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Das Radioaktivitätsmeßnetz


Detoniert ein nuklearer Sprengkörper, so entsteht eine Vielzahl radioaktiver Substanzen – zum einen durch die Spaltungs- und Fusionsprozesse selbst, zum anderen durch den Einfang der in großer Menge freigesetzten Neutronen. Beim Zerfall dieser Radionuklide bilden sich Tochterkerne, die ihrerseits meist wieder radioaktiv sind. Wegen der hohen Temperaturen in der Explosionsumgebung verbinden sich diese Substanzen – mit Ausnahme der chemisch inerten Edelgase – innig mit festen Staubteilchen der Luft (Aerosolen), die sich mit dem Wind in der Atmosphäre verbreiten und durch Niederschläge ausgewaschen werden können. Weil die meisten der in der Explosion gebildeten Radionuklide nicht in der Natur vorkommen und auch in kerntechnischen Anlagen und der Industrie keine Anwendung finden, ist ihre Entdeckung ein eindeutiges Indiz dafür, daß ein Kernwaffentest stattgefunden hat.

Diese Eindeutigkeit unterscheidet die Radioaktivitätsmethode von den anderen drei Verifikationstechniken des Internationalen Überwachungssystems: Sowohl Infraschall als auch Hydroakustik und Seismik beruhen auf dem Nachweis wellenmechanischer Auswirkungen einer Explosion auf die Ausbreitungsmedien Luft, Wasser und Erdkruste, die aus einer Vielzahl ähnlicher Ereignisse mit natürlicher Ursache herausgefiltert werden müssen. Allerdings kann ein stationäres Radioaktivitätsmeßnetz nur solche Kernexplosionen detektieren und identifizieren, die in der Atmosphäre oder knapp unterhalb der Erd- oder Meeresoberfläche stattfinden; unterirdische Kernsprengungen sind nur dann nachzuweisen, wenn radioaktive Edelgase durch Risse im Gestein in die Atmosphäre entweichen. Des weiteren kann der Nachweis nur zeitlich verzögert erfolgen, und der Ort der Radioaktivitäts-Freisetzung läßt sich nur grob ermitteln.

Die Schnelligkeit des Nachweises wird durch die Transportzeit der radioaktiven Substanzen vom Freisetzungsort bis zu einer Meßstation, in der die Umgebungsluft durch einen Filter gesaugt wird, der die Staubteilchen zurückhält, sowie durch die Dauer der Probennahme und der Messung selbst begrenzt, die Genauigkeit der Lokalisierung hingegen durch die Unsicherheiten der atmosphärischen Ausbreitungsanalysen. So kann ein Freisetzungsort, über den sonst keine Informationen vorliegen, mittels Ausbreitungsanalysen bei Transportzeiten von mehr als 48 Stunden mitunter nur auf einige hundert Kilometer genau lokalisiert werden. Um diese Nachteile zu umgehen, soll mit Infraschall eine zusätzliche Verifikationstechnik für atmosphärische Kernwaffenversuche eingesetzt werden, die kürzere Reaktionszeiten und wesentlich bessere Lokalisierungseigenschaften aufweist.


Anforderungen und technische Ausstattung

Das Radioaktivitätsmeßnetz soll die kontinuierliche Überwachung der Luft auf künstliche Radionuklide ermöglichen, die in Form von festen Partikeln – den Aerosolen – und von Edelgasen auftreten. Die Suche konzentriert sich dabei auf diejenigen Radionuklide, die sich im Filterstaub anhand ihrer Gamma-Quanten identifizieren lassen, die sie bei einer spezifischen Energie aussenden, sowie auf die radioaktiven Isotope des Edelgases Xenon, insbesondere auf Xenon-133. (Dieses ist das letzte instabile Stadium in einer Zerfallsreihe sehr kurzlebiger Nuklide, die bei der Spaltung von Uran- oder Plutoniumkernen entstehen; es zerfällt mit einer Halbwertszeit von 5,25 Tagen in das stabile, natürlich vorkommende Cäsium-133.)

Mit diesen Nachweisverfahren gibt es längjährige Erfahrungen. Die Kernwaffenstaaten setzen sie seit ihren ersten Versuchsexplosionen ein. In den fünfziger und sechziger Jahren wurden weltweit entsprechende Meßnetze betrieben, um das Ausmaß des globalen radioaktiven Niederschlags, des Fallouts, zu ermitteln. Nach dem Einstellen der oberirdischen Kernwaffenversuche begann der Pegel der künstlichen Radioaktivität der Atmosphäre allmählich zu sinken, so daß man die Meßnetze bis auf einige wenige Stationen wieder aufgab.

Das nun aufzubauende internationale Radioaktivitätsmeßnetz muß bestimmte Anforderungen erfüllen, die während der Genfer Verhandlungen festgelegt wurden. Zunächst einmal liegen den Planungen konkrete Annahmen über die Quellstärken von Kernexplosionen zugrunde, also über die Menge der in die Atmosphäre entlassenen Aktivität (Bild 1). Edelgase wurden ausdrücklich in das Meßsystem einbezogen, weil sie das Risiko für einen potentiellen Vertragsbrecher erhöhen, daß seine Aktivitäten aufgedeckt würden: Sollte er beispielsweise versuchen, eine Kernsprengung in einem unterirdischen Hohlraum durchzuführen, um das seismische Signal zu reduzieren, stiege die Wahrscheinlichkeit einer Edelgas-Freisetzung, weil der Feuerball der Explosion die Wände des Hohlraums nicht erreichen würde; dadurch wäre der Explosionsort nicht durch verdampftes und anschließend verglastes Gestein versiegelt, und Edelgase könnten durch Risse in der Gesteinsdecke nach oben diffundieren.

Die Konzeption des Meßnetzes muß mehrere voneinander abhängige Einflußgrößen berücksichtigen:

- die Nachweisempfindlichkeit des jeweils eingesetzten Meßverfahrens,

- die Anzahl der Meßstationen und

- die maximal zulässige Zeit bis zur Verfügbarkeit der Meßergebnisse im vorläufigen Internationalen Datenzentrum (Prototype International Data Center, PIDC) in Arlington (Virginia).

Anzahl und Standort der Stationen, die in Gegenden mit geringem Radioaktivitätshintergrund und geeigneten Windverhältnissen errichtet werden müssen, sowie die erforderliche Nachweisempfindlichkeit wurden anhand umfangreicher Modellrechnungen aus den angenommenen Quellstärken und der atmosphärischen Ausbreitung von Radioaktivitätsfreisetzungen an einer Vielzahl potentieller Testorte ermittelt. Übereinstimmend mit den Erfahrungen aus der Fallout-Überwachung zeigte sich, daß aufgrund der allgemeinen Zirkulation der Atmosphäre Freisetzungen in mittleren nördlichen und südlichen Breiten schneller großräumig verfrachtet werden als in Äquatornähe. Das Meßnetz müßte demzufolge in Äquatornähe dichter sein, um weltweit gleiche Nachweiseigenschaften zu erreichen, doch ist es dort – wie auch in der Südhemisphäre – wegen der ungünstigen Land-Wasser Verteilung äußerst schwierig, ausreichend viele geeignete Standorte zu finden.

Insgesamt sollen weltweit etwa 80 Meßstationen errichtet werden (Bild 2). Jede von ihnen saugt pro Stunde 500 Kubikmeter Luft durch einen Filter, der jeweils nach einem Tag ausgetauscht und mit einem hochauflösenden Gammaspektrometer vermessen wird. Die Ergebnisse sollen spätestens 48 Stunden nach Beendigung der Probennahme dem Internationalen Datenzentrum (International Data Center, IDC), das sich in Wien befinden wird, vorliegen.

Gemäß den Vorgaben soll mit diesem Netz ein in der Atmosphäre durchgeführter Kernwaffenversuch mit einer Explosionsenergie von einer Kilotonne TNT mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 90 Prozent innerhalb eines Zeitraums von zehn Tagen von mindestens einer Station nachgewiesen werden können. Modellrechnungen zufolge hängt diese Nachweiswahrscheinlichkeit nur wenig von der absoluten Empfindlichkeit der eingesetzten Meßgeräte ab; ausreichend sind zum Beispiel für Barium-140 zehn bis 30 Mikrobecquerel pro Kubikmeter Luft. Vollautomatisch arbeitende Meßstationen, die diesen Anforderungen gerecht werden, befinden sich in der Entwicklung beziehungsweise in der Routineerprobung und werden voraussichtlich Ende 1997 kommerziell erhältlich sein.

Das Expertengremium bei den Genfer Verhandlungen vermochte sich nicht darauf zu einigen, wieviele Überwachungseinrichtungen für Edelgasmessungen erforderlich sind. Als Kompromiß zwischen den unvereinbaren Positionen wurden schließlich vertraglich zunächst 40 Stationen festgelegt. Es besteht Einvernehmen darüber, daß diese die Infrastruktur der Aerosolstationen nutzen sollen. Der Luftdurchsatz der Edelgasmeßgeräte wird zehn Kubikmeter pro Tag betragen. Die Analyse – gesucht wird nach den Xenon-Nukliden 131m, 133, 133m und 135 – soll möglichst auf der Station erfolgen und das Ergebnis nach spätestens 48 Stunden dem internationalen Datenzentrum übermittelt werden.

Gegenwärtig befinden sich zwei vollautomatisch arbeitende Meßsysteme in der Entwicklung. Beide sollen im Frühjahr 1998 kommerziell erhältlich sein; ein Prototyp des amerikanischen RASA-Systems wird bereits erprobt (Bild 3).


Interpretation der Daten

Nach den vorliegenden Erfahrungen können die registrierten Gammaspektren im automatischen Meßbetrieb ausgewertet werden. Die Kriterien für die Identifikation eines Kernwaffentests sind allerdings noch verbindlich festzulegen. Hierzu würde sich zum Beispiel das gemessene Verhältnis von Zirkon-95 zu Niob-95 oder das von Xenon-133m zu Xenon-133 eignen.

Aus der Element- und Isotopenzusammensetzung der bei einem atmosphärischen Kernwaffentest freigesetzten Partikel mit Durchmessern im Bereich weniger Mikrometer lassen sich Schlußfolgerungen ziehen, die im Einzelfall weit über das reine Identifizieren einer nuklearen Explosion hinausreichen können. Beispielsweise vermag man Hinweise auf die beim Bau der Waffe verwendeten Materialien zu gewinnen, weil die Spaltstoffe Uran und Plutonium durch verschieden starke Neutronenaktivierung unterschiedliche Nuklidspektren verursachen. Infolge der unterschiedlichen Siedepunkte der einzelnen Elemente in einer Zerfallsreihe reichern sich Radionuklide unterschiedlicher chemischer Spezies entsprechend ihrer Halbwertszeit in bestimmtem Maße in den Staubpartikeln an, woraus man auf den Temperaturverlauf nach einer atmosphärischen Explosion schließen kann. Ob solche Analysen im Ereignisfall im Internationalen Überwachungssystem tatsächlich durchgeführt werden, ist noch nicht festgelegt.

Das Meßnetz wird im Normalfall fortwährend Daten über die natürliche Radioaktivität (etwa Beryllium-7, Blei-212 und Natrium-22) und über Spuren künstlicher Radionuklide (wie Cäsium-127) liefern, die für Forschungszwecke nützlich sein können. Nach einer noch festzulegenden Archivierungsfrist könnten die Aerosolfilterproben für wissenschaftliche Analysen freigegeben werden. Die Organisation des Abkommens über einen umfassenden Teststopp (Comprehensive Test Ban Treaty Organisation, CTBTO) in Wien wird hierzu eine Regelung treffen müssen, die auch den Interessen der Wissenschaft entgegenkommt.

Die Filterproben von Stationen, in denen sich Verdachtsmomente für einen Kernwaffenversuch ergeben, können in einem der 16 vertraglich festgelegten Radionuklid-Laboratorien des Internationalen Überwachungssystems einer weitergehenden Untersuchung – zum Beispiel durch radiochemische Aufbereitung und alpha- oder betaspektrometrische Analyse – unterzogen werden. Diese Labors sollen zudem das Internationale Datenzentrum in allen Fragen des Meßnetzbetriebs unterstützen. Hierzu gehören insbesondere die Durchführung von Qualitätssicherungs- und Schulungsmaßnahmen im jeweiligen Zuständigkeitsbereich.

Technischer Stand und Ausblick

Gegenwärtig wird hauptsächlich die Feinspezifikation der technischen und organisatorischen Parameter des Meßnetzes erarbeitet und dessen Realisierung vorangetrieben. Noch in diesem Jahr soll ein Großteil der vorgesehenen Standorte auf ihre Eignung überprüft werden.

Beim Aufbau des Meßnetzes kann auf den bereits 1995 auf freiwilliger Basis begonnenen Aktivitäten zum regelmäßigen Datenaustausch und zur technischen Einrichtung eines entsprechenden Datenzentrums aufgebaut werden, an dem zur Zeit 18 Aerosol- und zwei Edelgas-Meßstationen teilnehmen. Die geforderte Nachweisempfindlichkeit der Stationen wird in vielen Fällen bereits erreicht. Ihre Betriebsparameter, insbesondere die Zyklen für Probennahme, Messung und Datenübermittlung, entsprechen allerdings zumeist noch nicht dem vorgesehenen Standard. Im Rahmen der regelmäßigen Übertragung von Gammaspektren an das Datenzentrum werden dort auch computergestützte Verfahren zur Auswertung der Gammaspektren erprobt. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für den späteren operationellen Betrieb des Meßnetzes, der in etwa drei Jahren beginnen soll.

Die Meßdaten werden regelmäßig im World Wide Web (http://www.cdidc.org) veröffentlicht. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen außer den stets vorhandenen natürlichen Radionukliden Beryllium-7 und Blei-212 sowie Spuren von Cäsium-137 an einigen Stationen immer wieder künstliche Radionuklide wie Natrium-24, Iod-123 und Iod-131, die auf Isotopenanwendungen oder auf Emissionen lokaler Quellen zurückgeführt werden können. Die Edelgasmessungen, die bisher nur in Stockholm und an der Station auf dem Schauinsland bei Freiburg erfolgen, zeigen permanente Untergrundpegel von Xenon-133 im Bereich einiger bis zu einiger zehn Millibecquerel pro Kubikmeter Luft, die auf Leckagen aus Kernkraftwerken zurückzuführen sind. Dieser Umstand ist bei der Auswahl von Stationen mit zu berücksichtigen, um möglichst gute Nachweiseigenschaften im Meßnetz zu erhalten.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1997, Seite 109
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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