Der Erdmantel unter den Ozeanen
Gesteinsproben vom Meeresboden enthüllen, wie konvektive Strömungen im Erdmantel die Oberfläche unseres Planeten formen, Krustenmaterial bilden und vielleicht sogar die Lage der Erdachse beeinflussen.
Beim Betrachten eines Globus ist man geneigt, die Kontinente und Ozeane für bleibende, unveränderliche Strukturen an der Erdoberfläche zu halten. Ursache dieses Trugschlusses ist der im Vergleich zur Lebensdauer eines Menschen äußerst langsame Ablauf geologischer Ereignisse. Die feste äußere Schicht der Erde – die Lithosphäre – besteht aus einzelnen Schollen, die sich permanent und in Millionen von Jahren weit bewegen, an mittelozeanischen Rücken auseinanderdriften, an Verwerfungen aneinander entlanggleiten und an den Rändern mancher Ozeane zusammenstoßen. Diese Bewegungen bedingen auch die weltweite Verteilung von Erdbebenherden und Vulkanen.
Wenngleich die Theorie der Plattentektonik allgemein akzeptiert ist, sind die Kräfte, die diesen unablässigen Wandel verursachen, noch immer weitgehend unerforscht, weil sie der direkten Beobachtung nicht zugänglich sind. Deswegen konzentrieren verschiedene Forscher – unter anderem auch ich – ihre Untersuchungen auf die mittelozeanischen Rücken. An diesen unterseeischen Gebirgszügen reißt der Meeresboden auf. Ihre Zusammensetzung, Topographie und seismische Struktur liefert Erkenntnisse, die oft im Widerspruch zur herkömmlichen Lehrmeinung stehen. Die chemischen und thermischen Prozesse im Erdmantel unterhalb der mittelozeanischen Rücken, die bestimmen, wie sich neue ozeanische Kruste bildet, sind komplexer und aufregender als vermutet. Infolge der Mantelaktivität können auch unterschiedliche Inseltypen inmitten der Ozeane auftauchen und sich tiefe Gräben an deren Rändern bilden. Vielleicht sind diese Vorgänge sogar so stark, daß sie die Rotation unseres Planeten auf subtile Weise beeinflussen.
Struktur des Erdinneren
Die Vorstellung, daß das Innere der Erde dynamisch sei, kam wahrscheinlich im 17. Jahrhundert auf. Der französische Philosoph, Mathematiker und Naturforscher René Descartes (1596 bis 1650) war einer der ersten, der sich wissenschaftlich mit dem Aufbau des Erdinneren auseinandersetzte. In seiner Abhandlung "Principia philosophiae" von 1644 schrieb er, die Erde habe einen zentralen Kern, bestehend aus einer sonnenähnlichen Urflüssigkeit, der von einer festen, undurchlässigen Schicht umgeben sei; nach außen hin sollten konzentrische Schichten aus Gestein, Metall, Wasser und Luft folgen (Bild 2 oben).
Seit Descartes hat sich der Wissensstand der Geophysiker erheblich weiterentwickelt. Nach wie vor gültig ist jedoch das Konzept eines schichtförmigen Aufbaus: Der Erdkern gliedert sich heutigen Modellen zufolge in einen festen inneren und einen geschmolzenen äußeren Bereich (Bild 2 unten). Beide bestehen aus eisenreichen Metall-Legierungen. In einer Tiefe von etwa 2900 Kilometern geht der äußere Kern abrupt in den Mantel über, der aus festen Magnesium-Eisensilicat-Mineralen besteht. Eine weitere bedeutende Diskontinuität in 670 Kilometern Tiefe markiert die Grenze zwischen unterem und oberem Mantel (bei den Drücken in dieser Tiefe ändert sich die Gitterstruktur der Minerale). Eine weitere wichtige Übergangszone, die Mohorovicic-Diskontinuität oder kurz Moho, trennt den dichten Mantel von der Kruste; sie liegt unter den Kontinenten 30 bis 50, unter den Ozeanbecken weniger als 10 Kilometer tief. Die Lithosphäre, welche die Kruste und den oberen Teil des Mantels umfaßt, verhält sich wie eine von Sprüngen durchsetzte Kugelschale aus festen Schollen, die auf dem heißeren, zähflüssigen unteren Mantel treiben, den man Asthenosphäre nennt.
Aus dieser geordneten Schichtstruktur könnte man schließen, das Erdinnere sei statisch – in Wirklichkeit jedoch ist es recht dynamisch. Dafür sorgt die Wärmeenergie im Innern, die zum Teil noch aus der Zeit stammt, als unser Planet sich gebildet hat, und zum anderen Teil durch den radioaktiven Zerfall von Elementen wie Uran und Thorium erzeugt wird. Die Wärme strömt nach außen und hält da-bei starke Konvektionsbewegungen in Gang, die heiße Bereiche aufsteigen und kalte absinken lassen. Auf diese Prozesse sind letztlich viele der großräumigen geologischen Phänomene an der Erdoberfläche – einschließlich der Gebirgsbildung, des Vulkanismus und der Kontinentaldrift – zurückzuführen.
Mittelozeanische Rücken: Fenster ins Erdinnere
Zu den Bereichen, die den besten Einblick ins Erdinnere gestatten, gehören die mittelozeanischen Rücken, die alle größeren Ozeane unterteilen und insgesamt ein mehr als 60000 Kilometer langes Gebirgssystem bilden, das sich ähnlich den Nähten eines Baseballs um die Erde windet. Der Mittelatlantische Rücken ist ein Teil davon. Er durchzieht den Atlantischen Ozean in Nord-Süd-Richtung und ist dadurch entstanden, daß sich der östliche und der westliche Teil des Meeresbodens mit einer Geschwindigkeit von ungefähr einem Zentimeter pro Jahr auseinanderbewegen (Bild 3). Erdbeben sind dort häufig; außerdem speit der Kamm während der vielen Vulkanausbrüche Magma aus, das sich alsbald verfestigt, so daß neue ozeanische Kruste entsteht. Der Rücken überragt den Rest des atlantischen Beckens; mit zunehmendem Abstand liegt der Meeresboden immer tiefer unter der Wasseroberfläche – wahrscheinlich, weil die seitwärts driftenden Lithosphärenplatten sich zusammenziehen, wenn sie im Laufe der Zeit immer weiter abkühlen.
Das Magma, das am Mittelatlantischen Rücken aufsteigt, stammt offenbar aus dem oberen Mantel. Die Geologen wissen jedoch schon seit Jahren, daß das aus diesem und aus ähnlichen Gebirgszügen in anderen Ozeanen an den Meeresboden dringende Material sich beträchtlich von dem des Mantels unterscheiden muß. Während das Magma nämlich Basalt – ein gewöhnliches Gestein – bildet, zeigen geophysikalische Untersuchungen, daß seismische Wellen sich durch den oberen Mantel mit einer Geschwindigkeit von mehr als acht Kilometern pro Sekunde ausbreiten: sehr viel schneller, als sie sich durch Basalt bewegen würden.
Das einzige Material, in dem die Schallgeschwindigkeit möglicherweise so hoch sein könnte, ist Peridotit. Dieses dichte, dunkelgrüne Gestein besteht vorwiegend aus drei silicatischen Mineralen: Olivin, einem dichten Silicat, das Magnesium und Eisen enthält, Orthopyroxen, einem ähnlichen, aber weniger dichten Mineral, sowie Clinopyroxen, in dem etwas Aluminium und mehr als 20 Prozent Calcium enthalten sind. Peridotite weisen zudem geringe Mengen von Spinell auf, einem Oxid aus Chrom, Aluminium, Magnesium und Eisen.
Wie kann basaltisches Magma aus Peridotit entstehen? Experimentell arbeitende Gesteinskundler wie Alfred E. Ringwood und David H. Green von der Australischen National-Universität in Canberra setzten vor mehr als zwanzig Jahren Peridotit-Proben Temperaturen von 1200 bis 1300 Grad Celsius und Drücken von mehr als 10000 Atmosphären aus. Diese Werte sind etwa doppelt so hoch wie die im subozeanischen oberen Mantel in rund 100 Kilometern Tiefe. Die Forscher konnten zeigen, daß Peridotit bei solch hohen Temperaturen und allmählicher Druckabnahme bis zu 25 Prozent seines Volumens aufschmilzt. Die Zusammensetzung dieser Schmelze war basaltisch, ähnlich derjenigen des Magmas aus mittelozeanischen Rücken.
Diese Befunde stützen die Ansicht, daß unter den mittelozeanischen Rücken heißes peridotitisches Material aus Tiefen von mehr als 100 Kilometern aufsteigt. In dem Maße, in dem der Druck dabei abnimmt, schmilzt das Material teilweise auf. Die Schmelze nimmt die Zusammensetzung eines basaltischen Magmas an, trennt sich von dem festen Peridotit und steigt schnell zum Meeresboden auf. Ein Teil der Schmelze tritt am Kamm des mittelozeanischen Rückens aus, kühlt dort ab und verfestigt sich und läßt so den Untersee-Gebirgszug anwachsen. Der Rest erstarrt langsam unter der schon festen Oberfläche, wodurch neue ozeanische Kruste entsteht.
Falls dieses Modell für die gesamte Länge des Mittelatlantischen Rückens zuträfe, müßte sich der Kamm überall etwa in derselben Tiefe unter dem Meeresspiegel befinden. Dies würde dann einem isostatischen Gleichgewichtsniveau entsprechen, das von der Temperatur und der ursprünglichen Zusammensetzung des oberen Mantels abhinge.
Eine solche Gleichförmigkeit ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Geringfügige Veränderungen der Manteltemperatur entlang des Rückens würden nämlich unterschiedliche Kammhöhen zur Folge haben. Dort, wo der subozeanische Mantel heißer ist, müßten wegen der dann geringeren Dichte die Gipfel des Rückens höher sein. Zudem würde eine heiße Mantelregion stärker aufschmelzen und eine dickere basaltische Kruste hervorrufen.
Die Kammhöhe des Mittelatlantischen Rückens – gemessen als Tiefe unter dem Meeresspiegel – weist eben solche Schwankungen auf. Der Bereich zwischen etwa 35 und 45 Grad nördlicher Breite beispielsweise ist ungewöhnlich hoch. Erdbeobachtungssatelliten haben in derselben Region eine Ausbeulung gegenüber dem Niveau des Geoids (dem Gleichgewichtsniveau der Erdoberfläche, das etwa dem mittleren Meeresspiegel entspricht) entdeckt.
Im allgemeinen schreibt man diese Ausbeulung dem Einfluß eines sogenannten Hot Spot (wörtlich: heißer Fleck) zu, der sich unter der Inselgruppe der Azoren befindet. Hot Spots sind Erhebungen des Meeresbodens, die ausgeprägten Vulkanismus aufweisen, vermutlich, weil das darunterliegende Mantelmaterial dort ungewöhnlich heiß ist. Von den meisten ozeanischen Inseln – einschließlich Hawaii und Island – nimmt man an, daß sie eine Folge solcher Hot Spots sind. Die Wärmequelle wird in den Übergangszonen tief im Erdinneren vermutet, sie könnte sich sogar an der Grenze zwischen Kern und Mantel befinden (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1993, Seite 48).
Gesteinsproben aus dem Erdmantel
Um diese Theorie zu überprüfen, wollten meine Kollegen und ich untersuchen, wie die Topographie sich entlang des Mittelatlantischen Rückens im Verhältnis zu Temperatur, Struktur und Zusammensetzung des darunterliegenden Mantels verhält. Dies läßt sich zum Beispiel anhand der Geschwindigkeiten seismischer Wellen ermitteln, die den Mantel unter dem Rücken durchqueren. Man kann auch nach örtlichen Abweichungen in der Chemie der Basalte suchen, die entlang der Rückenachse ausgetreten sind; daraus sind dann der Grad der Aufschmelzung und die physikalischen Eigenschaften der Quelle im Mantel, aus der die Basalte stammen, abzuleiten.
Ich verfolgte jedoch einen dritten Ansatz: das Sammeln von Gesteinsproben aus Mantel-Peridotit. Wenn die basaltische Komponente des Magmas aus den Gesteinen des oberen Mantels herausgeschmolzen ist, bleibt etwas Peridotit als fester Überrest zurück. Normalerweise sind diese Gesteine von mehreren Kilometern mächtiger ozeanischer Kruste bedeckt, aber in manchen Fällen sind solche Blöcke zugänglich. Man findet sie typischerweise dort, wo die Achse des mittelozeanischen Rückens durch Transformstörungen seitlich versetzt oder wo Mantelgestein in die Nähe des Meeresbodens transportiert worden ist, so daß sie leicht durch Bohrungen oder Ausbaggern beprobt oder von einem Tauchboot aus direkt eingesammelt werden können.
Im Jahre 1989 nahmen wir an einer Expedition zur Vema-Transformstörung im Atlantik teil, die Jean-Marie Auzende vom Ozeanographischen Institut IFREMER in Plouzané (Frankreich) organisiert hatte. Dort, etwa 10 Grad nördlich des Äquators, ist die Achse des Mittelatlantischen Rückens durch eine Verwerfung, die ein tiefes Tal in die ozeanische Kruste geschnitten hat, um ungefähr 320 Kilometer in Ost-West-Richtung versetzt. Mit dem Tauchboot "Nautile" (Titelbild) wollten wir am mehr als 5000 Meter tiefen Meeresboden die Wände dieses Transform-Tales untersuchen. Wir hofften, einen offenliegenden, noch im ursprünglichen Zustand befindlichen Abschnitt von Mantel und Kruste ausfindig zu machen.
Die meisten unserer Kollegen betrachteten unser Unterfangen mit Skepsis. Die vorherrschende Meinung war, daß die normale Schichtung der Lithosphäre in der Nähe einer Transformstörung vollständig zerrissen sei.
Doch wir ließen uns nicht entmutigen. Wir begannen mit unserer Suche jeweils am Fuße der Abhänge und bewegten uns dann an der Wand aufwärts. Jeder Tauchgang dauerte ungefähr 12 Stunden, wovon wir etwa die Hälfte für die Suche zur Verfügung hatten; den Rest benötigten wir für Ab- und Auftauchen. In der engen "Nautile" finden drei Personen Platz: zwei Piloten und ein Wissenschaftler, der die gesamte Zeit mit dem Gesicht nach unten liegt.
Schon auf unserem ersten Tauchgang konnten wir nachweisen, daß die Basis des untersuchten Abschnitts aus Mantel-Peridotit besteht. Am zweiten Tag entdeckten wir darüber eine Schicht Gab-bro – ein Gestein, das sich unter dem Meeresboden bildet, wenn basaltische Schmelze langsam abkühlt (Bild 4). Allgemein anerkannten geophysikalischen Modellen zufolge ist Gabbro der Hauptbestandteil des unteren Teils der ozeanischen Kruste.
Dann startete ich mit der "Nautile" zu einem weiteren Tauchgang, der auf dem Niveau begann, das wir am Vortag erreicht hatten. Während ich beim langsamen Aufsteigen den Meeresboden absuchte, kam allmählich eine spektakulä-re Gesteinsformation, ein sogenannter Gangschwarm, in mein Blickfeld. Der Theorie zufolge bildet sich ein Gangschwarm dort, wo heißes geschmolzenes Material aus dem Mantel durch viele schmale Risse in der Kruste aufwärts in Richtung Meeresboden quillt. Bis dahin hatte man derartiges am Grund eines Ozeans nicht gefunden.
Der etwa ein Kilometer mächtige Gangschwarm war wiederum von einer Schicht Kissenbasalt überlagert. Eine solche Form nimmt basaltisches Magma an, wenn es beim Ausbruch auf dem Meeresboden im Kontakt mit dem Wasser schnell abkühlt und erstarrt.
Während der nächsten Tage erkundeten wir einen anderen Abschnitt und konnten unsere vorherigen Befunde bestätigen. Wir waren recht aufgeregt, denn niemand hatte je zuvor einen vollständigen und relativ ungestörten Abschnitt des ozeanischen oberen Mantels und der ozeanischen Kruste beobachtet. Wir dokumentierten unsere Entdeckung in einem kurzen Aufsatz, den wir an die Zeitschrift "Nature" schickten, als wir einige Wochen später an Land gingen.
Während der Tauchgänge hatten wir mit dem Greifarm der "Nautile" eine Anzahl von Proben aus dem Mantel-Peridotit entnommen. Durch Vergleich mit vielen anderen Proben aus dem Bereich des Mittelatlantischen Rückens konnten wir nun nach regionalen Unterschieden in der Chemie des oberen Mantels suchen.
Um die Mantelminerale im Peridotit aus dem Atlantik zu analysieren, benutzten Peter J. Michael und Monique Seyler, die damals am Lamont-Doherty Geological Observatory der Columbia-Universität in Palisades (US-Bundesstaat New York) arbeiteten, und ich eine Elektronenstrahl-Mikrosonde. Fokussiert man ihren wenige tausendstel Millimeter dicken Elektronenstrahl auf die Probe, so entsteht Röntgenstrahlung mit charakteristischen Spektrallinien der einzelnen Elemente im Gestein. Aus den Wellenlängen und Intensitäten dieser Röntgenstrahlen konnten wir also die genaue chemische Zusammensetzung des Minerals bestimmen.
Zusammen mit Nobumichi Shimizu von der Woods Hole Oceanographic Institution in Woods Hole (Massachusetts) benutzten wir auch ein anderes Instrument, eine Ionen-Mikrosonde, um die Konzentrationen von Spurenelementen wie Titan, Zirconium und Seltenen Erden zu bestimmen. Bei diesem Meßgerät schlägt ein Ionenstrahl sekundäre Ionen aus der Probenoberfläche heraus, die dann in einem Massenspektrometer auf ihre Masse und Ladung untersucht werden. Die Methode ermöglichte es, die Konzentrationen von Spurenelementen bis auf wenige millionstel Promille genau zu bestimmen.
Solche Analysen erlauben weitgehende Rückschlüsse auf die Temperaturen und Drücke im Mantel, in dem sich die jeweiligen Gesteine gebildet hatten; denn wie Gesteinskundler – unter ihnen Green sowie A. Lynton Jaques vom Australischen Geologischen Dienst – gezeigt haben, verändert teilweises Aufschmelzen die relative Häufigkeit der Minerale im Peridotit. So schmelzen einige Minerale wie die Clinopyroxene leichter als andere, wodurch ihr Anteil während des Schmelzprozesses rasch abnimmt. Zudem verändert sich die chemische Zusammensetzung der ursprünglichen Minerale: Gewisse Elemente wie Aluminium und Eisen gehen bevorzugt in die Schmelze über, während andere wie Magnesium und Chrom zum größeren Teil zurückbleiben und sich im restlichen festen Gestein anreichern. Durch teilweises Aufschmelzen nimmt darum zum Beispiel der Magnesiumgehalt im Olivin (einem Eisen-Magnesium-Silicat) zu und gleichzeitig der Eisengehalt ab; Orthopyroxene und Clinopyroxene wiederum verlieren einen Teil ihres Aluminiums, und das Verhältnis von Chrom zu Aluminium im Spinell nimmt zu.
Unsere Daten belegen, daß die Zusammensetzung des Mantels von Region zu Region stark variiert. Beispielsweise ist das Chrom-Aluminium-Verhältnis im Spinell am höchsten in solchen Peridotiten, die aus einem großen Abschnitt des Mittelatlantischen Rückens zwischen etwa 35 und 45 Grad nördlicher Breite stammen (Bild 5b). Infolgedessen ist anzunehmen, daß der darunterliegende obere Mantel bis zu einem Anteil von 25 Prozent aufgeschmolzen ist. An den meisten anderen Stellen liegt der Wert zwischen etwa 10 und 20 Prozent. Das Gebiet überdurchschnittlicher Aufschmelzung fällt mit der Hot-Spot-Region der Azoren zusammen, was die Theorie stützt, Hot Spots seien eine Folge ungewöhnlich heißer Mantel-Plumes, die sich tief im Erdinneren aufwölben. Andere Befunde sprechen ebenso für diese Vorstellung, so etwa eine Arbeit von Henry J.B. Dick von der Woods Hole Institution, der gleichfalls ozeanische Peridotite analysierte, und eine von Emily M. Klein, die bei Charles H. Langmuir vom Lamont-Doherty Geological Observatory arbeitet und die Chemie von Basalten entlang des Mittelatlantischen Rückens untersucht hat.
Ein kalter Hot Spot
Ein Hot Spot bietet sich zwar als Erklärung für eine so starke Aufschmelzung an; doch wenn man annimmt, die Hot-Spot-Region der Azoren käme allein aufgrund erhöhter Temperatur zustande, dann müßte dort der Mantel etwa 200 Grad Celsius heißer sein als unter dem restlichen Rücken.
Ließe sich dies empirisch überprüfen? Zur Messung der Temperatur hat man eine Reihe von Geothermometern vorgeschlagen. Sie basieren auf der Beobachtung, daß gewisse Mineralpaare im Mantel gemeinsam temperaturabhängigen chemischen Reaktionen unterliegen. Zum Beispiel reagieren Orthopyroxene und Clinopyroxene in einem Mantel-Peridotit bei einer bestimmten Temperatur miteinander, bis sie eine dafür typische Gleichgewichtszusammensetzung erreichen; bei einer anderen Temperatur ergibt sich auch ein anderer Wert. Mit Laborexperimenten hat man diese Relation kalibriert, so daß man nun anhand des analytisch bestimmten Verhältnisses der beiden zusammen vorkommenden Minerale auf die Temperatur schließen kann, bei der sich das Gleichgewicht eingestellt hat.
Ich verwendete zwei Geothermometer, um die Peridotite des Mittelatlantischen Rückens zu untersuchen – eines hatte Donald H. Lindsley von der Universität des Staates New York in Stony Brook entwickelt, das andere Peter R.A. Wells von der Universität Oxford (England). Die Ergebnisse waren überraschend: Die Temperatur in der Hot-Spot-Region der Azoren ist trotz des dort größeren Aufschmelzungsgrades nicht erhöht; sie ist sogar eher noch etwas niedriger als in anderen Bereichen (Bild 5c).
Wie läßt sich dies erklären? Vielleicht weist der obere Mantel an dieser Stelle eine Zusammensetzung auf, die ihn leichter schmelzen läßt. Wasser könnte dabei entscheidend mitwirken. Experimenten zufolge, die Peter J. Wyllie vom California Institute of Technology in Pasadena, Ikuo Kushiro von der Universität Tokio und der Carnegie-Institution in der US-Bundeshauptstadt Washington sowie andere durchgeführt haben, setzen Spuren von Wasser oder anderen flüchtigen Substanzen die Schmelztemperatur von Peridotit deutlich herab. Wenn also solch eine gleichsam feuchte Mantelzone sich unter einem Abschnitt des mittelozeanischen Rückens aufwölbt, würde das Gestein tiefer in der Erde zu schmelzen beginnen als anderwärts aufsteigendes normales, sozusagen trockenes Mantelmaterial. Bis der Peridotit dann die Oberfläche erreichte, würde er einen weit größeren Aufschmelzungsgrad aufweisen als gleiches Material aus einer trockenen Mantelzone bei ähnlichen Temperaturen.
Es gibt nun tatsächlich Hinweise darauf, daß der obere Mantel unter dem Hot-Spot-Gebiet der Azoren feuchter ist als an anderen Stellen des Mittelatlantischen Rückens. Vor wenigen Jahren berichteten Jean-Guy E. Schilling und seine Mitarbeiter an der Universität von Rhode Island in Kingston, daß Basalte aus dem Hot-Spot-Abschnitt zwischen 35 und 45 Grad nördlicher Breite drei- bis viermal soviel Wasser enthalten wie normale Basalte aus mittelozeanischen Rücken. Auch die Konzentrationen von leichtflüchtigen Elementen wie Chlor und Brom sind abnorm hoch; ebenfalls erhöht ist der Anteil verschiedener anderer Elemente, vor allem solcher aus der Gruppe der Seltenen Erden. Dies bedeutet, daß das Mantelgestein im Gebiet des Hot Spots einen Überschuß dieser Elemente aufweist.
Folglich scheint sich die Mantelregion unterhalb der Azoren wirklich nicht durch eine höhere Temperatur, sondern durch einen höheren Gehalt an Wasser und anderen Flüssigkeiten, die ihre chemische Zusammensetzung und das Schmelzverhalten verändert haben, von dem übrigen Mantel unter dem Mittelatlantischen Rücken zu unterscheiden. Eine solche chemische Umwandlung von Mantel-Peridotit durch Flüssigkeiten – Metasomatose oder Verdrängung genannt – würde erklären, warum feuchtes Mantelmaterial nahe der Oberfläche stärker aufgeschmolzen ist als gewöhnlich. Auch wäre verständlich, warum die Gleichgewichtstemperaturen, die man an Peridotiten am Azoren-Hot-Spot ermittelt hat, nicht höher als im Durchschnitt sind: Durch Schmelzreaktionen wird Wärme verbraucht, so daß ein teilweises Aufschmelzen des sich aufwölbenden Mantels eine Abkühlung der Umgebung bewirkt haben könnte – je höher dabei der Aufschmelzungsgrad, um so größer der Wärmeverlust.
Für das Wasser, das die Mantel-Metasomatose verursacht, gibt es zwei mögliche Quellen: An den Meeresrändern, wo Platten alter ozeanischer Lithosphäre in Subduktionszonen absinken, wird Wasser in den Mantel zurückgeführt. Zum anderen kann es sich bei Entgasungsprozessen bilden – beispielsweise dann, wenn Methan aus dem tieferen Mantel oxidiert wird, sobald die Aufwölbung den Bereich des oberen Mantels erreicht. Bei dieser Reaktion würde außer Wasser auch reiner Kohlenstoff (in der Form von Diamant oder Graphit) entstehen.
Wegen seiner unterdurchschnittlichen Manteltemperatur paßt der Azoren-Hot-Spot eindeutig nicht in das übliche Schema. Wie soll man aber verschiedene Typen von Hot Spots unterscheiden (die wirklich heißen von denjenigen, die kühler sind) und Rückschlüsse auf ihre Herkunft ziehen? Eine Antwort könnte das gasförmige Element Helium liefern, das in den zwei stabilen Isotopen Helium-3 und Helium-4 vorkommt. Das schwerere Helium-4 entsteht fortwährend in der Erdkruste durch den radioaktiven Zerfall von Uran und Thorium. Helium-3 hingegen ist, wie die meisten Forscher glauben, beim unvollständigen Entweichen von Gasen zurückgeblieben, die in der Frühzeit der Erde in ihrem Inneren eingeschlossen worden waren.
Das Verhältnis von Helium-3 zu Helium-4 in der Erdatmosphäre und im Meerwasser beträgt etwa eins zu einer Million. Doch in Gesteinsproben, die aus mittelozeanischen Rücken stammen, erreicht es das Achtfache des atmosphärischen Wertes, wie Arbeitsgruppen unter der Leitung von Harmon Craig von der Scripps Institution of Oceanography in La Jolla (Kalifornien) und Mark D. Kurz aus Woods Hole an Basalten aus mittelozeanischen Rücken gezeigt haben. An Hot Spots wie denjenigen unter Hawaii und Island ist das Verhältnis sogar noch größer und beträgt vielleicht das Dreißigfache des Wertes in der Atmosphäre. Dieser hohe Anteil von Helium-3 läßt vermuten, daß dort urzeitliche Gase entweichen. Hot-Spot-Gebiete mit hohen Verhältnissen von Helium-3 zu Helium-4 bestätigen also die Vermutung, daß sie Aufwölbungen von heißen Plumes aus dem tiefen Erdinneren sind.
An einigen Hot Spots – zum Beispiel an den Azoren – ist das Verhältnis von Helium-3 zu Helium-4 in den Basalten jedoch niedriger als in den entsprechenden Gesteinen gewöhnlicher Abschnitte der mittelozeanischen Rücken. Demnach müßte die ursprüngliche Gaskomponente dieser Hot Spots irgendwie abhanden gekommen sein. Oder es handelt sich bei dem Azoren-Hot-Spot um eine Aufschmelzungs-Anomalie, die ihren Ursprung relativ weit oben im Mantel hat; dann wäre er nicht mit einer heißen Aufquellung verbunden, die ihre Ursache im unteren Mantel oder an der Kern-Mantel-Grenze hat, was die relativ geringe Temperatur erklären könnte. Derartige Hot Spots sind dann auch möglicherweise eher als "Wet Spots" (nasse Flecken) zu klassifizieren, weil Flüssigkeiten bei ihrer Entstehung eine bedeutende Rolle spielen.
Absinkende Mantelbereiche
Aus unseren Untersuchungen an Mantel-Peridotiten vom Mittelatlantischen Rücken geht hervor, daß einige Gebiete mit geringeren Temperaturen Umkehrpunkte oder abwärtsgewichtete Ströme der Konvektion im Mantel repräsentieren könnten. Um diese Folgerung zu verstehen, müssen wir uns einer Region südlich der Azoren zuwenden, nämlich der Äquatorialzone des Mittelatlantischen Rückens.
Die mineralische Zusammensetzung der dort entnommenen Peridotite läßt vermuten, daß sie nur einem geringen oder gar keinem Schmelzprozeß unterlagen und daß folglich die Manteltemperatur außergewöhnlich niedrig gewesen sein muß. Zu ähnlichen Schlüssen kam Nadia Suschewskaja vom Moskauer Wernadsky-Institut für Geochemie der russischen Akademie der Wissenschaften bei ihren Untersuchungen an Basalten aus dieser Region. Zudem liegt im Unterschied zum Mittelatlantischen Rücken höherer Breiten in der Äquatorzone die Kruste noch tiefer unter dem Geoid, und die Geschwindigkeit seismischer Wellen im oberen Mantel ist dort höher. Aus beiden Beobachtungen folgt, daß unter der Äquatorialregion des Atlantiks der obere Mantel dichter und kälter ist; seine Temperatur dürfte dort mehr als 150 Grad Celsius niedriger sein als unter anderen Bereichen des Rückens.
Eine plausible Erklärung dafür sind abwärts gerichtete Konvektionsströme. Offenbar treffen in der Äquatorzone aufsteigende Plumes aus den Mantelbereichen unter dem nördlichen und dem südlichen Atlantik aufeinander, geben ihre Wärme an die kühlere Umgebung ab und beginnen dann abzusinken.
Klein, Jeffrey Weissel, Dennis E. Hayes und ihre Mitarbeiter vom Lamont-Doherty Geological Observatory fanden ähnliche Verhältnisse in einem Abschnitt des mittelozeanischen Rückens, der zwischen Australien und der Antarktis verläuft. Dieser Rücken liegt außergewöhnlich tief, und die Basalte, die von seinem Kamm entnommen wurden, sind offensichtlich bei extrem geringer Aufschmelzung im Mantel entstanden. Die Befunde stimmen mit der Vorstellung überein, daß breite Konvektionsströme im Mantel vom Pazifischen und vom Indischen Ozean her kommend zwischen Australien und der Antarktis zusammentreffen und absinken.
Massen- und Polwanderung
Die äquatoriale Lage des absinkenden Mantelgürtels im Atlantik ist vermutlich kein Zufall. Möglicherweise sind die Rotation der Erde und die Konvektionsvorgänge im Mantel eng verknüpfte Phänomene.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts legte George Darwin (der zweite Sohn des Evolutionsbiologen Charles) dar, daß die Verteilung großer Massen an der Oberfläche – beispielsweise die Kontinente – die Lage der Erdachse beeinflusse. Seither haben verschiedene Wissenschaftler untersucht, wie Dichte-Inhomogenitäten im Mantel eine Polverschiebung verursachen. Eine solche Verlagerung des gesamten Mantels relativ zur Erdachse ist eine Folge des physikalischen Sachverhalts, daß die Erde wie jeder andere rotierende Körper ihre Rotationsenergie stets zu minimieren sucht.
Im Erdmantel sind vielleicht Indizien für eine derartige Umverteilung von Masse zu finden. H. William Menard und LeRoy M. Dorman von der Scripps Institution vermuteten, daß die Tiefe mittelozeanischer Rücken unter dem Meeresspiegel im allgemeinen von der geographischen Breite abhängt: Zum Äquator hin liegen sie tiefer und zu den Polen hin höher. Des weiteren ergaben Schweremessungen, daß sich unter den Äquatorialbereichen ein Masseüberschuß befindet. Dies weist darauf hin, daß im oberen Mantel am Äquator ungewöhnlich kalte und dichte Massen vorhan- den sind.
Das Absinken kalter, dichter Gesteinsschollen in den Mantel scheint die Polverschiebung zu beeinflussen. Es gibt deutliche Hinweise darauf, daß der Mantel nahe der Krustenoberfläche weniger zähflüssig ist als in größeren Tiefen. Alle dichten Massen, die – beispielsweise durch Subduktion an den Rändern der Ozeane – in den Mantel geraten, werden die Lage der Erdachse beeinflussen, weil der Äquator sich in Richtung dieser Gebiete zu verlagern sucht (Bild 7). Falls sich solche dichten Massen in der Nähe des Äquators befinden, werden dort im oberen Mantel überwiegend abwärts gerichtete Ströme und kältere Spots auftreten. Dieses Phänomen würde zumindest qualitativ die relativ geringe Temperatur des oberen Mantelgürtels und das daraus resultierende Fehlen normaler Aufschmelzung im Äquatorialbereich des Atlantiks und wahrscheinlich auch des Pazifiks erklären.
Spuren des Pangäa-Zerfalls
Eine absinkende Mantelgrenze könnte die besondere Geologie der Äquatorialregion erklären. Charles Darwin landete während seiner Reise mit dem Forschungsschiff "Beagle" 1835 auf einigen unwirtlichen kleinen Felsinselchen, die kaum über den Meeresspiegel hinausragen. Die Inseln, heute als St.-Paul-Felsen bekannt, befinden sich inmitten des Atlantiks nur wenige Kilometer nördlich des Äquators. Darwin beschrieb, wie Brutkolonien von Tölpeln sich mit großen roten Krabben um jeden Quadratzentimeter verfügbaren Platzes balgten – ein Kampf, der sich heute noch so abspielt.
Der Biologe notierte aber auch, daß sich die Felsen geologisch von den meisten Meeresinseln unterscheiden, weil sie nicht vulkanischen Ursprungs seien. Diese Beobachtung wurde später bestätigt, zuletzt von William G. Melson von der Smithsonian Institution, Mary K. Roden von der Staats-Universität von New York in Albany und ihren Mitarbeitern. Die St.-Paul-Felsen sind in der Tat aus Peridotiten aufgebaut und stellen eine gehobene Masse aus dem oberen Mantel dar.
Die dortigen Peridotite unterscheiden sich jedoch von denjenigen, die man an anderen Stellen entlang des Mittelatlantischen Rückens entnommen hat. Die Chemie ihrer Minerale läßt vermuten, daß sie nur einer geringen oder gar keiner Aufschmelzung unterlagen: Die Verteilung stellte sich im Mantel bei geringer Temperatur ein. Damit ähneln sie Peridotiten von kontinentalen oder präozeanischen Rifts (so wie denen, die auf der Insel Zabargad im Roten Meer zutage treten) mehr als denjenigen von ozeanischen Rücken. Außerdem scheinen sie im Mantel stark durch Metasomatose beeinflußt worden zu sein – stärker als die Proben, die wir dem Mittelatlantischen Rücken entnommen haben.
Die St.-Paul-Felsen scheinen also eher das typische Mantelmaterial eines kontinentalen Rifts zu sein als das eines mittelozeanischen Rückens. Aus geochemischen Untersuchungen geht hervor, daß die Metasomatose vor etwa 150 Millionen Jahren stattfand; diese Zeitangabe markiert ein präozeanisches kontinentales Riftstadium, das der Trennung von Afrika und Südamerika im äquatorialen Atlantik vorausging (also irgendwann im Verlauf des Aufbrechens von Pangäa stattfand).
Wie geschah es nun aber, daß Blöcke von ursprünglich subkontinentalem Man-tel in der Mitte des Atlantischen Ozeans zurückblieben? Das könnte mit den Umständen zu tun haben, unter denen der damalige Superkontinent Pangäa auseinanderbrach.
Vor 100 Millionen Jahren verlief der Äquator etwa an derselben Stelle über die künftigen Küstenlinien Afrikas und Südamerikas wie heute (Bild 1). Infolge der relativ geringen Temperatur des oberen Mantels unter der Äquatorzone muß die kontinentale Lithosphäre dort kühler und dicker gewesen sein als anderswo. Mithin setzte sie dem sich von Süden her ausbreitenden Rift einen gewissen Widerstand entgegen, so daß sie sich quasi als Sperrzone verhielt (Spektrum der Wissenschaft, September 1983, Seite 50). Deshalb öffnete sich der äquatoriale Atlantik nur zögernd, wodurch die großen Bruchzonen entstanden sein könnten, die heute als ost-west-gerichtete Risse im Meeresboden den mittelozeanischen Rücken in kurze, seitlich versetzte Segmente gliedern (Bild 3).
Während der Öffnung des äquatorialen Atlantiks waren diese Bruchzonen starkem Kompressionsdruck und kräftigen vertikalen Bewegungen von Lithosphärenblöcken ausgesetzt. Dadurch könnten immer wieder Krustenblöcke sich aus dem Ozean heraufgewölbt haben und dann zurückgesunken sein. Einige Splitter dieser kontinentalen Lithosphäre sind jedoch womöglich inmitten des Ozeans zurückgeblieben – so wie jener, dessen Gipfel wir als St.-Paul-Felsen kennen. Die kalten, absinkenden Zonen des Erdmantels können damit gänzlich andere Inseltypen entstehen lassen als die heißen, sich aufwölbenden Regionen, in denen sich verschiedene Formen von Vulkaninseln entwickeln.
Es ist interessant zu spekulieren, wie das Heben und Senken der Inseln das Leben auf der Erde beeinflußt haben könnte. Ein Beispiel ist das Wanderungsverhalten der Suppenschildkröte (Chelonia mydas). Diese Meeresschildkröten leben an der brasilianischen Küste, schwimmen aber zur Eiablage 2000 Kilometer weit zur Insel Ascension. Dieses seltsame Verhalten mag auf ihre Vorfahren zurückgehen, die sich vor 80 Millionen Jahren entwickelten, als der Atlantik in Äquatornähe noch schmal war. Die Tiere könnten damals Inseln zur Eiablage benutzt haben, die nahe der brasilianischen Küste lagen. Als sich der Atlantik dann weiter öffnete und einige der Inseln absanken, waren ihre Nachfahren schließlich gezwungen, etliche hundert Kilometer mehr zu schwimmen.
Bevor die Geologen ein vollständiges Bild der Mantelkonvektion und ihres Einflusses auf die Geologie der Erdoberfläche präsentieren können, bleibt für die Forschung noch viel zu tun. Da es nicht immer praktikabel ist, Tauchboote zum Ozeanboden zu schicken, müssen andere Techniken wie die seismische Tomographie weiterentwickelt werden, um Wet Spots von Hot Spots zu unterscheiden. Die Debatte über die Ursprünge der Mantelkonvektion und darüber, ob diese bis in den unteren Mantel reicht, dauert an. Theoretiker, Geophysiker, Geochemiker und Gesteinskundler können sich dabei auf Symposien sogar ziemlich ereifern. Über einen Punkt herrscht freilich Einstimmigkeit: daß der Erdmantel ein sehr dynamisches und aufregendes Untersuchungsobjekt ist.
Literaturhinweise
- Ozeane und Kontinente. Ihre Herkunft, ihre Geschichte und Struktur. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft, Heidelberg 1984.
– Die Dynamik der Erde. Bewegungen, Strukturen, Wechselwirkungen. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft, Heidelberg 1987.
– Theory of the Earth. Von D.L. Anderson. Blackwell Scientific Publications, 1989.
– Not So Hot "Hot Spots" in the Oceanic Mantle. Von E. Bonatti in: Science, Band 250, Seiten 107 bis 111, 5. Oktober 1990.
– Ridges, Hotspots and Their Interaction as Observed in Seismic Velocity Maps. Von Y.S. Zhang und T. Tanimoto in: Nature, Band 355, Seiten 45 bis 49, 2. Januar 1992.
– A Cold Suboceanic Mantle Belt at the Earth's Equator. Von E. Bonatti, M. Seyler und N. Sushevskaya in: Science, Band 261, Seiten 315 bis 320, 16. Juli 1993.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1994, Seite 54
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