Der Einfluß von Erdnußbutter auf die Erdrotation Forschungen, die die Welt nicht braucht.
Aus dem Amerikanischen von Gabriele Herbst. Birkhäuser, Basel 1999. 160 Seiten, DM 39,80.
Es stimmt schon: Die Amerikaner stehen der Wissenschaft viel lockerer gegenüber als die Deutschen. So wäre das Kontrastprogramm zur Nobelpreis-Zeremonie, das alljährlich an der ehrwürdigen Harvard-Universität stattfindet, hierzulande kaum vorstellbar: die Verleihung der "IgNobel"-Preise (ignoble heißt soviel wie nichtswürdig). "Eine begeisterte, seltsam gewandete, dicht gedrängte Menge überschüttet die neu gekürten Gewinner mit Beifall und Papierfliegern und bejubelt die [echten] Nobelpreisträger, die gutmütig ihre Hauptrollen in Miniopern, -balletten oder anderen unwahrscheinlichen Darbietungen absolvieren…"
Und dieser Karneval ist nur der alljährliche Höhepunkt einer unermüdlichen Sammelarbeit. Seit 1955 veröffentlichten der Virologe Alexander Kohn und der Physiker Harry Lipkin Komisches und Verrücktes aus der Wissenschaft in einem "Journal of Irreproducible Results". Marc Abrahams stieß 1990 dazu, brachte die eingeschlafene Zeitschrift zu neuer Blüte und setzte 1994 nach Auseinandersetzungen mit dem Verlag, deren Einzelheiten er taktvoll verschweigt, das Projekt mit den neugegründeten "Annals of Improbable Research" fort. Die Zeitschrift erscheint sechsmal im Jahr und ist auch im Internet vertreten (http://www. improb.com oder http://www.improb-able.com). Das vorliegende Buch soll aus diesem großen Kuchen die Rosinen ("best of AIR") enthalten.
Wenn jetzt so ein verkniffener Deutscher dieses Produkt amerikanischen Humors würdigen soll, ist natürlich Voreingenommenheit zu befürchten. Ich versuch’s trotzdem.
Der allgemeine Eindruck: Über die meisten Scherze kann ich lachen (bei den wenigen Ausfällen fehlt mir wahrscheinlich die Kenntnis des verulkten Vorbilds) – aber selten so lange, wie die Lektüre erfordert. Daß mehrere hundert Wissenschaftler als Autoren eines Artikels auftreten, der im wesentlichen aus einem Satz besteht, kommt in der seriösen Literatur durchaus vor. Wenn nun in diesem Buch dem Satz "Soweit wir ermessen können, hat Erdnußbutter keinen Einfluß auf die Erdrotation" mehrere hundert willkürlich gewählte Namen, sämtlich mit Doktortitel, vorangestellt werden – wo steckt der Witz? In den Namen der Autoren? Da der Artikel auf 1993 datiert ist, wäre die Koautorin Dr. Monica Lewinsky im zarten Alter von 20 Jahren bereits promoviert gewesen, ähnlich Dr. Verona Feldbusch. Dr. Dr. Helmut Kohl wird durch den doppelten Titel die gebührende Ehre angetan, und unerklärlicherweise erscheint der ausgewiesene Peanut-Experte Hilmar Kopper nicht in der Autorenliste. Na ja.
Der Urartikel "Kinetik der Inaktivierung von Glasgeräten" von Altmeister Alexander Kohn besteht aus vollen sechs Seiten hochwissenschaftlichen Jargons darüber, wie in seinem Labor die Petrischalen und Reagenzgläser zu Bruch gehen. Schon recht: Das Mißverhältnis zwischen trivialem Inhalt und aufgeblasener Wissenschaftssprache findet sich allzu häufig und verdient es, durch den Kakao gezogen zu werden. Aber vielleicht ist die Parodie den dümmlichen Originalen zu ähnlich.
Schon eher lachen kann ich über den schwarzen Humor, der in der Verleihung mancher Preise zum Ausdruck kommt: Der Friedens-IgNobel-Preis 1996 ging an den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac "dafür, daß er des 50. Jahrestages von Hiroshima mit Atombombentests im Pazifik gedachte", der Wirtschaftspreis 1995 "zu gleichen Teilen an Nick Leeson und seine Vorgesetzten von der Barings-Bank und an Robert Citron aus Orange County, Kalifornien, die mit Hilfe der Derivatenrechnung bewiesen, daß jede Finanzsituation ihre Grenzen hat".
Noch schöner sind die Scherze, die von ihren ursprünglichen Autoren gar nicht als solche gemeint waren: John Hagelin von der Maharishi-Universität erhielt den Friedenspreis 1994 für die "experimentell gewonnene Schlußfolgerung, daß 4000 geübte Meditierende einen 18prozentigen Rückgang der Gewaltverbrechen in Washington herbeiführen". Und die Leute meinen es ernst! Ich habe einen Vertreter dieses merkwürdigen Instituts auf einer seriösen wissenschaftlichen Tagung selbst erlebt. Sein Rezept, den Weltfrieden herbeizumeditieren, wird mir unvergeßlich bleiben.
Für die derbsten Scherze sind, wie ich aus dem Redaktionsalltag weiß, Biologie und Medizin gut. Kaum zu glauben, aber wahr: Ein Kapitän auf See holt sich den Tripper von der ungewaschenen Gummipuppe des Bordingenieurs; und ein unerschrockener Tierarzt setzt sich selbst nicht gerade einen Floh, aber Katzenmilben ins Ohr, um zu testen, ob sie auch Menschen befallen, durchleidet 14 Tage unerträglichen Juckreiz – und wiederholt zwei Monate später das Experiment: Reproduzierbarkeit muß sein. Das nenne ich Einsatz für die Wissenschaft!
Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2000, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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