Das Schimmern des Ponyfisches. Plan und Zweck in der Natur.
Aus dem Englischen von Andreas Held. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1998. 205 Seiten, DM 39,80.
Der Ponyfisch erzeugt ein schimmerndes Leuchten. Aber nicht außen, sondern im Innern des Körpers. Das wäre unerklärlich, wüßte man nicht, daß dieser Fisch nächtens aus der dunklen Tiefe aufsteigt, um an der Oberfläche nach Nahrung zu suchen. Sein Eigenlicht sieht einem Reflex des schimmernden Nachthimmels dicht unter der Wasseroberfläche zum Verwechseln ähnlich und tarnt ihn so gegen Sicht von unten. Doch alles normal also! Nur ungewöhnlich.
George C. Williams, einer der ganz Großen unter den Evolutionsbiologen unserer Zeit, eröffnet mit diesem Beispiel sein Buch über den Prozeß der Evolution. Das kleine Werk handelt viel mehr vom Menschen selbst, als der Titel erahnen läßt. Und es gehört zum Feinsten, was in unserer Zeit über Evolution geschrieben wurde.
Die durch die Evolution entstandenen Maschinerien von Körper und Vererbung funktionieren faszinierend gut – so gut, daß wir Menschen sie immer noch nicht nachmachen können. Es gibt keine menschengebauten Maschinen, die sich wie die Organismen selbst entwickeln. Gleichwohl folgt die Biologie – wie jede Wissenschaft – der Doktrin, daß übernatürliche Erklärungen in der Evolution nichts zu suchen haben. Wo unserer Einsicht und unserem Verständnis der funktionalen Zusammenhänge (noch) Grenzen gesetzt sind, sucht die Forschung sie zu überwinden. Mit Erfolg, wie die moderne Gentechnik und die Anwendung evolutionsbiologischer Konzepte auf den Menschen eindrucksvoll bestätigen.
Genau hier ist auch der Schwerpunkt des vorliegenden Buches. Williams sucht geradezu die Übertragung auf den Menschen und läßt es nicht bei attraktiv formulierten Kapiteln und Thesen („Wozu Sex gut ist“) bewenden. In brillianter Weise führt er aus, wie heftig der Fetus mit dem ihn umgebenden Mutterleib um Vorteile kämpft. Keiner der beiden kann (und darf) den Konflikt gewinnen; eine gut verlaufende Schwangerschaft entspricht einer Pattsituation! Ähnlich konfliktträchtig ist das Altern als naturnotwendiger, nichtsdestotrotz vom alternden Individuum massiv abgelehnter Prozeß. Williams’ „Evolutionstheorie des Alterns“ ist ein Kabinettstück der Evolutionsbiologie, wenngleich kein sonderlich ermutigendes.
Beim Abstieg der Hoden aus der Bauchhöhle schlingt sich der Samenleiter der kleinen Jungen um den Harnleiter – hinderlich und unzweckmäßig; aber so ungeschickt, da gänzlich ohne Vorausschau, arbeitet die Evolution (Bild). Manche ihrer Auswirkungen dürften, so Williams, Lehrstücke für Mediziner sein, von deren Kenntnissen in dieser Hinsicht er nicht viel hält. Nicht ohne Grund kritisiert er auch den Umgang der Medizin mit Medikamenten gegen Mikroben, deren Virulenz durch falsche Anwendung gesteigert und nicht geschwächt wird. Die geläufige Tatsache, daß viele Krankheiten auf einer mangelnden Anpassung des Menschen – der „für ein Leben in der Steinzeit geplant ist“ – an die Verhältnisse der modernen Zivilisation beruhen, ist Williams Anlaß für eine naheliegende Schlußfolgerung: „Ich gehe davon aus, daß das Studium der Evolution – seit jeher von beträchtlichem geistigen Interesse – bald als unerläßliche Grundlage für die medizinische Wissenschaft erkannt wird.“ Nun, so schwach, wie Williams meint, ist die Evolutionsbiologie in der modernen Medizin wohl doch nicht vertreten.
Zum Abschluß wirft der Autor noch Blicke auf die „philosophischen Auswirkungen“ der Evolutionstheorie. Hier erhebt er die Klinge seines Geistes zu klirrendem Kampf gegen das Verdikt gegen die natürliche Selektion von George Bernard Shaw: „Er erkannte nicht, daß der biologische Schöpfungsprozeß zwar in der Tat übel, aber auch abgrundtief dumm ist.“ Mit glasklarer Argumentation wendet er sich gegen die Bestrebungen, festzulegen, ab wann eine befruchtete Eizelle „Mensch“ wird, und relativiert das „Menschsein“ von noch ungeborenen Feten. Ein wahrlich schlüpfriges Terrain, auch für einen klar denkenden und argumentierenden Biologen. Aber es gibt eben, so sein sehr treffender Schlußsatz, „keinen Aspekt des menschlichen Lebens, für den ein Verständnis der Evolution nicht eine unabdingbare Notwendigkeit darstellt.“
Man muß es lesen, dieses Buch; unbedingt!
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1999, Seite 116
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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