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Das Kommunikations-Chamäleon

Mehrzweck-Kommunikationssysteme werden die drahtlosen Computernetze von morgen zusammenhalten.


Es ist ein wesentliches Ziel des Projekts Oxygen, die gegenwärtige Vielzahl von Kommunikationsmitteln durch ein einziges handliches Gerät zu ersetzen. Damit würden wir auf diesem Gebiet das erreichen, was bei Computern seit jeher Standard ist: Ich habe nicht etwa einen Computer zum Erstellen von Präsentationen unter PowerPoint, einen anderen für die Verwaltung meiner E-Mail mit Eudora und einen dritten für Photoshop zur Bearbeitung von Bildern. Ich habe nur einen Computer, und ein Mausklick bringt mich von einem Programm zum anderen. Entsprechend möchte ich mein Mobiltelephon in einen Pager verwandeln, danach in ein Mittelwellenradio, um die Sportreportage zu verfolgen, dann in ein Fernsehgerät und dann in einen drahtlosen Internetanschluß – und all das auf Knopfdruck oder Zuruf.

Das Handy 21, das gegenwärtig am Informatiklabor des MIT entwickelt wird, soll ein leistungsstarker Taschencomputer sein, der alle diese Dienste bietet. Das scheint zunächst schier unmöglich: Die verschiedenen Geräte zusammengenommen wären so schwer, daß man sie kaum schleppen könnte. Aber wir halten das Problem für lösbar. Es ist Gegenstand des Projektes SpectrumWare an unserem Labor.

Meine Kollegen und ich entwickeln zu diesem Zweck Geräte, die zum Senden und Empfangen von Signalen verschiedenster Art programmierbar sind. Wir nennen sie "Kommunikations-Chamäleons", da sie je nach den Bedürfnissen des Nutzers ihre Erscheinungsform wechseln. Möchte der Nutzer einen Freund anrufen, dann stellt er das System als Telephon ein. Möchte er danach im Internet surfen, so kann er mit dem gleichen Gerät auf das World Wide Web zugreifen und Daten herunterladen.

Dieses Kommunikations-Chamäleon besteht aus einem Stück Mehrzweckhardware, das mit einer Vielzahl von spezialisierten Programmen ausgestattet ist. In ihnen liegt der Schlüssel zu dieser Vielseitigkeit. Die Kunst besteht darin, materielle Gegenstände durch Software zu ersetzen.

So haben meine Doktoranden Vanu Bose und Matt Welborn einen Radioempfänger in der Programmiersprache C++ geschrieben. Wenn Sie Ihren PC mit einer Antenne und einem Breitband-Analog-Digital-Wandler ausstatten – im wesentlichen ein Bauteil, das ein Hochfrequenzsignal in eine Folge von Bits umwandelt –, bringt Ihnen das Computerprogramm das Rundfunkprogramm zu Gehör. Ein anderer Doktorand, John Ankcorn, hat für die gleiche Hardware ein Programm fürs Fernsehprogramm geschrieben.

In unserem Softwareradio haben wir die Grenze zwischen digital und analog sowie zwischen Hardware und Software an den gleichen Punkt verlegt, nämlich so nahe wie möglich zur Antenne. Mit der Hardware können wir auf jedes 10-Megahertz-Band des Rundfunkspektrums zugreifen, das empfangene Signal in ein Zwischenfrequenzsignal umwandeln und danach in digitalisierter Form in den Arbeitsspeicher eines gewöhnlichen PCs übertragen. Den Rest der Verarbeitung erledigt ein Universalmikroprozessor unter einem gewöhnlichen Betriebssystem. Wie üblich, ist es sehr einfach, das gerade laufende Programm durch ein anderes abzulösen und damit aus einem Radio ein Mobiltelephon, eine Datenstation oder ähnliches zu machen. Dabei kann jedes Programm auf die Daten der anderen zugreifen.

Überdies benötigt das System nur wenig Spezialhardware und ist daher sehr einfach aufzurüsten. Wenn etwa unser Softwareradio die Signale mehre-rer Stationen zugleich empfangen soll, müssen wir es nur auf einem leistungsfähigeren PC laufen lassen.

Kommunikationsgeräte, die bislang als inkompatibel gelten, wie zum Beispiel digitale und analoge Handys, passen nun in dasselbe Gehäuse. Selbst das altmodische Fräulein vom Amt kehrt in automatisierter Form wieder, und es verbindet nicht nur mit Telephonen. Sie können vielleicht schon bald mit einem billigen Funkgerät das Netz anweisen: "Verbinde mich mit meiner Mutter!" Daraufhin sucht das System – und stellt Ihren Anruf zum CB-Funkgerät Ihrer Mutter durch, die gerade mit ihrem 45-Tonner über die Autobahn brettert.

 

Signalverarbeitung mit Software

Obwohl unser Schwerpunkt bisher auf sprachorientierten Geräten lag, können die Systeme ebensogut zur klassischen Datenübertragung benutzt werden. Durch einfaches Umprogrammieren wird aus der gleichen Hardware zum Beispiel eine medizinische Datenstation. Der Arzt am Krankenbett zieht dann das Handy 21 aus der Tasche und ruft Röntgenbilder oder andere Patientendaten ab, die auf einem fernen Server lagern. Was er in das Gerät diktiert, ist auf der Stelle in der elektronischen Patientenakte verfügbar.

In einem drahtlosen Netz mit vielen mobilen Geräten wie dem Net 21, das die Handys 21 miteinander verknüpfen soll, werden die Übertragungsbedingungen stark schwanken und kaum vorhersehbar sein. Außerdem haben die Programme, die das Netz verwenden, unterschiedliche Ansprüche an Bandbreite, Fehlerrate und Geheimhaltung. Die elektronische Abwicklung eines Geschäfts muß sorgfältig verschlüsselt werden – im Gegensatz zu einer Radio- oder Fernsehsendung. Bislang sind Geräte für den Betrieb am Netz fest verdrahtet und so ausgelegt, daß sie unter den schlechtesten anzunehmenden Bedingungen noch funktionieren. Sie halten daher Ressourcen wie Frequenzbandbreite und Energie bereit, die sie unter durchschittlichen Umständen gar nicht benötigen.

Mit der Technik des Projekts SpectrumWare werden diese Ressourcen viel ökonomischer zu nutzen sein. Da alle Parameter der Kommunikation durch Software eingestellt werden, können sie geändert werden, wann immer dies zweckmäßig erscheint. Eine Basisstation würde zum Beispiel die Bandbreite der Funkkanäle an die Anzahl der Mobiltelephone in ihrem Servicegebiet und deren spezielle Anforderungen anpassen. Geräte mit hohem Datendurchsatz würden einen eigenen, auf sie zugeschnittenen Kanal reserviert bekommen, während mehrere andere, auf denen nur telephoniert wird, sich bequem einen Multiplexkanal teilen.

Die Nützlichkeit von Kommunikations-Chamäleons hat sich im Rahen des Projekts SpectrumWare bereits erwiesen; inzwischen arbeiten wir an praktischen Anwendungen, die in zukünftige Netze integriert werden können. Dabei folgen wir drei Grundsätzen: Wir bauen Universal- statt Spezialhardware, wann immer dies möglich ist. Zweitens entwickeln wir Kommunikationssysteme, die sich dynamisch den aktuellen Bedingungen anpassen, statt einfach von einem theoretischen schlechtesten oder auch nur durchschnittlichen Zustand auszugehen. Schließlich entwerfen wir, soweit möglich, unsere Systeme als Software und nicht als Hardware. Glücklicherweise ist dies fast immer möglich.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1999, Seite 68
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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