Somatopsychologie: Wenn die Abwehr krank macht
Monatelang fühlte Anne sich schlapp und müde. In ihren Vorlesungen an der Uni konnte sich die 28-jährige Studentin beim besten Willen nicht mehr auf den Lernstoff konzentrieren. Immer häufiger plagten sie Kopfschmerzen, Schwindel, Angstzustände und Sehstörungen. Selbst ihrem Lieblingshobby, dem Reiten, konnte sie nichts mehr abgewinnen, und abends zog sie die Couch dem geselligen Zusammensein mit Freunden vor.
Nachdem sie bei zwei Prüfungen durchgefallen war, verdichtete sich in ihr das Gefühl, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Ein Besuch beim Arzt brachte schließlich die beunruhigende Diagnose: eine depressive Reaktion auf chronische Überlastung – kurz: Burnout. Es folgten zahlreiche Therapiesitzungen, in denen Anne gemeinsam mit einer Therapeutin Probleme aus der Vergangenheit aufarbeitete und lernen sollte, Versagensängste zu überwinden. Doch weder die Sitzungen noch Antidepressiva besserten ihren Zustand merklich.
Erst ein Jahr später entdeckte Annes Hausarzt bei ihr durch Zufall eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung – und damit verbunden eine Überaktivität des Immunsystems. Anne bekam Antibiotika, und nach zwei Wochen war nicht nur die Entzündung verschwunden – auch die depressiven Symptome hatten sich deutlich gebessert!
In Zeiten von wachsender Arbeitsbelastung und Stress sind seelische Erkrankungen wie Depressionen auf dem Vormarsch. Etwa jeder siebte Mensch weltweit leidet Studien zufolge mindestens einmal in seinem Leben unter einer depressiven Episode; bei Frauen ist die Depression die häufigste psychische Störung überhaupt.
Ob jemand depressiv wird oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Auf neurobiologischer Ebene vermuten Forscher schon länger ein Ungleichgewicht verschiedener Hirnbotenstoffe als Ursache der Erkrankung. So weisen Depressive oft einen zu niedrigen Spiegel des stimmungshebenden Neurotransmitters Serotonin auf. Viele Antidepressiva zielen daher darauf ab, die Serotonin-Wiederaufnahme zu hemmen, um die Konzentration an den Synapsen zu erhöhen.
Mittlerweile verdichten sich jedoch die Hinweise darauf, dass die Wurzel des Übels noch viel tiefer reicht: Wie in Annes Beispiel könnte bei vielen Betroffenen ausgerechnet das Immunsystem, das eigentlich vor Krankheit schützen soll, für dauerhafte Gefühle von Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit sorgen.
Dabei spielen so genannte Zytokine eine Schlüsselrolle. Die Moleküle werden von den Zellen des Immunsystems ausgeschüttet und dienen zur Koordination der Abwehrreaktion. Dabei erfüllen die einzelnen Varianten der Botenstoffe verschiedene Aufgaben:
• Interferone veranlassen andere Zellen des Immunsystems dazu, Stoffe zu bilden, die eingedrungene Fremdkörper wie zum Beispiel Viren abwehren.
• Interleukine vermitteln die Kommunikation der Abwehrzellen untereinander, lösen Fieber aus und sorgen für eine bessere Durchblutung von entzündetem Gewebe.
• Der Tumornekrosefaktor kann den Zelltod von entarteten Zellen hervorrufen und die Ausschüttung weiterer Zytokine steuern. Außerdem ist er für Entzündungsreaktionen mit Schwellung, Rötung und Schmerz verantwortlich.
Unsere Immunabwehr besteht aber nicht nur aus einem aggressiven Teil, der Krankheitserreger identifiziert und vernichtet, sondern sie muss sich auch irgendwann wieder beruhigen können ...
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