"Das Werkzeug des Hippokrates" - eine Ausstellung zur Entwicklung der Medizintechnik
Die Arbeit des Arztes wird seit der Frühzeit von verschiedenen Werkzeugen unterstützt. Eine einschlägige Ausstellung des Siemens-Forums in München interpretiert den Begriff Werkzeug im weitesten Sinne, so daß die Zeitreise durch die Geschichte der Medizintechnik bei den Schamanen und Medizinmännern beginnt.
Der Mensch wurde in den frühen Kulturen generell als Einheit von Geist und Körper betrachtet. Magische und empirische Elemente mischten sich denn auch bei der Behandlung; und es ist kein Zufall, daß Arzt und Priester oft in Personalunion auftraten. Ihre Utensilien umfaßten außer einem Messer auch Amulette, Totems und anderes zauberkräftiges Gerät.
Dies änderte sich auch während des Altertums kaum, doch erfuhr die Theoriebildung starken Aufschwung. Im Vordergrund standen dabei zumeist die Selbstheilungskräfte der Natur, die der Arzt unterstützen sollte. Nachdem in Ägypten bereits im zweiten Jahrtausend vor Christus im "Papyrus Ebers" Rezepte und Heilverfahren festgehalten worden waren und man in Indien die Drei-Säfte-Lehre entwickelt hatte, wonach Krankheiten auf einer fehlerhaften Zusammensetzung oder Mischung von Körperflüssigkeiten beruhen, wurden die griechischen Ärzte Hippokrates (um 460 bis 375 vor Christus) und Galen (um 129 bis 199 nach Christus; er wirkte in Pergamon und dann in Rom) zu den Begründern der abendländischen Medizin. Krankheit sah man nun nicht mehr als übernatürliche Erscheinung an, sondern betrachtete sie unter rationalen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten.
Im Mittelalter nahmen sich zunächst vor allem die Klöster der Kranken an. Die Heilkunde, die großenteils auf den antiken Traditionen fußte, stellte die Behandlung mittels der in den Klostergärten gezüchteten Kräuter sowie das Gebet in den Vordergrund. Auch die scholastische Medizin des Hochmittelalters, die an den neugegründeten Universitäten entstand, befaßte sich noch weithin mit der antiken und arabischen Überlieferung; ihr wesentliches Werkzeug und schließlich Attribut aber wurde das Harnglas: Je nach Farbe und Zusammensetzung des Urins seines Patienten stellte der Arzt seine Diagnose. Außer dieser Schulmedizin widmet sich die Ausstellung der historischen Volksmedizin, in der Bader und Starstecher mit Schröpfeisen und -glocken zur Ader ließen oder mittels eines Stichels getrübte Augenlinsen entfernten.
Die Renaissance bildete einen Wendepunkt der europäischen Kultur und damit auch der Heilkunde: Wegen ihrer Machtlosigkeit gegenüber epidemischen Krankheiten – vor allem den Seuchenzügen der Pest seit dem 14. Jahrhundert und dann der Ausbreitung der Syphilis – wurden die alten Autoritäten verworfen. Die Medizin gründete sich nun auf eigene Erfahrung und Experiment. Theophrastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1494 bis 1541), war dabei der Wegbereiter für den neuzeitlichen Krankheitsbegriff, der jeder Gesundheitsstörung eine eindeutige Ursache und Lokalisation im Körper zuweist.
Die Chirurgie erhielt außer durch neue anatomische Erkenntnisse aufgrund von Sektionen auch durch die Herausforderungen der frühneuzeitlichen Waffentechnik einen bedeutenden Aufschwung, da es für die Behandlung von Schußwunden keine antiken Vorbilder gab. So entwickelte der französische Feldarzt Ambroise Paré (um 1510 bis 1590) zusammen mit einem Schlosser zahlreiche Prothesen als Hand-, Arm- oder Beinersatz (Bild 1). Das Werkzeug des Arztes vervielfältigte und verfeinerte sich zu dieser Zeit erheblich.
Im 17. und 18. Jahrhundert wurde das Weltbild der Medizin entscheidend durch die aufstrebenden Naturwissenschaften verändert. Technische Hilfsmittel wie Mikroskop und Laborgerätschaften fanden Eingang in die Praxis des Arztes. Der Bretone Théophile Laennec (1781 bis 1826) verbesserte die Abklopftechnik durch Einführung des Hörrohres, das als Stethoskop zum neuen Attribut der Ärzteschaft avancierte.
Dennoch blieben altbekannte Mittel und Verfahren erhalten oder dominierten gar noch einmal. So wurden Klistiere die Modetherapie des 18. Jahrhunderts, und Frankreich importierte in dem einen Jahr 1833 nicht weniger als 42 Millionen Blutegel, weil sie im eigenen Land infolge der hohen Nachfrage so gut wie ausgerottet waren.
Entsprechend dem allgemeinen Aufschwung von Wissenschaft und Technik entwickelt sich auch die Medizin vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem bis dahin ungekannten Maße; zahlreiche neue Fachgebiete etablierten sich, und für die ärztliche Ausbildung ist seither ein Universitätsstudium vorgeschrieben. Mit der Bakteriologie, die der in Lille und Paris tätige Chemiker Louis Pasteur (1822 bis 1895) begründete, entstand eine neue Grundlagendisziplin. Die Elektromedizin wiederum eröffnete mit der von Wilhelm Conrad Röntgen (1845 bis 1923) im Jahre 1895 entdeckten hoch-energetischen Strahlung völlig neue Bereiche. Die Ausstellung dokumentiert diese Entwicklungen mit dem ersten Bakterien-Brutschrank von Robert Koch (1843 bis 1910), dem Entdecker des Cholera-Bazillus, und mit frühen Röntgenapparaten.
Die Medizin der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte die bahnbrechenden Entdeckungen der Jahrhundertwende fort. Elektrotechnik und Elektronik nahmen als technische Hilfsmittel in Diagnose und Therapie seit den fünfziger Jahren stark zu. Als Beispiel zeigt die Ausstellung unter anderem die Computertomographie, die überlagerungsfreie Querschnittsbilder des menschlichen Körpers auf der Basis der Röntgentechnik liefert. Bei der Kernspintomographie hingegen verwendet man die kernmagnetische Resonanz zur Bildgebung.
Außer mit solchen elektromedizinischen Diagnoseverfahren wie Ultraschall-Untersuchungen, Angiographie (Gefäßdarstellung) oder EKG und EEG befaßt sich die Ausstellung auch mit den neuen Therapiemöglichkeiten: Durch die extrakorporale Stoßwellen-Lithotripsie können Nieren- und Harnleitersteine seit 1980 vorwiegend ohne Operation entfernt werden (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1991, Seite 44); die Strahlentherapie ermöglicht immer präzisere Behandlungen, und elektronische Hörgeräte erhalten Gehörgeschädigten den Kontakt mit der Umwelt.
Die Entwicklung der Medizintechnik hat sicherlich wesentlichen Anteil an der Erhöhung der Lebensqualität und der Lebenserwartung der Menschen – ein Aspekt, der in der Präsentation des Siemens-Forums ebenso thematisiert wird wie die steigenden Gesundheitskosten. Die Sonderausstellung bietet zahlreiches Anschauungsmaterial in Form von Exponaten, Bildern und Videofilmen. Zu sehen ist sie bis zum 23. April außer feiertags montags bis freitags von 9 bis 16 sowie samstags und sonntags von 10 bis 14 Uhr.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1995, Seite 101
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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