Winters' Nachschlag: Das Auge isst mit, Isolde nicht
Den Nachwuchs gesunde Essensvorlieben lehren? Kinderleicht!
Mein Kühlschrank bot ein Bild des Elends. Außer einem Glas versteinerten Meerrettichs und einer Flasche Wodka fand ich nichts – also rief ich Schobel an, der mich schon an vielen Abenden vor der Imbissbude an der Ecke bewahrt hatte. Diesmal musste ich nur eine halbe Minute Small Talk halten, bis der ersehnte Satz fiel: "Du, ich koche übrigens gerade. Willst du nicht gleich zum Essen vorbeikommen?"
Wenig später überreichte ich meine liebevoll ausgewählten Mitbringsel (Wodka für Schobel, Meerrettich für seine Frau und ein Überraschungsei von der Tanke für die kleine Isolde) und versprach wie üblich eine baldige Gegeneinladung. Als ich dann mit Schobel in der Küche allein war, klagte er mir sein Leid: Schon seit Wochen verweigere seine Tochter jegliche noch so raffinierte Küchenkreation, sogar ihre geliebten vietnamesischen Sommerrollen verschmähe sie auf einmal. "Sie isst nur noch eins: Currywurst mit Pommes!"
Sofort erkannte ich die Chance, mir genug Dankbarkeit für die nächsten 20 Einladungen zu sichern. "Das kriegen wir schon hin", verkündete ich. "Setzt euch an die Tafel und tut, was ich sage." Während mein Gastgeber ins Esszimmer verschwand, kramte ich hastig das neue G&G heraus und las noch einmal den Artikel "Meine Suppe ess ich nicht!" auf S. 32. Dann war ich bereit für den ersten Gang meiner Essschule.
Isolde stocherte lustlos in ihrem Tafelspitz an braisiertem Spitzkohl. "Esst einfach begeistert, lobt den Geschmack und beachtet Isolde gar nicht!", raunte ich den Eltern verschwörerisch zu. Positiv eingestellte Kinder, das wusste ich aus dem oben genannten Artikel, greifen schneller zu unbekannten Lebensmitteln. Mit clownesken Gesten schaufelte ich mir grinsend meine Portion in den Mund, wobei mir immer wieder das Nudelsieb (ein wichtiger Bestandteil meines improvisierten Kostüms) vom Kopf rutschte.
Doch Isolde sah mich nur staunend und angsterfüllt an. Es wurde Zeit für Phase zwei. Ich verschwand kurz mit den Tellern in der Küche und kehrte kurz darauf mit einer Variation des Gerichts zurück. "Hmm, das wird lecker!", rief ich laut und nickte Isoldes Eltern zu, die verwirrt einstimmten. Beim Anblick meiner Küchenkreation fiel Schobel jedoch die Gabel aus der Hand. Ob es daran lag, dass ich den Kohl entsorgt, den Tafelspitz in bratwurstförmige Streifen geschnitten und die Brühe mit Erdbeermarmelade rot eingefärbt hatte? Dadurch sah das Gericht nun nicht nur wie Currywurst aus, es schmeckte auch extrem süß, womit ich gleich zwei der im Artikel erwähnten Gesetze beachtete: Kinder mögen alles, was viel Zucker enthält, und verlassen sich am liebsten auf bekannte Lebensmittel!
Unter dem Tisch gab ich Schobel, der von der wissenschaftlichen Basis meines Tuns natürlich keine Ahnung hatte, einen Tritt, woraufhin seine Frau und er weiter Begeisterungslaute herauspressten. "Boah, das ist so lecker, da ess ich doch auch Isoldes Portion noch auf!", tönte ich und schaute die Kleine aus den Augenwinkeln an, wobei mir meine Radieschen-Clownsnase in den Rotwein fiel, was hässliche Flecken auf der Tischdecke hinterließ. Isolde schob mir ihren Teller zu und quengelte aufgeregt: "Will Könniwust mit Pommes!"
Nun war es also Zeit, den letzten erziehungswissenschaftlichen Trumpf auszuspielen: Zwanglosigkeit erleichtert Kindern den Zugang zu unbekannten Speisen. Also begann ich, laut lachend mit meiner Gabel Tafelspitzstücke in Richtung Schobel und seiner Frau zu katapultieren. Eine Stimme in meinem Hinterkopf sagte mir, dass ich die Situation nicht mehr ganz im Griff hatte. "Ist dein Schmarotzerfreund jetzt endgültig durchgeknallt?", zischte die Dame des Hauses, während Schobel den Nachtisch holen ging. Dass ich das "Halbgefrorene von der Kastanie" kindgerecht mit einer Tüte Gummibärchen veredelt hatte, würde ihn jetzt wohl nicht mehr schocken.
Schließlich kippte Isolde ihren Teller um und begann laut zu weinen, Schobels Gattin verließ mit ihr den Raum, und ich erinnerte mich schlagartig an eine Verabredung, die ich – war es wirklich schon so spät? – jetzt gleich hatte. Auf dem Heimweg trottete ich bei der schäbigen Imbissbude an der Ecke vorbei und bestellte, was ich nun wohl wieder öfter essen würde: Currywurst mit Pommes.
Wenig später überreichte ich meine liebevoll ausgewählten Mitbringsel (Wodka für Schobel, Meerrettich für seine Frau und ein Überraschungsei von der Tanke für die kleine Isolde) und versprach wie üblich eine baldige Gegeneinladung. Als ich dann mit Schobel in der Küche allein war, klagte er mir sein Leid: Schon seit Wochen verweigere seine Tochter jegliche noch so raffinierte Küchenkreation, sogar ihre geliebten vietnamesischen Sommerrollen verschmähe sie auf einmal. "Sie isst nur noch eins: Currywurst mit Pommes!"
Sofort erkannte ich die Chance, mir genug Dankbarkeit für die nächsten 20 Einladungen zu sichern. "Das kriegen wir schon hin", verkündete ich. "Setzt euch an die Tafel und tut, was ich sage." Während mein Gastgeber ins Esszimmer verschwand, kramte ich hastig das neue G&G heraus und las noch einmal den Artikel "Meine Suppe ess ich nicht!" auf S. 32. Dann war ich bereit für den ersten Gang meiner Essschule.
Isolde stocherte lustlos in ihrem Tafelspitz an braisiertem Spitzkohl. "Esst einfach begeistert, lobt den Geschmack und beachtet Isolde gar nicht!", raunte ich den Eltern verschwörerisch zu. Positiv eingestellte Kinder, das wusste ich aus dem oben genannten Artikel, greifen schneller zu unbekannten Lebensmitteln. Mit clownesken Gesten schaufelte ich mir grinsend meine Portion in den Mund, wobei mir immer wieder das Nudelsieb (ein wichtiger Bestandteil meines improvisierten Kostüms) vom Kopf rutschte.
Doch Isolde sah mich nur staunend und angsterfüllt an. Es wurde Zeit für Phase zwei. Ich verschwand kurz mit den Tellern in der Küche und kehrte kurz darauf mit einer Variation des Gerichts zurück. "Hmm, das wird lecker!", rief ich laut und nickte Isoldes Eltern zu, die verwirrt einstimmten. Beim Anblick meiner Küchenkreation fiel Schobel jedoch die Gabel aus der Hand. Ob es daran lag, dass ich den Kohl entsorgt, den Tafelspitz in bratwurstförmige Streifen geschnitten und die Brühe mit Erdbeermarmelade rot eingefärbt hatte? Dadurch sah das Gericht nun nicht nur wie Currywurst aus, es schmeckte auch extrem süß, womit ich gleich zwei der im Artikel erwähnten Gesetze beachtete: Kinder mögen alles, was viel Zucker enthält, und verlassen sich am liebsten auf bekannte Lebensmittel!
Unter dem Tisch gab ich Schobel, der von der wissenschaftlichen Basis meines Tuns natürlich keine Ahnung hatte, einen Tritt, woraufhin seine Frau und er weiter Begeisterungslaute herauspressten. "Boah, das ist so lecker, da ess ich doch auch Isoldes Portion noch auf!", tönte ich und schaute die Kleine aus den Augenwinkeln an, wobei mir meine Radieschen-Clownsnase in den Rotwein fiel, was hässliche Flecken auf der Tischdecke hinterließ. Isolde schob mir ihren Teller zu und quengelte aufgeregt: "Will Könniwust mit Pommes!"
Nun war es also Zeit, den letzten erziehungswissenschaftlichen Trumpf auszuspielen: Zwanglosigkeit erleichtert Kindern den Zugang zu unbekannten Speisen. Also begann ich, laut lachend mit meiner Gabel Tafelspitzstücke in Richtung Schobel und seiner Frau zu katapultieren. Eine Stimme in meinem Hinterkopf sagte mir, dass ich die Situation nicht mehr ganz im Griff hatte. "Ist dein Schmarotzerfreund jetzt endgültig durchgeknallt?", zischte die Dame des Hauses, während Schobel den Nachtisch holen ging. Dass ich das "Halbgefrorene von der Kastanie" kindgerecht mit einer Tüte Gummibärchen veredelt hatte, würde ihn jetzt wohl nicht mehr schocken.
Schließlich kippte Isolde ihren Teller um und begann laut zu weinen, Schobels Gattin verließ mit ihr den Raum, und ich erinnerte mich schlagartig an eine Verabredung, die ich – war es wirklich schon so spät? – jetzt gleich hatte. Auf dem Heimweg trottete ich bei der schäbigen Imbissbude an der Ecke vorbei und bestellte, was ich nun wohl wieder öfter essen würde: Currywurst mit Pommes.
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