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Bauchspiegelung: Den Tunnelblick erweitern

Zusatzinformationen im Monitorbild simulieren ein klassisches, also offenes Operationsfeld.


So groß der Segen der Schlüssellochchirurgie für den Patienten auch ist, die Arbeit des Arztes erleichtert sie nicht. Das gilt auch für die Anfang der 1990er Jahre etablierte Laparoskopie, also die minimalinvasive Bauchoperation. Denn der Chirurg erfasst nicht mehr das ganze Operationsfeld, sondern nur noch einen kreisförmigen, flächig wirkenden Ausschnitt. Zudem fehlt ihm nun die Möglichkeit, unter Geweben verborgene Strukturen zu ertasten, sei es, um sich zu orientieren, sei es, um sie nicht zu verletzen. Muss der Arzt beispiels-weise einen Teil des Dickdarms herausschneiden, der im linken Unterbauch unmittelbar beim Harnleiter verläuft, bleibt ihm nun nur eines übrig: Im engen Blickfeld der Endoskopkamera präpariert er das beide Organe koppelnde Bindegewebe sukzessive heraus, bis er es lösen kann.

Vom Zeitaufwand abgesehen, ruft diese Bildschirmarbeit mitunter sogar Desorientierung, Schwindelgefühle und Übelkeit hervor. Die menschliche Feinmotorik wird nämlich im Wesentlichen über den Lage- und Orientierungssinn des Innenohres und über den Gesichtssinn gesteuert. Die Augen schauen dazu meist in die Richtung, in die Hände und Finger bewegt werden sollen. Das Ziel wird dreidimensional erfasst, eine Bewegung gestartet und unter Sichtkontakt korrigiert. Ein Endoskop bietet aber nur selten eine räumliche Darstellung und entkoppelt die Augen vom Gleichgewichtsorgan. Die Kamera dreht sich, ohne dass der Chirurg den Kopf bewegt hat. Das optische Feedback wird gestört.

Ein jüngerer Zweig der Computergrafik könnte Abhilfe schaffen, nämlich einerseits die virtual reality, die es trefflich versteht, räumlich wirkende Ansichten zu generieren, andererseits die augmented reality, zu Deutsch etwa "verstärkte Wirklichkeit", die das Gesehene um Zusatzinformationen anreichert. Ein Ingenieur soll zum Beispiel bei der Begutachtung eines Geräts dessen Konstruktionszeichnungen in eine Spezialbrille einspiegeln können, ein Tourist Angaben zur Geschichte des betrachteten Gebäudes.

Soll der Bauchchirurg sein Operationsfeld räumlich sehen, erfordert das zunächst einmal ein Stereoendoskop. Wie unsere beiden Augen nimmt es zwei Teilbilder auf, sei es, indem sie eine Monokamera mechanisch hin- und herschalten, oder mittels einer Stereokamera. Solche Geräte gibt es seit dem Ende der 1980er Jahre, doch sind sie sozusagen nur die halbe Miete. Um dem Chirurgen den räumlichen Eindruck zu vermitteln, müssen die beiden Teilbilder seinem linken beziehungsweise rechten Auge getrennt dargeboten werden und zwar ohne Flimmern, also mit jeweils mindestens fünfzig Bildern pro Sekunde.

Eine Möglichkeit ist, die beiden Teilbilder im zeitlichen Wechsel auf einen Schirm zu projizieren. Die Bildwiederholrate beträgt dann dementsprechend mindestens hundert Hertz, das leisten zurzeit nur herkömmliche Kathodenstrahlmonitore. Zur Trennung von rechtem und linkem Teilbild muss der Chirurg zudem eine Spezialbrille tragen, die entweder synchronisiert mit dem Bildschirm die Augen im Wechsel verdeckt (Shutterbrille), oder deren Gläser unterschiedliche Polarisationsfilter tragen – die Wellen der Teilbilder sind dann entsprechend ausgerichtet. Eine Alternative wäre der bei Computerspielen so beliebte Datenhelm mit jeweils einem Mini-Monitor direkt vor jedem Auge. Diese Ausrüstung gilt Chirurgen aber meist als unergonomisch, außerdem verhindern sie den Blickkontakt zu Instrumenten, Assistenten und OP-Schwestern.

Wir bevorzugen eine dritte Technik. Autostereodisplays verwenden einen herkömmlichen Flachbildschirm und erfordern keine zusätzliche Brille. Das von uns benutzte System verschachtelt beide Teilbilder spaltenweise ineinander (interlaced). Vor das Display wird eine Maske aus speziell geformten Stablinsen angebracht, deren Breite genau dieser Spaltenbreite entspricht. Sie lenken die beiden Teilbilder auf das rechte beziehungsweise linke Auge. Das Verfahren hat derzeit aber noch seine Nachteile. Dazu gehören neben einem maximalen Betrachtungsabstand von sechzig bis achtzig Zentimetern vor allem auch die geringe Auflösung und Verzeichnungen. Allerdings sollen deutlich bessere Modelle bald auf den Markt kommen – es gibt Techniken, diese Fehler zu vermeiden; sie erhöhen jedoch die Kosten. Die allgemeine Beliebtheit von Flachbildschirmen in der Medizintechnik dürfte die Verbreitung begünstigen.

Um die für die Feinmotorik so wichtige Sichtachse zwischen den Augen und dem realen Ort des Operierens aufrechtzuerhalten, entwickeln Wissenschaftler am Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt zudem ein Display, das die räumliche Beziehung zwischen der Blickrichtung des Chirurgen und der Endoskopkamera beachtet.

Informationen zu verdeckten Organteilen und Gewebestrukturen erweisen sich während der Operation als sehr nützlich, etwa um den Harnleiter zu umgehen. Solche Daten liegen auch vor, sie wurden mittels Ultraschall, Computer- oder Magnetresonanz-Tomografie aufgenommen. Sie in das Endoskopbild einzublenden, wäre wünschenswert, ist aber in der Bauchchirurgie nur schwer zu bewerkstelligen. Betrachtet ein Ingenieur eine Maschine über eine Augmented-Reality-Brille mit Kamera, kann der Computer die Strukturen im Videobild identifizieren und eindeutig den hinterlegten Konstruktionszeichnungen zuordnen.

Der Schlüsselloch-Blick in den Bauchraum liefert aber kaum eindeutige Orientierungshilfen, es gibt ja nicht einmal Knochenstrukturen. Darüber hinaus verändert sich die Form des Gewebes während der Operation massiv, allein schon durch eine andere Lagerung des Patienten als bei den Aufnahmen, erst recht durch den Eingriff. Obwohl viele Kliniken Röntgen-, Computer- oder Kernspintomografiebilder bereits digital aufzeichnen und verarbeiten, hängen die Ärzte meist herkömmliche Schwarzweißfilme an einen Schaukasten außerhalb des sterilen Bereichs. Allein die Entfernung zum Operationstisch mindert den Nutzen – wer hat schon Adleraugen?

Landmarke große Bauchschlagader

Auch wenn es zunächst nahezu unmöglich scheint: Wir arbeiten daran, aus Bilddaten der Tomografen dreidimensionale Modelle beliebiger anatomischer Strukturen zu rekonstruieren, sie im Bild einer Endoskopkamera wiederzufinden und dann beide in korrekter Zuordnung darzustellen. Zum Glück gibt es auch im Bauchraum einige – allerdings nur wenige – Bezugspunkte, die sich sowohl auf Kernspinaufnahmen als auch auf den Kamerabildern an der gleichen Stelle im Bauchraum abzeichnen und eine gewisse Formstabilität besitzen. Dazu gehört die große Bauchschlagader (Aorta), die an der hinteren Bauchwand vor der Wirbelsäule fixiert ist, und mit Einschränkungen auch der Harnleiter, der unabhängig von der Lagerung des Patienten in einer festen Position und Richtung zur Aorta im Bindegewebe verläuft.

Von einer womöglich vollautomatischen Verarbeitung der beiden Bildquellen und Referenzierung sind wir allerdings noch weit entfernt. Ungünstige Lichtverhältnisse und spiegelnde Reflektionen im Operationsgebiet stören alle bekannten Algorithmen, die Form und Position von dreidimensionalen Strukturen in stereoskopischen Bildern berechnen. Hinzu kommt, dass der Chi-rurg bei seinem Eingriff Gewebe manipuliert. So werden bei der Teilresektion des Dickdarms mit dem Lösen der Darmwand vom Bindegewebe dieses selbst und damit auch die in ihm liegenden Strukturen verformt. Die Aorta ist davon weniger betroffen, wohl aber der Harnleiter. Techniken zur Simulation solcher Deformationen gibt es bereits, für den Einsatz im OP sind sie aber noch nicht geeignet.

Literaturhinweise


3-Dimensional Visualization during Laparoscopic Abdominal Surgery with Dresden 3D’s Display D4D. Von Andreas Limberger in: Proceedings of the 2002 Conference ‚Medicine Meets Virtual Reality‘, Newport Beach, 2002.

The effect of a second-generation 3D endoscope on the laparoscopic preci-sion of novices and experienced surgeons. Von Nick Taffinder et al. in: Surgical Endoscopy, Bd. 13, Ausgabe 11, S. 1087, 1999.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2002, Seite 95
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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