Medienpsychologie: Mord nach Modell
Der Tod macht Schlagzeilen. Die meisten Medien halten sich dabei in der Regel an die ethischen Richtlinien des Journalismus, die unter anderem die Persönlichkeitsrechte von Tatverdächtigen und Opfern schützen. Bei Amokläufen geraten solche Grundsätze allerdings oft unter die Räder. So auch nach dem Germanwings-Unglück am 24. März 2015: Kaum kam der Verdacht auf, der Kopilot habe den Airbus absichtlich abstürzen lassen, veröffentlichten selbst seriöse Medien wie die "New York Times" und "Le Monde" dessen Bild und Namen.
Natürlich hat die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran, dass die Medien über die Hintergründe von Katastrophen schnell und umfassend aufklären. Dieses Bedürfnis konkurriert allerdings nicht allein mit den Rechten von Tatverdächtigen und Opfern. Wie einige Kriminologen glauben, bergen Schlagzeilen über Verbrechen auch das Risiko, Menschen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden, zur Nachahmung anzuregen.
Dass dies zumindest auf Suizide zutrifft, zeigt unter anderem das Beispiel von Robert Enke, der sich am 10. November 2009 vor einen Zug warf. Die öffentliche Trauerzeremonie für den deutschen Fußballnationaltorwart verfolgten geschätzte sieben Millionen Fernsehzuschauer. Ein Medienspektakel mit Folgen, denn es lieferte Menschen mit Suizidgedanken ein Vorbild: In den vier Wochen nach Enkes Suizid verdoppelte sich in Deutschland kurzzeitig die Zahl derer, die sich auf dieselbe Weise das Leben nahmen. Noch in den folgenden zwei Jahren starben fast ein Fünftel mehr Menschen auf den Schienen als in den zwei Jahren zuvor, errechneten Forscher der Universität Leipzig ...
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