Der Beginn der Mikroelektronik
Am 1. Juli 1948 meldete die "New York Times": "Ein Bauelement namens Transistor, das in Radiogeräten an einigen Stellen die üblichen Vakuumröhren ersetzen könnte, wurde gestern erstmals von den Bell-Telephone-Laboratorien vorgestellt. ... Es ist sofort betriebsbereit, denn es gibt keine Verzögerung durch eine Aufwärmzeit, weil keine Wärme wie bei einer Vakuumröhre entsteht." Noch vor dieser Nachricht auf Seite 46 in der Rubrik "Radio-Neuigkeiten" stand die Ankündigung, daß die Montagabend-Sendung "Radio Theatre" von CBS durch die Serie "Unsere Miss Brooks" abgelöst würde.
Vielleicht gab es an diesem heißen Donnerstagmorgen zu viel Neues in New York: An den Drehkreuzen der Untergrundbahn mußte man nun Zehn- statt Fünf-Cent-Münzen einwerfen, und der am Vortag eröffnete Idlewild Airport löste La Guardia als internationalen Hauptflughafen der Ostküsten-Metropole ab. Zudem ließen die sowjetischen Besatzungstruppen in Ostdeutschland keine Versorgungskonvois der Alliierten nach Westberlin durch – eine Luftbrücke wurde eingerichtet. Der Transistor hingegen schien lediglich ein etwas kompakterer Ersatz für Bewährtes.
Fünfzig Jahre später hat dieses elektronische Bauelement, selber zunehmend miniaturisiert und integriert in immer kleinere Schaltungen, die Welt verändert. So füllten die ersten Digitalcomputer noch ganze Säle, und Wartungsmannschaften waren im wesentlichen mit dem Ersetzen ausgebrannter Vakuumröhren beschäftigt. Auch in den USA konnten sich nur die Armee, die Regierung und Großunternehmen solch überdimensionale, stromfressende Apparate zulegen. Inzwischen bringen preiswerte Taschenrechner längst vergleichbare Rechenleistung. Mikrochips mit Millionen von Transistoren sind nicht allein zur Grundlage der Informations-, Kommunika-tions- und Unterhaltungstechnik geworden – vielmehr gibt es kaum noch ein elektrisches Gerät, das ihrer nicht zu seiner Funktion bedürfte.
Der Durchbruch im Labor
John Bardeen und Walter H. Brattain waren Mitglieder eines Teams am Forschungszentrum der Bell-Telephone-Gesellschaft in Murray Hill (New Jersey), gut 30 Kilometer westlich von New York. Ihnen gelang im Dezember 1947 mit einem Stückchen Germanium, einem dünnen Plastikkeil und einem glänzenden Streifen Goldfolie, ein elektrisches Signal fast hundertfach zu verstärken. Der Leiter dieses Projekts, William Bradford Shockley, hatte bereits acht Jahre zuvor daran gedacht, die physikalischen Eigenschaften von Festkörpern zur Entwicklung eines Schaltelements zu nutzen; 1945 hatte man ihn mit der Gründung der Arbeitsgruppe beauftragt (Bild 1 links).
Shockley dachte nach heutigem Verständnis an einen MOS-FET (metal oxide semiconductor field effect transistor), der mit einem steuerbaren Feld zwischen einer Metallelektrode und dem Halbleiter den Fluß elektrischen Stroms ermöglicht und reguliert (siehe den folgenden Beitrag). Doch die Realisierung scheiterte. Der theoretische Physiker Bardeen erkannte 1946, daß die freigesetzten Ladungsträger an der Halbleiteroberfläche wieder eingefangen wurden. Um den Einfluß dieser Rekombination zu überwinden und so die Konzentration der Ladungsträger an der Oberfläche zu erhöhen, brachte man zunächst Elektrolytmaterial zwischen die beiden Komponenten; 1947 wurde es durch ein Oxid ersetzt. Diese Arbeiten ergaben zwar noch keinen funktionsfähigen MOS-FET, doch gleichsam als Nebenprodukt gelang am 16. Dezember 1947 der Bau des ersten Spitzentransistors.
Am Morgen des 23. Dezember schloß Bardeen einige Berechnungen in seinem Büro ab, während Brattain mit einem Techniker Tests vornahm. Die Goldfolie, die er um den dreieckigen Plastikkeil geklebt hatte, schnitt er vorsichtig mit einer Rasierklinge entlang der Kante ab. Dann drückte er den Keil mit der Spitze mittels einer aus einer Büroklammer gefertigten Feder in die mattgraue Germaniumfläche. Diesen wackeligen, nicht einmal 2,5 Zentimeter hohen Aufbau hielt ein U-förmiges Stück Plastik, das senkrecht auf einem der beiden Schenkel ruhte (Bild 1 rechts). Zwei an den Rändern der Folie angelötete Kupferdrähte waren mit Batterien, Transformatoren, einem Oszilloskop und anderen Geräten verbunden, die dazu dienten, die Apparatur mit Strom zu versorgen und ihre Leistung zu messen.
Brattain, der aus dem ländlichen Tonasket (Washington) an der kanadischen Grenze stammte, war zu diesem Zeitpunkt 45 Jahre alt. Sein Interesse an der Physik hatten zwei Professoren des kleinen, geisteswissenschaftlich orientierten Whitman-College in Walla Walla im Südosten des Staates geweckt (dort wurde er 1967 selbst Professor). So absolvierte er ein Studium in Oregon und Minnesota und fand 1929 einen Arbeitsplatz bei den Bell-Laboratorien.
Bardeen, damals 39 Jahre alt, war der zweitälteste Sohn des Dekans der Medizinischen Fakultät der Universität von Wisconsin in Madison. Er wuchs inmitten efeuumrankter akademischer Gebäude am Ufer des Mendota-Sees nahe dem Zentrum der erst 1836 gegründeten Hauptstadt des Bundesstaates auf. Bereits mit 15 Jahren begann er sein Studium, erwarb zwei Diplome in Elektrotechnik und arbeitete einige Jahre in der Industrie, bevor er 1933 an die Universität Princeton (New Jersey) ging, wo er 1936 in Physik promovierte. Nachdem er eine Professur an der Universität von Minnesota in Minneapolis innegehabt und von 1941 an für die US-Marine geforscht hatte, kam Bardeen 1945 zu den Bell-Laboratorien. Die schlossen gerade ihre militärischen Forschungsprogramme ab und bereiteten sich auf den nach dem Kriegsende erwarteten Boom im Elektronikbereich vor.
Anfangs teilte er ein Büro mit Brattain, der seit Beginn der dreißiger Jahre Halbleiter untersuchte. Bardeen war bald fasziniert von diesen Materialien, deren elektrische Eigenschaften gerade erst genauer erkundet wurden. (In Halbleitern sind die Ladungsträger zwar zunächst nicht frei beweglich wie in einem elektrischen Leiter, doch genügen relativ niedrige Energien, ihre Bindung zu lösen; gezieltes Einbringen von Verunreinigungen, Dotieren genannt, unterstützt diesen Effekt noch.) Die beiden wurden bald auch Freunde.
An jenem naßkalten Tag vor Heiligabend 1947 begab sich Bardeen kurz nach dem Mittagessen in Brattains Labor. Draußen hatte sich der Regen in Schnee verwandelt, der allmählich liegenblieb. Shockley traf zehn Minuten später ein, in Begleitung seines Chefs, des Akustikexperten Harvey Fletcher, und des Forschungsdirektors von Bell, Ralph Bown.
Nach einigen erklärenden Worten startete Brattain die Apparatur. Die anderen beobachteten, wie ein heller Fleck, der sich über den Bildschirm des Oszilloskops bewegte, abrupt nach oben oder unten sprang, während der Wissenschaftler mit dem Kippschalter die Versuchsanordnung ein- und ausschaltete. An der Höhe der Spitzen ließ sich leicht erkennen, daß das Eingangssignal um ein Vielfaches verstärkt wurde – und doch gab es keine einzige Vakuumröhre im gesamten Schaltkreis.
Danach schlug Brattain eine Seite der Bell-Historie auf und sprach einige Sätze daraus in ein Mikrophon. Die beiden Mitarbeiter Shockleys beobachteten den plötzlichen Ausdruck des Erstaunens auf Bowns Gesicht, als er die Stimme überlaut im Kopfhörer vernahm. Mehr als 70 Jahre zuvor hatte sich schon einmal ein ähnliches Ereignis, das Technikgeschichte machte, im Dachgeschoß einer Pension in Boston (Massachussetts) abgespielt. Damals rief Alexander Graham Bell (1847 bis 1922) seinen Assistenten Thomas Watson (1854 bis 1934) mit den Worten "Mr. Watson, kommen Sie her, ich benötige Ihre Hilfe": Das war der Test des von ihnen entwickelten Telephon-Prototyps.
Der Presse wurde das neue epochale System Ende Juni 1948 unter dem Namen transistor vorgestellt. Der Begriff ist eine Kombination von transfer, anspielend auf die Übertragung elektrischer Signale durch das Bauteil, undresistor (Widerstand).
Shockley beherrschten widerstrebende Gefühle. Die Erfindung nutzte seinen Mitarbeitern und ihrem Arbeitgeber. Er selbst hatte jedoch keinen direkten Anteil an diesem wichtigen Durchbruch. "Ich war frustriert, daß meine eigenen Bemühungen, mit denen ich mehr als acht Jahre zuvor begonnen hatte, nicht wesentlich zu der Entwicklung beigetragen hatten", erinnerte er sich Jahre später.
William Bradford Shockley war in Palo Alto und Hollywood als einziger Sohn eines wohlhabenden Bergbauingenieurs und einer Absolventin der Stanford-Universität aufgewachsen. Er studierte am California Institute of Technology in Pasadena, bevor er 1932 an die amerikanische Ostküste übersiedelte und am Massachussetts Institute of Technology in Cambridge promovierte. Dort beschäftigte er sich mit der Quantenmechanik und begann, den Fluß von Elektronen durch kristalline Stoffe zu erforschen. Als die Bell-Laboratorien vier Jahre später ihren rezessionsbedingten Einstellungsstopp aufhoben, war er der erste Physiker, der einen neuen Arbeitsplatz erhielt.
Ermutigt von Mervin Kelly, dem damaligen Bell-Forschungsdirektor, suchte Shockley nach Ansätzen für die Entwicklung eines robusten Festkörperbauelements, das die unförmigen, unzuverlässigen Schalter und Röhrenverstärker von Fernmeldezentralen ersetzen sollte.
Der erste Versuch Ende 1939 mit einem Krümel korrodierten Kupfers in einem Halbleiter-Plättchen erwies sich, wie erwähnt, als völliger Fehlschlag. Der Zweite Weltkrieg förderte jedoch Elektronik und Telekommunikation so stark, daß Kelly – mittlerweile Vizepräsident der Bell-Laboratorien – eine Festkörperphysik-Arbeitsgruppe gründete, in der sein Protegé mitverantwortlicher Leiter wurde. Doch nach einem weiteren, ihm unerklärlichen Fehlschlag im Frühjahr 1945 wandte sich Shockley anderen Themen zu und überließ das Projekt Bardeen und Brattain.
Ihr Erfolg motivierte ihn, die Arbeit auf diesem Forschungsgebiet wieder aufzunehmen; sein Festkörperverstärker sollte leichter herzustellen und zu gebrauchen sein. Ende Januar 1948 hatte er bereits wichtige Einzelheiten ausgearbeitet. Nur ein kleiner Streifen Halbleitermaterial – Silicium oder Germanium – war vorgesehen, der an jedem Ende und in der Mitte mit Draht kontaktiert wurde. Shockley verzichtete auf Punktkontakte, wie die Kollegen sie an den Kanten der um den Plastikkeil gewickelten und gespaltenen Goldfolie hergestellt hatten, weil er sie für schwer zu fertigen hielt. Er vermutete, daß sich ein Planartransistor, also ein mit Grenzflächen beziehungsweise Sperrschichten im Halbleitermaterial operierender Verstärker, weit besser für die Serienproduktion eignen und viel zuverlässiger arbeiten würde (nach heutigem Verständnis wirkt ein solcher Metallspitzen-Halbleiter-Kontakt als p-n-Übergang).
Es dauerte aber weitere zwei Jahre, bis man bei Bell Germaniumkristalle in ausreichender Qualität herzustellen vermochte; und erst einige Jahre später wurde Shockleys Verstärkertyp in Serie gefertigt. Währenddessen gelangten die Spitzentransistoren auf den Markt, und Mitte der fünfziger Jahre rüstete man in den USA die ersten Telephonsysteme damit aus (Bild 2).
Die Konkurrenz zwischen Brattain und Bardeen auf der einen sowie Shockley auf der anderen Seite hatte persönliche Konsequenzen: Sie veranlaßte Bardeen, 1951 die Bell-Laboratorien zu verlassen und an die Universität von Illinois in Urbana zu wechseln; Brattain ließ sich in eine andere Abteilung versetzen. Die drei Männer trafen einander erst wieder 1956 in Stockholm, wo ihnen für die Erfindung des Transistors der Nobelpreis für Physik verliehen wurde (Bardeen erhielt 1972 einen weiteren für seine Theorie der Supraleitung).
Der Durchbruch auf dem Markt
Zu jener Zeit waren Radio-, Fernseh- und andere Elektrogeräte klobige Kästen. Besonders in den USA, wo sie bereits in hohen Stückzahlen gefertigt wurden, baute man die technischen Systeme in voluminöse Möbel ein. Ihre großen Vakuumröhren benötigten fast eine Minute zum Aufwärmen, bevor man überhaupt etwas hörte und sah. Noch 1954 hielten die meisten Menschen Transistoren nach wie vor für ein teures Laborspielzeug mit wenigen Spezialanwendungen wie in Hörgeräten, Computern oder für militärische Kommunikation. Doch in jenem Jahr begann ein kleines, innovatives Unternehmen in Dallas (Texas) mit der Produktion von Pla-nartransistoren für tragbare Radiogeräte, die für etwa 50 Dollar gehandelt wurden. Erstaunlicherweise gab Texas Instruments diesen Markt wieder auf, der dann von der damals kaum bekannten japanischen Firma Sony erobert wurde. Transistorradios, die man sogar in die Hemd- oder Jackentasche stecken konnte, avancierten schon bald weltweit zu einem Statussymbol junger Menschen (Bild 3). Mit der Produktion von Transistor-Fernsehgeräten in den sechziger Jahren beendete das fernöstliche Unternehmen endgültig die amerikanische Vorherrschaft in der Unterhaltungselektronik.
Shockley gründete 1955 in einem südlich von San Francisco gelegenen Tal inmitten von Aprikosenplantagen das Halbleiterunternehmen Shockley Semiconductor Laboratory. Er warb bei Bell und anderen Firmen ehrgeizige Wissenschaftler und Ingenieure ab, die sich jedoch ihrerseits bald selbständig machten.
Einer von ihnen war Robert N. Noyce (1927 bis 1990), der 1957 Fairchild Semiconductor und 1968 Intel mitbegründete. Nachdem es dem Ingenieur Jack St. Clair Kilby, einem Mitarbeiter von Texas Instruments, 1958 gelungen war, Transistoren und andere Bauteile in einem einzigen Germanium-Kristall zu fertigen, realisierte Noyce einen solchen integrierten Schaltkreis ein halbes Jahr später mit Silicium – und gab damit dem Silicon Valley seinen Namen, denn fortan war dies das bevorzugte Halbleitermaterial.
Schon 1961 verzeichnete die Branche einen Jahresumsatz von vier Milliarden Mark – mit jährlichen Steigerungsraten von 100 Prozent. Gordon E. Moore, Chemiker und ebenfalls Mitbegründer von Fairchild Semiconductors und Intel, entdeckte 1965 bei der Ausarbeitung eines Vortrages, daß die graphische Darstellung der Speicherleistung von Mikrochips einen bemerkenswerten Trend zeigte: Alle 18 bis 24 Monate kam eine neue Generation auf den Markt, deren Speicherkapazität doppelt so hoch war wie die ihrer Vorgänger – die Zahl der Komponenten in integrierten Schaltkreisen verdoppelt sich praktisch in konstanten Zeitabständen. Dieses Mooresche Gesetz gilt nach wie vor: Enthielt 1971 Intels Prozessor 4004 noch 2300 Transistoren, sind es beim Intel Pentium II nunmehr 7,5 Millionen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1998, Seite 80
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