich schon viel früher der Punkt erreicht, an dem der Trend zu noch kleineren elektronischen Bauelementen nicht auf physikalische, sondern auf wirtschaftliche Grenzen stößt. Proteine als Funktionselemente von Schaltkreisen böten da unter Umständen eine preiswerte Alternative.

Moleküle sollten sich als Schalter für Computer eignen, weil ihre Atome in der Regel beweglich sind und ihre Positionen in vorhersagbarer Weise ändern. Wenn man diese Bewegung zu lenken und dabei mindestens zwei verschiedene Zustände zu erzeugen vermag, könnten diese die Ziffern 0 und 1 repräsentieren. In Frage kommende Moleküle haben nur etwa ein Tausendstel der Größe von heutigen Halbleiter-Transistoren für Logik-Gatter, deren Abmessungen rund ein Mikron (tausendstel Millimeter) betragen. Demnach mäße ein biomolekularer Computer mit einer vergleichbaren Anzahl logischer Schaltelemente nur ein Fünfzigstel eines heutigen Halbleiter-Rechners. Da kleinere Gatter höhere Schaltgeschwindigkeiten haben, könnten aus ihnen aufgebaute Rechner theoretisch zudem tausendmal so schnell sein.

Gleichwohl propagiert im gegenwärtigen Stadium niemand wirklich ernsthaft einen rein biomolekularen Computer. Zumindest für die nahe Zukunft scheinen Hybridsysteme realistischer, in denen Proteine und Halbleiter kombiniert sind. Aber auch sie sollten fünfzigmal kleiner und bis zu hundertmal schneller sein als die heutigen Rechner.

Biomoleküle haben auch den Vorteil, daß sie von Aufbau und Struktur her exakt einer bestimmten Aufgabe – etwa als Gatter für eine Schaltung – angepaßt werden können. Zudem kämen bioelektronische Bauelemente dem allgemeinen Trend zu spezialisierteren Rechnern entgegen, wie er sich in der Entwicklung neuer Hardware-Konfigurationen dokumentiert. Dazu gehören Systeme mit sogenannter Parallel-Architektur, die mehrere Datensätze gleichzeitig verarbeiten können. Des weiteren wird an Speichern gearbeitet, die Daten in drei statt wie bisher nur zwei Dimensionen ablegen, was das Fassungsvermögen enorm erhöhen würde. Und Wissenschaftler haben neuronale Netze entwickelt, welche die Fähigkeit des menschlichen Gehirns zum assoziativen Lernen nachahmen – eine Grundvoraussetzung für entscheidende Fortschritte in Richtung künstliche Intelligenz. Die Fähigkeit bestimmter Proteine, beim Bestrahlen mit Licht ihre Eigenschaften zu ändern, sollte die für solche Architekturen erforderliche Hardware vereinfachen.

Zwar sind bis jetzt noch keine Computer-Bauelemente auf dem Markt, die ganz oder teilweise aus Proteinen bestehen; doch kommen die internationalen Forschungsbemühungen zügig voran. Deshalb dürften Hybridsysteme recht bald den Sprung von der Zukunftsvisi-on zum käuflichen Produkt schaffen. Schließlich haben sie in einer einfachen Variante schon den Markt erobert: Die meisten tragbaren Personal Computer (Laptops oder Notebooks) und Mini-Fernsehgeräte sind mit Flüssigkristallanzeigen ausgestattet, in denen Halbleiter-Bauelemente und organische Moleküle gemeinsam die Helligkeit der einzelnen Bildpunkte (Pixel) bestimmen.


Das Protein der Purpurbakterien

Obwohl verschiedene Biomoleküle für Computer-Bauelemente in Betracht kommen, konzentriert sich das Interesse derzeit auf das Bakteriorhodopsin. Während der letzten zehn Jahre wurden in meinem Labor und in vielen anderen in Nordamerika, Europa und Japan Prototypen für Parallelprozessoren, dreidimensionale Datenspeicher und neuronale Netze gebaut, die auf diesem Protein basieren. Es findet sich in der Membran von Bakterien der Gattung Halobacterium und ermöglicht den in Salzwasser gedeihenden Organismen, bei Sauerstoff- oder Nahrungsmangel zu überleben. Trifft Licht auf das Protein, so ändert es seine Struktur (Bild 1) und transportiert ein Wasserstoff-Ion durch die Membran, die das Bakterium umhüllt; dadurch erzeugt es ein elektrochemisches Potential zwischen Innen und Außen, das die für den Zellstoffwechsel benötigte Energie liefert.

Diese lichtabhängigen Vorgänge entdeckten bereits in den frühen siebziger Jahren Walther Stoeckenius von der Universität von Kalifornien in San Francisco und Dieter Oesterhelt, der nun am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried tätig ist. Die Eignung von Bakteriorhodopsin für Schaltelemente in Computern erkannten dann russische Wissenschaftler. Daraufhin stellte Juri A. Owtschinnikow vom Schemjakin-Institut für Bioorganische Chemie in Moskau eine Gruppe aus Mitarbeitern von fünf sowjetischen Forschungseinrichtungen zusammen, die im Rahmen eines später "Rhodopsin-Projekt" genannten Vorhabens elektronische Bauelemente aus Biomolekülen entwickeln sollten. Da Owtschinnikow das Vertrauen der sowjetischen Militärführer genoß und sie davon zu überzeugen vermochte, daß durch Untersuchungen auf dem Gebiet der Bioelektronik die sowjetische Wissenschaft den Westen in der Computertechnologie überholen könne, wurde das Team großzügig finanziell unterstützt.

Viele Ergebnisse des ehrgeizigen Vorhabens gelten immer noch als Staatsgeheimnisse und werden vielleicht niemals aufgedeckt. Bekannt ist, daß das Militär Mikrofilme mit der Bezeichnung Biochrome aus Bakteriorhodopsin fabrizierte. Nach inoffiziellen Berichten ehemaliger sowjetischer Wissenschaftler, die heute in den USA leben, dürften mit Hilfe der Proteintechnologie auch optische Prozessoren hergestellt worden sein. Gleichfalls nur spekulieren kann man über die Details der eindrucksvollsten Errungenschaft, eines Prozessors für militärisches Radar.

Mein Interesse an Bakteriorhodopsin wurde geweckt, als ich in den siebziger Jahren an der Universität von Kalifornien in Riverside die biochemischen Grundlagen des Sehens untersuchte. Zunächst hatte ich mich damals vorwiegend mit dem verwandten Rhodopsin in der Netzhaut von Säugetieren befaßt, das auch Sehpurpur genannt wird. Es ist gleichfalls ein kompliziert aufgebautes Protein mit einem lichtabsorbierenden Bestandteil (11-cis-Retinal). Durch Licht angeregt, löst dieses sogenannte Chromophor eine komplexe Serie innerer Bewegungen aus, durch die sich die Struktur des gesamten Proteins sowie seine optischen und elektrischen Eigenschaften grundlegend ändern. Absorbiert Rhodopsin zum Beispiel Licht im menschlichen Auge, führt die Strukturänderung (zum all-trans-Retinal) über mehrere Zwischenschritte schließlich zur Blockade bestimmter Ionenkanäle und damit zu einer Spannungsänderung in der Membran, die als elektrisches Signal die optische Information an das Gehirn weitergibt.

Erste Schaltelemente aus Bakteriorhodopsin

Zuerst suchte ich allein die durch Licht hervorgerufenen Änderungen am Säuger-Rhodopsin zu verstehen. Während der späten siebziger Jahre begann ich mich jedoch auch für das bakterielle Gegenstück zu interessieren. Zugleich entschloß ich mich, mein Wissen über das Protein zu dem Versuch zu nutzen, Computerspeicher und -prozessoren daraus zu bauen: Albert F. Lawrence, damals bei der Firma Hughes Aircraft in Culver City (Kalifornien), hatte mich von den Zukunftschancen der Bioelektronik überzeugt und forschte ein Jahr lang bei mir im Labor über optische Speicher aus biologischem Material.

Wir konzentrierten uns dabei auf Bakteriorhodopsin, weil es stabiler und von seinen optischen Eigenschaften her besser geeignet ist als der Sehpurpur der Säuger; außerdem läßt es sich leicht in großen Mengen gewinnen. In der Natur funktioniert es in Salzsümpfen, in denen die Temperatur auf mehr als 65 Grad Celsius steigen und die Sonneneinstrahlung sehr intensiv sein kann. Demnach sollte es auch die Betriebsbedingungen von Computern aushalten.

Bei allen derzeit untersuchten Anwendungen für Prozessoren und Speicher nutzt man den photochemischen Zyklus (Bild 2) – eine Abfolge von Strukturänderungen unter Lichteinfluß. (Im Grundzustand wird das Molekül bR genannt; jede Strukturvariante kennzeichnet man durch einen anderen Buchstaben.) Die diversen Zwischenstufen lassen sich bestimmten Datenbits zuordnen. Sie absorbieren jeweils Licht in einem anderen Bereich des sichtbaren Spektrums; dadurch kann man die Daten leicht lesen, indem man einfach Laserstrahlen verschiedener Wellenlängen auf das Molekül richtet und feststellt, welche einen nachgeschalteten Detektor nicht erreichen. Da sich die Struktur von Bakteriorhodopsin mit einem Laser verändern und das gebildete Zwischenprodukt dann mit einem anderen ermitteln läßt, sind die Voraussetzungen für das gesonderte Schreiben und Lesen der Daten erfüllt.

Die meistuntersuchten Bauelemente verwenden den Grundzustand und eines der Zwischenstadien. Mit einem Laserstrahl wird zwischen den beiden, als 0 und 1 interpretierten Strukturen hin- und hergeschaltet. Die frühen Bakteriorhodopsin-Speicher erforderten allerdings großenteils Kühlung mit flüssigem Stickstoff, weil das von ihnen benutzte Zwischenprodukt K nur bei sehr tiefen Temperaturen daran gehindert wird, spontan in den Grundzustand bR zurückzukehren. Dafür reagierten sie wesentlich schneller als ihre Halbleiter-Pendants (der Übergang von der bR- zur K-Struktur findet innerhalb weniger billionstel Sekunden statt, während gängige Halbleiter-Elemente Schaltzeiten von einigen milliardstel Sekunden haben). Dennoch schlossen die erforderlichen niedrigen Temperaturen eine allgemeine Anwendung aus.

Inzwischen können die meisten Bakteriorhodopsin-Schaltelemente bei oder nahe Zimmertemperatur betrieben werden, weil man das auch unter diesen Bedingungen stabile Zwischenprodukt M verwendet. Es gibt jedoch möglicherweise noch günstigere Alternativen. Einige Zwischenstufen des photochemischen Zyklus nehmen nämlich bei Bestrahlung mit Licht einer anderen Wellenlänge außergewöhnliche Strukturen an (Bild 2). Zum Beispiel erzeugt ein roter Laserpuls aus der O-Form die Spezies P, die nach kurzer Zeit in die bis zu einige Jahre stabile Variante Q übergeht; durch Bestrahlen mit blauem Licht läßt sich Q seinerseits wieder in bR überführen.


Dreidimensionale Speicher und parallele Datenverarbeitung

Die Zwischenstufen P und Q, die bei der aufeinanderfolgenden Absorption eines grünen und eines roten Photons entstehen, sind besonders für die paralle- le Informationsverarbeitung geeignet. So haben wir ein Verfahren zum synchronen Schreiben von Daten entwickelt, das noch eine weitere Innovation beinhaltet: den dreidimensionalen Datenspeicher (Bild 3). Dabei ist ein Würfel aus Bakteriorhodopsin an zwei benachbarten Seiten von senkrecht zueinander stehenden gitterförmigen Anordnungen von Lasern umgeben. Diejenigen auf der einen Seite emittieren grünes Licht und starten den photochemischen Zyklus des Bakteriorhodopsins in einer ausgewählten quadratischen Ebene; wenn nach wenigen Millisekunden die Konzentration an Molekülen mit O-Struktur ein Maximum erreicht hat, läßt man gezielt einen Teil der rot emittierenden Laser auf der anderen Seite feuern.

Dabei werden nur diejenigen Regionen der aktivierten Ebene bestrahlt, die Datenbits aufnehmen sollen. Die Moleküle dort gehen zunächst in die P- und dann in die stabile Q-Form über, während die anderen in den Grundzustand zurückfallen. Wenn wir diesem die Binärzahl 0 und der Q-Struktur die 1 zuordnen, entspricht der Vorgang exakt dem in Halbleiter- und Magnetspeichern. Da das Rotlicht-Laserbündel viele Moleküle an verschiedenen Positionen innerhalb des aktivierten Quadrats auf einmal anregen kann, lassen sich zahlreiche Speicherstellen oder -adressen gleichzeitig, also parallel beschreiben. Mit blauem Licht wird der gesamte Speicherblock gelöscht, wobei alle Q-Formen in den bR-Zustand zurückkehren, so daß die logischen Einsen wieder zu Nullen werden.

Auch das Lesen der gespeicherten Daten beruht auf der selektiven Absorption von rotem Licht durch die O-Zwischenstufe. Wie beim Schreiben wird zunächst das betreffende Quadrat mit grünem Laserlicht bestrahlt; dadurch beginnen al-le Bakteriorhodopsin-Moleküle im bR-Zustand ihren photochemischen Zyklus. Nach zwei Millisekunden läßt man die gesamte Batterie der roten Laser sehr schwach aufleuchten. Die Moleküle im Binärzustand 1 (P/Q-Formen) sind für die roten Strahlen durchlässig und bleiben unbeeinflußt. Diejenigen Moleküle, die sich im Binärzustand 0 befanden (bR), halten die Strahlen dagegen zurück, weil der vorausgegangene grüne Puls sie in die rotabsorbierende O-Form überführt hat; andererseits ist die Strahlungsintensität so gering, daß die Struktur der Moleküle selbst nicht geändert wird (sie kehren im Verlauf des normalen Zyklus nach kurzer Zeit in den bR-Zustand zurück).

Ein Detektor registriert das durch den Speicherwürfel fallende Licht und zeichnet so die Positionen der O- und der P/Q-Formen auf – liest also die Nullen und Einsen. Der Vorgang ist nach etwa zehn Millisekunden abgeschlossen, was einer Datenübertragungsgeschwindigkeit von zehn Megabyte pro Sekunde für jedes Quadrat aus 1024 mal 1024 Speicherplätzen entspricht.

Außer der Möglichkeit paralleler Datenverarbeitung bieten Bakteriorhodopsin-Würfel wesentlich mehr Speicherplatz als zweidimensionale optische Systeme, bei denen die Bits auf der Oberfläche einer Scheibe eingeprägt sind. Beispielsweise basiert ein in jüngerer Zeit entwickelter nichtbiologischer Speicher auf einem dünnen Film aus magnetischem Material, der mit einem Laserstrahl beschrieben und durch ein Magnetfeld gelöscht wird. Während solche zweidimensionalen magnetooptischen Speicher maximal um die 100 Millionen Bits pro Quadratzentimeter aufnehmen können, erreichen dreidimensionale optische Systeme theoretisch Speicherdichten von einer Billion Bits pro Kubikzentimeter.

In der Praxis senken Beschränkungen durch Hardware und Optik diesen Wert zwar; trotzdem halten die meisten der auf diesem Gebiet tätigen Wissenschaftler eine Verbesserung der Speicherkapazität um den Faktor 300 gegenüber zweidimensionalen Systemen für möglich. Auch ich persönlich sehe die größten Auswirkungen der Bioelektronik auf die Computer-Hardware in näherer Zukunft im Bereich dreidimensionaler Speichermedien.

Ein weiterer Vorteil räumlicher Speicher liegt in ihrer Geschwindigkeit; in Kombination mit parallelen Rechnerarchitekturen sind sie nämlich äußerst schnell. (Auch im menschlichen Gehirn macht ja die parallele Datenverarbeitung das verhältnismäßig langsame Arbeitstempo der Nerven selbst wett und ermöglicht schnelle Reflexe und rasche Entscheidungen.) Wenn man ein Quadrat von 1024 mal 1024 Speicherplätzen in einem größeren Proteinwürfel bestrahlt, lassen sich 1045576 Datenbits oder ungefähr 105 Kilobyte auf einmal in den Speicher schreiben. Bei der erwähnten Dauer des Schreibvorgangs von rund zehn Millisekunden ergibt dies die genannte Schreibgeschwindigkeit von gut 10 Millionen Zeichen pro Sekunde, was mit der von langsamen Speichern auf Halbleiterbasis vergleichbar ist.

Aber jeder Speicherbaustein kann aus mehreren Datenwürfeln bestehen, und die Zugriffsgeschwindigkeit ist proportional zur Anzahl der parallel arbeitenden Würfel. Acht von ihnen ergäben bereits einen Speicher, der 80 Millionen Zeichen pro Sekunde aufnehmen könnte und damit bedeutend schneller wäre als heute existierende.

Die Würfel müssen allerdings extrem homogen aufgebaut sein, weil zu viele oder zu wenige Moleküle in einer Region die dort gespeicherte Information verfälschen würden. Während zweier Raumfährenflüge hat das W.-M.-Keck-Zentrum für Molekulare Elektronik der Universität Syracuse (US-Bundesstaat New York) in Zusammenarbeit mit BioServe Space Technologies an der Universität von Colorado in Boulder, dem Laboratorium der US-Luftwaffe in Rome (New York) und der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA die Möglichkeit untersucht, unter Schwerelosigkeit entsprechend einheitlich zusammengesetzte Kristalle herzustellen. Die Resultate sind ermutigend und weitere Flüge geplant.


Neuronale Netze

Auch an anderen Computersystemen auf Bakteriorhodopsin-Basis wird mittlerweile gearbeitet. So scheinen sich Biomoleküle gut als Komponenten von assoziativen Speichern zu eignen, die für neuronale Netze und die darauf fußenden neuen Ansätze zur Schaffung künstlicher Intelligenz gebraucht werden.

In ihrer Funktionsweise unterscheiden sich solche Speicher deutlich von denen in gängigen Computersystemen. Neuronale Rechner nehmen einen Datensatz – oft die digitale Darstellung eines Bildes – und suchen ihren gesamten Datenbestand nach einem passenden Gegenstück ab. Auch wenn keine perfekte Übereinstimmung zu erzielen ist, finden sie das Pendant mit der größten Ähnlichkeit. Da das menschliche Gehirn mit seinen neuronalen Verschaltungen auf entsprechende Weise arbeitet, sind viele Computerwissenschaftler davon überzeugt, daß künstliche Intelligenz nur mit assoziativen Speichern genügend hoher Kapazität verwirklicht werden könne.

In meinem Labor haben wir einen Assoziativ-Speicherbaustein entwickelt, der die holographischen Eigenschaften dünner Bakteriorhodopsin-Filme nutzt. In Form von Hologrammen lassen sich viele Bilder im selben Speichersegment unterbringen, was die simultane Analyse großer Datensätze ermöglicht. Das Speichersystem basiert auf dem klassischen Design von Eung G. Paek und Demetri Psaltis vom California Institute of Technology in Pasadena (siehe Spektrum der Wissenschaft, Mai 1987, Seite 54).

Unserer Meinung nach bietet Bakteriorhodopsin eine Reihe von Vorteilen gegenüber Kristallen mit nichtlinearen optischen Eigenschaften, die bislang für solche Speicher verwendet werden. Da das Protein empfindlicher auf Licht reagiert als die anorganischen Kristalle, kommt man mit geringeren Intensitäten aus. Dadurch wird weniger Energie für das Schreiben und Lesen benötigt, und der Zugriff beschleunigt sich. Ferner kann Bakteriorhodopsin wesentlich öfter beschrieben werden als anorganische Kristalle, die schon nach ziemlich wenigen Schreib-Lese-Zyklen Ermüdungserscheinungen zeigen.

Inzwischen versucht man die Eigenschaften des Proteins für Computer-Anwendungen zu optimieren, indem man gentechnisch Varianten herstellt, in denen einzelne Aminosäuren durch andere ersetzt sind. Wie Christoph Bräuchle und Norbert Hampp in Zusammenarbeit mit Oesterhelt gezeigt haben, ergibt sich beispielsweise eine längere Verweildauer im M-Zustand, wenn eine Aminosäure im Inneren des Proteins fehlt.


Hybridcomputer

Während komplette Computer aus Biomolekülen zweifellos das Fernziel sind, konzentrieren sich die meisten Wissenschaftler vorerst auf Hybridsysteme, welche die Vorteile von Halbleitern und Biomolekülen in sich vereinigen. Insbesondere könnten Speicher auf Proteinbasis den Entwicklungsvorsprung der Mikroprozessoren aufholen. Während sich deren Arbeitsgeschwindigkeit nämlich in den letzten zehn Jahren fast vertausendfacht hat, ist die Kapazität externer Speicher nur auf das Fünfzigfache gestiegen. Außerdem bremst die relativ langsame Datenübertragung zwischen ihnen und dem Prozessor die Rechner. Bei paralleler Verarbeitung und optischem Transfer der Daten in einem Hybridsystem, das die hervorragenden Schalteigenschaften von Biomolekülen nutzt, ließen sich extrem große Datenbestände speichern, transportieren und bearbeiten.

Um das Potential von Hybridcomputern zu erforschen, entwerfen wir derzeit in meinem Labor ein System, das vier Arten von Platinen (Steckkarten) enthält. Diejenige mit der zentralen Recheneinheit wird in herkömmlicher Halbleiter-Technologie gefertigt sein. Zwei andere Karten enthalten dagegen dreidimensionale Speicher auf Proteinbasis mit einer Kapazität von insgesamt rund 40 Gigabyte. Davon wird eine als schneller Speicher ohne bewegliche Teile mit unveränderlichem Inhalt, aber wahlfreiem Zugriff ausgelegt; die andere ist ein preisgünstigerer, wiederbeschreibbarer Langzeit-Speicher. Die vierte Karte wird einen Assoziativspeicher mit Filmen aus Bakteriorhodopsin enthalten.

Ein solcher Hybridrechner wäre ausgesprochen vielseitig (Bild 4). Unter Ausnutzung bestimmter Platinen-Kombinationen sollte er mühelos mit großen Datenbeständen umgehen, komplexe wissenschaftliche Simulationen durchführen und als überlegene Basis zur Schaffung künstlicher Intelligenz dienen können. Die Datenverarbeitung in assoziativen Speichern kombiniert mit Bakteriorhodopsin-Würfeln als Massenspeichern, die eine Kapazität von fast einem Terabyte (1012 Bytes) erreichen können, würde Suchoperationen in Datenbanken um Zehnerpotenzen schneller machen. Daß ein solcher Rechner auch als neuronaler Assoziativ-Computer fungieren kann, der zu lernen und Informationen ähnlich wie das menschliche Gehirn aufzubereiten vermag, verleiht ihm seine überragende Bedeutung für die Bemühungen, Rechenmaschinen mit Ansätzen von Intelligenz auszustatten.

Trotz der bemerkenswerten Erfolge, die meine und andere Arbeitsgruppen bei der Entwicklung von Prototypen für dreidimensionale Speicher und assoziative Prozessoren erzielt haben, ist es bis zum ersten voll funktionsfähigen Hybridcomputer noch ein weiter Weg. Damit die enorme Leistung nicht unbezahlbar wird, sind vielleicht andere als die beschriebenen Hardware-Komponenten erforderlich. Trotzdem erwarten wir, daß in spätestens acht Jahren Hybridsysteme der einen oder anderen Art existieren werden.

Nach unserer Überzeugung sollten sie im Laufe der nächsten zwei Jahrzehnte zum wichtigsten Instrument für wissenschaftliche Berechnungen und Multimedia-Anwendungen avancieren. Auch Personal Computer dürften dann mit preisgünstigen Speicherplatinen hoher Kapazität ausgerüstet sein, in die sich austauschbare Module mit mehreren Gigabyte Kapazität in Form kleiner Würfel einschieben lassen. Auf einem solchen Würfel könnte man zum Beispiel den Inhalt einer kompletten Enzyklopädie sowie alle persönlichen Schriftstücke aus den letzten zehn Jahren in der Hosentasche mitführen.

Aber die aufregendste Anwendung dürfte es auf einem anderen Gebiet geben. Mit Terabytes an Speicherkapazität, neuronalen Assoziationsmechanismen und der Fähigkeit zur parallelen Datenverarbeitung werden Hybridcomputer erstmals die drei grundlegenden Hardware-Voraussetzungen bieten, die zur Schaffung künstlicher Intelligenz erforderlich sind. Damit begänne eine neue Ära der Informationsverarbeitung.

Literaturhinweise

- Three-Dimensional Optical Storage Memory. Von Dimitri A. Parthenopoulos und Peter M. Rentzepis in: Science, Band 245, Seiten 843 bis 845; 25. August 1989.

– Bacteriorhodopsin: A Biological Material for Information Processing. Von Dieter Oesterhelt, Christoph Bräuchle und Norbert Hampp in: Quarterly Review of Biophysics, Band 24, Heft 4, Seiten 425 bis 478; November 1991.

– Protein-Based Optical Computing and Optical Memories. Von Robert R. Birge in: Computer, Band 25, Heft 11, Seiten 56 bis 67; November 1992.

– Protein-Based Three-Dimensional Memory. Von Robert R. Birge in: American Scientist, Band 82, Heft 4, Seiten 348 bis 355; Juli/August 1994.




Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1995, Seite 30
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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