Wahrnehmung: Unsere inneren Universen
Am 10. April 2019 saßen Papst Franziskus, der südsudanesische Präsident Salva Kiir Mayardit sowie der frühere Rebellenführer Riek Machar im Vatikan zusammen beim Abendessen. Sie speisten schweigend. Es war der Beginn einer zweitägigen Klausur. Ihr Ziel: die Versöhnung nach einem Bürgerkrieg, in dem seit 2013 rund 400 000 Menschen ums Leben gekommen waren.
Ungefähr zur gleichen Zeit bereitete mein Doktorand Alberto Mariola ein neues Experiment vor. Sein Ziel: Versuchspersonen sollten erleben, wie sie in einem Zimmer saßen, das es in Wirklichkeit so nicht gab.
Mancher Psychiatriepatient klagt, die Welt um ihn herum oder sogar sein eigenes Ich sei nicht mehr »real«. Was echt ist und was nicht, erscheint in unseren heutigen Gesellschaften zunehmend beliebig zu werden. Kriegsparteien nehmen unterschiedliche Realitäten wahr und glauben fest daran. Dann kann es helfen, schweigend zusammen zu essen, schafft man doch so ein kleines Stückchen gemeinsame Realität, auf das sich alle einigen können – eine stabile Plattform für die weitere Verständigung.
Grundlegend unterschiedliche innere Universen finden wir aber nicht nur bei Kriegen oder Psychosen. 2015 kursierte im Internet das schlecht belichtete Foto eines Kleids und spaltete die Welt: Für die einen (darunter ich) war es blau und schwarz, für die anderen (darunter die Hälfte meiner Institutsbelegschaft) erschien es weiß und golden. Beide Seiten waren von ihrer Sichtweise vollkommen überzeugt und konnten sich schlicht nicht vorstellen, dass andere das nicht so sahen.
Wie leicht sich unsere Wahrnehmungssysteme austricksen lassen, wissen wir alle …
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