Das Dilemma der ökologischen Steuerreform
Der Magdeburger Parteitagsbeschluß der Grünen, den Benzinpreis innerhalb von zehn Jahren auf 5 Mark zu erhöhen, sorgte für Furore. Er drohte von wichtigen Problemen wie der Massenarbeitslosigkeit, aber auch vom Klimaproblem selbst abzulenken und lieferte diversen Interessengruppen die passende Munition, um Ökonomie und Ökologie, die soziale Frage und die Umweltfrage gegeneinander auszuspielen. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Leiter des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, bezeichnete den Fünf-Mark-Beschluß der Grünen als politisches Harakiri. So "erschreckt man die Leute, die aufs Auto angewiesen sind", zitierte ihn die Frankfurter Rundschau am 17. März 1998. Damit hat von Weizsäcker recht. Er selbst plädiert statt dessen für eine wesentlich langsamere und "menschenfreundlichere" Steigerung der Benzinpreise um jährlich 5 Prozent. Dies bedeute, so von Weizsäcker, "eine Verdoppelung der Benzinpreise in 14 Jahren und 5 Mark erst nach 22 Jahren".
Die Grünen halten dem entgegen, diese weiche Variante der ökologischen Steuerreform ließe sich zwar politisch leichter umsetzen, berge jedoch die Gefahr, ökologisch nichts zu bewirken. Mit diesem Einwand haben auch die Grünen recht. In der kritischen Beurteilung der jeweils anderen dieser beiden Varianten wird das Dilemma einer ökologischen Steuerreform deutlich: Die weiche verpaßt ihr Ziel, indem sie einen kaum relevanten Effekt auf den Energieverbrauch ausübt, und die radikale verprellt große Teile der Bevölkerung, insbesondere die unteren Einkommensgruppen. Die Protagonisten haben sich in eine Sackgasse manövriert. Noch schlimmer: Sie bestätigen das gängige Vorurteil, wonach Ökonomie und Ökologie einen unauflösbaren Gegensatz darstellen.
Der Umweltpolitik stehen vor allem zwei unterschiedliche Instrumente zur Verfügung: Steuerung über den Preis oder die Mengen. Entscheidet sie sich für eine Regelung über Preise, so riskiert sie, daß das Ziel, eine definierte Menge an Umweltschädigungen zu reduzieren, nur teilweise oder überhaupt nicht erreicht wird. Ein um 5 Prozent erhöhter Energiepreis bedeutet keineswegs, daß damit auch 5 Prozent weniger Energie verbraucht wird. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von der Preiselastizität der Nachfrage. Weil sie bei Energieträgern niedrig ist (eine Preissteigerung bringt geringe Spareffekte), sind auf der Grundlage von Modellrechnungen einer an der Universität Osnabrück erarbeiteten Studie hohe Preissteigerungen von 14,6 Prozent jährlich erforderlich, um den gesamten Energieverbrauch lediglich um 2,9 Prozent jährlich beziehungsweise 25 Prozent in zehn Jahren (das umweltpolitische Ziel der Bundesregierung) zu reduzieren. Im einzelnen rechnet die Studie für die zehn Jahre von 1996 bis 2005 folgende Preisänderungen vor, um insgesamt eine 25-prozentige Einsparung zu erreichen: für Rohbraunkohle 1009,8 Prozent; leichtes Heizöl 380,4; Steinkohle 348,2; verteilte Gase 273,7; Steinkohlenkoks 271,3; Dieselkraftstoff 162,4; Motorenbenzin 81,6 und Strom 61,2 Prozent.
Das Gespenst von 5 Mark pro Liter Benzin ist also kein Hirngespinst von Parteistrategen, sondern eine logische Konsequenz des ökonomischen Kalküls. Soll das Umweltziel annähernd erreicht werden, muß man kräftig zulangen. Eine der Schwächen des Konzepts ist, daß dabei nicht das erwünschte Umweltziel – eine Einschränkung des Energieverbrauchs – erreicht wird, sondern das Instrument dafür Verlustängste heraufbeschwört. Schließlich sind nicht horrende Energiepreise, sondern moderate Einsparraten von jährlich 2,9 Prozent für den Energieverbrauch das eigentliche Ziel, das sowohl die Industrie wie auch private Haushalte in den ersten Jahren spielend verkraften könnten. Die Ökosteuer ist und bleibt ein defensives Umweltkonzept, weil das Mittel den Zweck ins Zwielicht bringt.
Man konfrontiert die Menschen mit hohen finanziellen Belastungen und verspricht ihnen dafür eine Entlastung und die Erreichung des Umweltziels in der Zukunft – doch ohne Gewähr, daß dieses Versprechen je erfüllt wird. Bei diesem offensichtlichen Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist es nicht verwunderlich, daß die plumpen Attacken des CDU-Generalsekretärs Peter Hintze gegen die Ökosteuer auf fruchtbaren Boden fallen. Der Vorstoß mancher Grünen, den taktischen Fehler von "5 Mark in 10 Jahren" durch eine Kampagne "30 Pfennige pro Jahr" zu korrigieren, grenzt ans Lächerliche, unterstellt er doch, die Wähler könnten nicht rechnen.
Das Preisinstrument hat noch einen anderen Nachteil, der nicht minder gravierend ist. Selbst drastische Preissteigerungen von 14,6 Prozent vermögen den rechnerischen Energiespareffekt von 2,9 Prozent jährlich nicht zu garantieren. Hohe gesamtwirtschaftliche Wachstumsraten könnten die erzielten Einspareffekte beim Energieverbrauch mehr als wettmachen. Für die Annahme, daß hohe Energiepreise ein stärkeres Wirtschaftswachstum stoppen, gibt es keinen plausiblen Grund. Das Drei-Liter-Auto, sollte es – wie die Befürworter der ökologischen Steuerreform als sicher unterstellen – tatsächlich kommen, könnte durchaus zum neuen Exportschlager werden, der Wachstumsschübe mit absolut steigendem Energieverbrauch auslöst. Das Umweltziel ist nicht das Drei-Liter-Auto, sondern die Reduktion von absoluten Verbrauchsmengen und Emissionen.
Die ökologische Steuerreform kann selbst bei sehr hohen Energiepreisen nicht verhindern, daß dieses Ziel unterlaufen wird. Da zu erwarten ist, daß das Verkehrsaufkommen in den nächsten zwei Jahrzehnten in allen Bereichen global ansteigt, insbesondere bei Gütertransport und Flugverkehr, aber auch beim Individualverkehr, kann der gesamte Energieverbrauch – trotz einer spürbaren Verbrauchsreduktion pro Leistungseinheit – unter dem Strich durchaus steigen.
Die Protagonisten der ökologischen Steuerreform muten dem Preisinstrument mehr zu, als es zu leisten vermag. Preise und Märkte haben innerhalb des vorgegebenen Rahmens bei knappen Umweltressourcen wichtige Verteilungs- und Lenkungsfunktionen: Sie machen Bezugsscheine und Quotenzuteilungen überflüssig sowie bürokratische Fehlplanungen vermeidbar. Preise und Märkte können jedoch von sich aus den gewünschten sozialen und umweltpolitischen Rahmen nicht schaffen; dafür gibt es jedenfalls keine historischen Beispiele. Ganz im Gegenteil haben fehlende Rahmenbedingungen in der Vergangenheit stets soziale Katastrophen und ökonomische Krisen heraufbeschworen. Die inhumanen frühkapitalistischen Arbeitsbedingungen in Europa – der 16-Stunden-Tag oder die Frauen- und Kinderarbeit in den Bergwerken – wurden nicht durch Prei- se und Märkte abgeschafft, etwa durch eine soziale Steuerreform; vielmehr wurden Errungenschaften wie der 8-Stunden-Arbeitstag, soziale Sicherungssysteme oder das Etablieren von Tarifparteien politisch erkämpft und durch einen Gesellschaftsvertrag zur unverzichtbaren Grundlage der sozialen Marktwirtschaft gemacht. Wie die menschliche Arbeitskraft braucht auch die Natur zu ihrer Regeneration den Normalarbeitstag. Wer eine ökosoziale Marktwirtschaft will, kommt – analog zur sozialen Marktwirtschaft – nicht umhin, sie zu regulieren: indem die umweltverträglichen Mengen an Ressourcen vorgegeben werden.
Damit sind wir bei dem Mengeninstrument der Umweltpolitik. Bei dieser Alternative werden den Akteuren die umweltverträglichen Mengen fossiler Energieträger vorgegeben, während man die Verteilung des Energieangebots und die Preisentwicklung im übrigen gänzlich dem Markt überläßt. Der entscheidende Vorteil gegenüber dem Preisinstrument ist die Zielsicherheit, denn die Schonung der Umwelt selbst wird direkt und unverfälscht Gegenstand der politischen Entscheidung. Die Menschen befassen sich nicht mit Preissteigerungen, sondern direkt mit dem Ziel der Umweltverträglichkeit. Ob sie es akzeptieren, hängt davon ab, ob sie es als zumutbar einschätzen. Jährliche Energieeinsparungen von weniger als 3 Prozent, um nach 10 Jahren das Ziel von 25 Prozent zu erreichen, sind realisierbar und den Menschen leichter zu vermitteln als jährliche Preissteigerungen von über 14 Prozent – noch dazu ohne die Gewißheit, daß das Umweltziel tatsächlich erreicht wird.
Fällt die Entscheidung zugunsten dieses Instruments, so gilt es, die Regulierung von erlaubten Mengen politisch zu organisieren und umzusetzen. Genau hier aber scheint das eigentliche Handicap zu liegen: Das Modell klingt nach Planwirtschaft – ein wohl unüberwindbares Problem. Dies erklärt, weshalb die Grünen sowie Umweltinstitute und -gruppen einen riesigen Bogen darum machen. Doch es ist genauso wenig Planwirtschaft wie die ökologische Steuerreform.
Tatsächlich hat sich das Mengenkonzept bereits in vielen gesellschaftlichen Feldern bestens bewährt, beispielsweise für Naturschutz- und Freizeitgebiete, bei der Regulierung des Wildbestandes, in der Forstwirtschaft oder in der Fischerei. Seit Jahrzehnten wird die Nutzung von Binnenseen – etwa die des Dümmersees in der Nähe von Osnabrück – genau geregelt, indem eine Obergrenze für die Anzahl der Segelboote festgelegt ist. Weil die Kapazität des Sees für den Freizeitsport begrenzt ist, wird eine festgelegte Menge von Nutzungsrechten übertragen. Mehr Segelboote als vorgesehen sind damit ausgeschlossen. Würde nun die zuständige Kommune diese Regelung durch eine Segelbootsteuer ablösen, so dürften selbst sehr hohe Steuersätze den Dümmersee nicht davor schützen, alsbald mit Segelbooten übersät zu sein.
Wohlhabende sind demnach offenbar bereit, für die privilegierte Nutzung von begrenzt verfügbaren Ökonischen auch eine "ökologische Planwirtschaft" hinzunehmen. Stünden dieselben Personen jedoch bei ihrem Energieverbrauch vor der Wahl einer "planwirtschaftlichen" Begrenzung der Menge oder einer Ökosteuer, so würden sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach für die Steuerlösung entscheiden; denn diese Alternative erschiene durchaus zurecht als ein schwächeres Hindernis, wenn man weiterhin leistungsstarke Autos fahren, das Wirtschaftswachstum weiter ankurbeln und den Energieverbrauch noch erhöhen will.
Umweltschutzpolitik ist eine Politik der Mengenregulierung. Ohne die politische Festlegung von Verbrauchslimits für Umweltressourcen ist eine ökologische Marktwirtschaft undenkbar – genauso wenig wie eine soziale Marktwirtschaft ohne politisch festgelegte Arbeitszeiten und gesicherte Sozialsysteme.
Um aus Gründen des Klimaschutzes die Verbrauchsmenge fossiler Energieträger möglichst einfach und effektiv zu regulieren, ist eine unabhängige nationale (oder EU-weite) Agentur für Energievermarktung sinnvoll, die ähnlich wie die Bundesbank konstruiert ist und sich darüber hinaus demokratisch legitimiert, indem relevante gesellschaftliche Gruppen in ihr mitwirken. Sie hat ausschließlich die Aufgabe, durch das Ein- und Verkaufsmonopol zwischen dem Welt- und dem Binnenmarkt die für den Binnenmarkt politisch festgelegte Angebotsmenge und -struktur Jahr für Jahr durchzusetzen. Selbst bei einem radikalen Szenario – mit einer Reduktion des gegenwärtigen Verbrauchs um 83 Prozent in der Bundesrepublik bis zum Jahr 2100 – bleiben die jährlichen Reduktionsraten sehr moderat; durch direkte Mengenregulierung lassen sich drastische Versorgungseinbrüche vermeiden (siehe Tabelle und Diagramm).
Die Verteilung erfolgt weiterhin durch den Markt. Preissteigerungen sind hierbei möglich, aber durchaus nicht zwangsläufig und erst recht nicht Vorbedingung wie bei der ökologischen Steuerreform. Denn die Vorgabe, die auf den Märkten verfügbaren Energiemengen jedes Jahr beispielsweise um 2,9 Prozent zu senken, veranlaßt die Verbraucher, sich der Situation anzupassen, so daß die Nachfrage entsprechend gedämpft wird.
Doch bei allen Überlegungen über die wirksamste Strategie zur Senkung des Energieverbrauchs in den Industrieländern müssen wir folgendes bedenken: Drastische Energieeinsparungen dürften für diejenigen Länder des Südens, die wirtschaftlich stark von Ölexporten abhängen, gravierende Einnahmeverluste zur Folge haben. Nach einem Szenario des Stockholm Environment Institute von 1993 wäre es klimapolitisch erforderlich, daß die OPEC-Staaten ihre Ölproduktion, die 1988 noch 1210 Millionen Tonnen betrug, bis zum Jahre 2030 auf 616 Millionen Tonnen senken; aber dann würden wohl nur die bevölkerungsarmen, aber ölreichen Staaten wie Saudi-Arabien, Kuwait und die Arabischen Emirate einen ruinösen Wettbewerb um Marktanteile durchstehen. Diese Länder, die insgesamt nur 20 Millionen Einwohner zählen, verfügen zusammen über 40 Prozent der Ölreserven der Welt mit den geringsten Produktionskosten. Die meisten anderen Anbieterstaaten in Afrika, Asien, dem Mittleren Osten und Südamerika – etwa Nigeria, Algerien, Iran, Indonesien, Ägypten, Irak und Mexiko –, die etwa 480 Millionen Einwohner haben, würden aufgrund höherer Produktionskosten ihre Marktanteile und damit ihre Exporteinnahmen aus dem Ölgeschäft ganz oder teilweise verlieren. Soziale und politische Konflikte, Bürgerkriege, zwischenstaatliche Kriege und neue Flüchtlingswellen wären dann sehr wahrscheinlich.
Dieses durchaus realistische Szenario zeigt, daß die Klimaschutzpolitik zwischen den Staaten mit hohem Energieverbrauch und den Energieexportländern abgestimmt werden muß, wenn man nicht Verteilungskonflikte und soziale Krisen riskieren will. Doch in der gegenwärtigen Debatte über die ökologische Steuerreform werden die grenzüberschreitenden Folgen von nationalen oder EU-orientierten Maßnahmen systematisch vernachlässigt.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1998, Seite 35
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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