Das Technopol. Die Macht der Technologien und die Entmündigung der Gesellschaft
Das Titelbild zeigt die Vorderansicht eines PC, auf dem Bildschirm eine eingefangene menschliche Gestalt in der bekannten Darstellung der Körperproportionen von Leonardo da Vinci. Da läßt der erste flüchtige Blick auf rückwärtsgewandte Zivilisationskritik und eine aus der Mode gekommene Technikfeindlichkeit schließen.
Nun, es ist in der Tat kein bequemes Buch, das dem Zeitgeist huldigt. Der durch seine radikale Kulturkritik bekannt gewordene amerikanische Sozialwissenschaftler Neil Postman sieht sich selbst als „liebevollen Widerstandskämpfer“, so auch die Überschrift des letzten Kapitels. Dennoch handelt es sich weder um eine simple Verteufelung der Computertechnik oder der Naturwissenschaften noch um eine abermalige Beschwörung des Weltuntergangs.
Das Buch beginnt mit einem Mythos. Der Gott Theuth hat den Ägyptern die Schrift als ein Mittel für Erinnerung und Weisheit gebracht. Der ägyptische König Thamus wendet dagegen ein, daß die Schrift nur ein äußerliches Erinnern und den Anschein von Weisheit hervorbringe und bei den Lernenden Vergessenheit und Dünkelhaftigkeit bewirke. Wie das Schreiben, so Postman, sei jede technische Innovation sowohl Bürde als auch Segen. Angesichts der Scharen von eifernden Technophilen, „die nur sehen, was die neuen Technologien zu leisten vermögen, und sich nicht vorstellen wollen, was sie zerstören“, stelle er sich auf die kritische Seite: „Wenn schon irren, dann lieber auf der Seite eines skeptischen Thamus.“
„Sobald man einer Technik Zugang zu einer Kultur gewährt, spielt sie alles aus, was sie bei sich hat. Sie tut das, wozu sie bestimmt ist. Unsere Aufgabe ist es, zu erkennen, worin diese Bestimmung besteht...“ (Seite 15). Mit diesen eher unscheinbaren Worten stellt sich Postman gegen die gängige These, eine Technik an sich sei neutral und ihr Nutzen oder Nachteil hänge allein von der Art und Weise ab, wie sie gebraucht wird. Vielmehr sei diese Art und Weise weitgehend durch die Struktur dieser Technik selbst bestimmt: Ihre Funktion ergebe sich aus ihrer Form.
Mit neuen Technologien bildeten sich nicht nur neue Wörter aus, sondern sie bewirkten auch die Umdeutung alter Begriffe. Im Beispiel: Schreiben verändere die Bedeutung von „Erinnerung“ zu bloßem „Erinnern“, von „Weisheit“ zu bloßem „Bescheidwissen“. Insofern hätten Technologien etwas Tückisches und Gefährliches an sich.
Postman teilt die Kulturen ein in Werkzeugkulturen, Technokratien und Technopole. Sehr kenntnisreich und mit zwingender Argumentation schildert er den Weg der abendländischen Kultur von einer Werkzeugkultur zur Technokratie und zum Technopol, das er bisher erst in Nordamerika verwirklicht sieht; Westeuropa und Japan seien aber auf dem besten Wege dazu. Gemeint ist ein Kulturzustand, in dem die Menschen einer Schwemme unzusammenhängender und bedeutungsloser Information wehrlos ausgesetzt und ethische Orientierungen, die älteren Welterklärungen entspringen, zerstört sind. Statt dessen soll der Glaube an die Wissenschaft dem Leben Sinn geben, und Autorität wird einzig und allein wissenschaftlichen Verfahren zugesprochen.
Postman bleibt indes bei der Kritik problematischer Zustände nicht stehen, sondern äußert sich auch am Schluß zu möglichen Lösungen. Hier setzt er bei der Bildung und Erziehung an. Er fordert ein Curriculum, das nicht den Erwerb von Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellt und auch nicht das Kind, vielmehr die Idee, die über die einzelne Existenz hinausweist, und die Kohärenz mit der Geschichte der Menschheit. „Es geht hier um eine Bildung, die Wert auf Geschichte legt, auf eine wissenschaftliche Denkweise, auf einen disziplinierten Umgang mit Sprache, auf eine weitgefächerte Kenntnis von Kunst und Religion und insgesamt auf die Kontinuität menschlichen Strebens.“
Für sich genommen sind die Gedanken, die Postman in seinem neuesten Buch verfolgt, nicht neu. So wie er sie zu einer tiefgreifenden Kulturkritik zusammenfügt, sind sie es jedoch wert, noch einmal betrachtet und durchdacht zu werden.
Technikkritik ist notwendig – nur: Wo ist der Adressat? Wer soll das vor-geschlagene Bildungsprogramm durchsetzen? Hier bleibt Postman doch lieber auf der akademischen Ebene und flüchtet in den Kulturpessimismus, wenn er zum Schluß schreibt: „Ich gebe mich nicht der Illusion hin, daß ein solches Bildungsprogramm das weitere Vordringen des Technopols stoppen könnte. Aber vielleicht hilft es, ein ernsthaftes Gespräch in Gang zu bringen...“
Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1993, Seite 130
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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