Angemerkt!: Das Geheimnis der mittleren Ebene
In unserer Serie "Die 5 größten Rätsel der Hirnforschung" skizzierten renommierte Neurowissenschaftler die spannendsten offenen Fragen des Fachs. Doch wie geht es weiter? Forscher müssen vor allem Wege finden, die koordinierte Tätigkeit neuronaler Netzwerke auszukundschaften - jenseits einzelner Nervenzellen, aber weit unter der komplexen Dynamik des gesamten Gehirns. Ein Ausblick auf die Herausforderung der Zukunft
Die biologische Grundlage des Geistes galt lange als letzte Terra incognita der Naturwissenschaften. Viele Menschen scheinen heute jedoch zu glauben, dass wir unsere Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken, Handlungen und Erinnerungen bald auf Hirnfunktionen zurückführen werden. Ist dieser Neuro-Optimismus gerechtfertigt? Ja und nein.
Tatsächlich können wir in Experimenten die Kommunikation zwischen Nervenzellen extrem genau messen, die funktionelle Anatomie neuronaler Netzwerke höchst differenziert beschreiben, den Signalfluss in kleinen Kerngebieten direkt visualisieren und die Aktivitätsmuster des menschlichen Hirns erfassen. Neue Methoden erlauben zudem, das Verhalten von Tieren durch genetische oder elektrische Manipulation ausgewählter Nervenzellen gezielt zu beeinflussen und auf diese Weise Einblicke in dessen neuronale Steuerung zu gewinnen.
Sind wir damit aber wirklich in der Lage, geistige Leistungen kausal auf Funktionen von Nervenzellen und Molekülen zurückzuführen? Jenseits der Wissenschafts-PR gibt es gute Gründe zur Bescheidenheit. Ein zentrales Problem ist etwa die Verknüpfung der verschiedenen Ebenen, auf denen wir Gehirn, Verhalten und Kognition untersuchen.
Einfaches Beispiel: das stomatogastrische Ganglion des Hummers. Dieses Tier ist bisher nicht durch geistige Höchstleistungen aufgefallen, und die Steuerung seiner Magenbewegungen durch zirka 30 Nervenzellen erscheint selbst für Krustentiere als eher triviales Problem. Dennoch haben die ehemalige Präsidentin der Society for Neuroscience, Eve Marder, und viele Kollegen Jahrzehnte auf die Analyse dieses "primitiven" Netzwerks verwendet. Nach rund 1000 einschlägigen Arbeiten ist es bis heute immer noch nicht möglich, das Verhalten des Ganglions sicher vorherzusagen.
Aus der Vernetzung einzelner Neurone entstehen offenbar derart komplexe Eigenschaften, dass sogar aufwändige Computermodelle nur Teilaspekte widerspiegeln können. Beliebig detailreiche Modellrechnungen sind ohnehin problematisch – eine vollständige Simulation des Gehirns wäre am Ende genauso heillos kompliziert wie das Original. Ganz abgesehen davon, dass unser Denkorgan eben kein Computer ist und die Metapher vom "neuronalen Kode" deshalb höchst irreführend!
Das Problem der Ebenen erschwert den interdisziplinären Dialog: Der Zellphysiologe weiß wohl noch, was er den Molekularbiologen fragen sollte und was er dem Mathematiker für dessen Simulationsrechnungen liefern muss. Die Untersuchung des ganzen menschlichen Gehirns bei neuropsychologischen Tests liegt jedoch weit außerhalb seiner experimentellen Reichweite. Die Ergebnisse des Neuroimaging – dieser Hightech-Variante der uralten Lokalisationstheorie geistiger Funktionen – sind weit gehend losgelöst vom Verständnis zellulärer Mechanismen.
Von einer einheitlichen, alle Ebenen überspannenden Neurobiologie des Geistes sind wir also immer noch weit entfernt. Die Kluft zwischen den zellphysiologischen Prozessen auf der einen Seite und der globalen funktionellen Architektur des Gehirns auf der anderen stellt eine große Herausforderung für die Zukunft dar. Neue, viel versprechende Methoden müssen uns den faszinierenden Kosmos auf dieser "mittleren Ebene" erst noch erschließen.
Wissenschaft ist stets unsystematisch und unvollständig; die Hirnforschung macht hier keine Ausnahme. Sie erlaubt spannende Einblicke in unsere Natur – überzogene Ansprüche auf die Beantwortung jahrtausendealter philosophischer Fragen nach dem Verhältnis von Körper und Geist hat sie gar nicht nötig. Sie kann sie auch bei Weitem nicht einlösen! Frei nach Thomas Alva Edison: Hirnforschung besteht aus 1 Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration.
Tatsächlich können wir in Experimenten die Kommunikation zwischen Nervenzellen extrem genau messen, die funktionelle Anatomie neuronaler Netzwerke höchst differenziert beschreiben, den Signalfluss in kleinen Kerngebieten direkt visualisieren und die Aktivitätsmuster des menschlichen Hirns erfassen. Neue Methoden erlauben zudem, das Verhalten von Tieren durch genetische oder elektrische Manipulation ausgewählter Nervenzellen gezielt zu beeinflussen und auf diese Weise Einblicke in dessen neuronale Steuerung zu gewinnen.
Sind wir damit aber wirklich in der Lage, geistige Leistungen kausal auf Funktionen von Nervenzellen und Molekülen zurückzuführen? Jenseits der Wissenschafts-PR gibt es gute Gründe zur Bescheidenheit. Ein zentrales Problem ist etwa die Verknüpfung der verschiedenen Ebenen, auf denen wir Gehirn, Verhalten und Kognition untersuchen.
Einfaches Beispiel: das stomatogastrische Ganglion des Hummers. Dieses Tier ist bisher nicht durch geistige Höchstleistungen aufgefallen, und die Steuerung seiner Magenbewegungen durch zirka 30 Nervenzellen erscheint selbst für Krustentiere als eher triviales Problem. Dennoch haben die ehemalige Präsidentin der Society for Neuroscience, Eve Marder, und viele Kollegen Jahrzehnte auf die Analyse dieses "primitiven" Netzwerks verwendet. Nach rund 1000 einschlägigen Arbeiten ist es bis heute immer noch nicht möglich, das Verhalten des Ganglions sicher vorherzusagen.
Aus der Vernetzung einzelner Neurone entstehen offenbar derart komplexe Eigenschaften, dass sogar aufwändige Computermodelle nur Teilaspekte widerspiegeln können. Beliebig detailreiche Modellrechnungen sind ohnehin problematisch – eine vollständige Simulation des Gehirns wäre am Ende genauso heillos kompliziert wie das Original. Ganz abgesehen davon, dass unser Denkorgan eben kein Computer ist und die Metapher vom "neuronalen Kode" deshalb höchst irreführend!
Das Problem der Ebenen erschwert den interdisziplinären Dialog: Der Zellphysiologe weiß wohl noch, was er den Molekularbiologen fragen sollte und was er dem Mathematiker für dessen Simulationsrechnungen liefern muss. Die Untersuchung des ganzen menschlichen Gehirns bei neuropsychologischen Tests liegt jedoch weit außerhalb seiner experimentellen Reichweite. Die Ergebnisse des Neuroimaging – dieser Hightech-Variante der uralten Lokalisationstheorie geistiger Funktionen – sind weit gehend losgelöst vom Verständnis zellulärer Mechanismen.
Von einer einheitlichen, alle Ebenen überspannenden Neurobiologie des Geistes sind wir also immer noch weit entfernt. Die Kluft zwischen den zellphysiologischen Prozessen auf der einen Seite und der globalen funktionellen Architektur des Gehirns auf der anderen stellt eine große Herausforderung für die Zukunft dar. Neue, viel versprechende Methoden müssen uns den faszinierenden Kosmos auf dieser "mittleren Ebene" erst noch erschließen.
Wissenschaft ist stets unsystematisch und unvollständig; die Hirnforschung macht hier keine Ausnahme. Sie erlaubt spannende Einblicke in unsere Natur – überzogene Ansprüche auf die Beantwortung jahrtausendealter philosophischer Fragen nach dem Verhältnis von Körper und Geist hat sie gar nicht nötig. Sie kann sie auch bei Weitem nicht einlösen! Frei nach Thomas Alva Edison: Hirnforschung besteht aus 1 Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration.
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