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Der Komet Hale-Bopp - eine erste Bilanz

Kaum ein Schweifstern wurde so intensiv beobachtet wie dieser; auch wenn er jetzt langsam wieder in die Weiten des Sonnensystems entschwindet, hinterläßt er doch ein bleibendes Vermächtnis: Er hat den Astronomen dazu verholfen, ihr Wissen über den Aufbau dieser schmutzigen Schneebälle erheblich zu erweitern.

Für uns Mitteleuropäer geht in diesen Tagen eine außergewöhnliche Zeit zu Ende: Selten in der Geschichte war ein so heller Komet wie Hale-Bopp mehrere Wochen lang in bester Position am Abendhimmel zu bewundern. Auch wenn sich vielleicht nur ein kleiner Teil der Öffentlichkeit dieses Privilegs zur Gänze bewußt war, hat sie doch wie seit Jahrzehnten nicht mehr an einem astronomischen Ereignis teilgenommen. Nur ausgeprägte Stubenhocker oder an Naturphänomenen völlig desinteressierte Zeitgenossen dürften es geschafft haben, den doppelschweifigen Kometen (Bild) zu übersehen.

Während Hale-Bopp sich nun wieder von der Sonne entfernt und auf diesem Abschnitt seiner Bahn von der Südhalbkugel der Erde aus sichtbar ist, sind von dort aus die Teleskope der Observatorien und auch mancher Amateurastronomen auf ihn gerichtet – noch mehrere Jahre lang wird er als immer lichtschwächer werdendes diffuses Fleckchen auf seiner weiteren Reise durch das Sonnensystem zu verfolgen sein.

Unterdessen werten die Wissenschaftler ihre bisher gesammelten Daten aus. Für die Astronomen ist Hale-Bopp ein seltener Glücksfall: Bei seiner Entdeckung im Juli 1995 war er noch eine Milliarde Kilometer oder 7,2 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt (eine Astronomische Einheit, kurz AE, entspricht dem mittleren Abstand der Erde von der Sonne, also knapp 150 Millionen Kilometer). Nie zuvor war ein Komet bereits jenseits der Jupiterbahn derart aktiv gewesen und hatte so früh systematisch untersucht werden können (Spektrum der Wissenschaft, März 1996, Seite 26). Weil Hale-Bopp in großer Entfernung von unserem Zentralgestirn schon derart hell erstrahlte, verschaffte er den Astronomen wertvolle neue Informationen über Kometen.

Durch Messungen im gesamten Wellenlängenbereich des elektromagnetischen Spektrums ließ sich viel über die Aktivitätsprozesse an der Oberfläche des Kometenkerns und die Zusammensetzung der Gas- und Staubhülle – der Koma – erfahren. Einige der ersten Befunde wurden kürzlich veröffentlicht ("Science", Band 275, Seiten 1900 bis 1920, 28. März 1997).

Insbesondere die Infrarot-Beobachtungen profitierten von der großen intrinsischen Helligkeit von Hale-Bopp. Gewöhnlich läßt sich die Wärmestrahlung eines Kometen erst dann detailliert analysieren, wenn er sich der Sonne auf ein bis zwei Astronomische Einheiten genähert hat und seine Staubpartikel sich so weit erwärmt haben, daß ihr Infrarotsignal aus dem Hintergrundrauschen eines Empfängers hervorsticht, der an ein irdisches – und damit relativ warmes – Teleskop angeschlossen ist. Hale-Bopp jedoch strahlte aufgrund seiner hohen Aktivität so viel Wärme ab, daß er schon in einem Abstand von vier AE im Bereich des thermischen Infrarot beobachtet werden konnte, als seine Koma noch vergleichsweise kalt war. Des weiteren befindet sich seit Ende 1995 mit dem Infrarot-Weltraumobservatorium ISO ein leistungsfähiges Teleskop in einer Erdumlaufbahn, das die infrarote Wärmestrahlung auch kühler Objekte über einen sehr großen Wellenlängenbereich und mit hoher Auflösung zu registrieren vermag.

Mit Infrarotmessungen lassen sich nun die leichtflüchtigen Moleküle identifizieren, die von der eisigen Oberfläche des Kometenkerns abdampfen – anhand ihrer spezifischen Schwingungen, die durch die Sonnenstrahlung angeregt werden, so daß sie sich im Spektrum bei bestimmten Wellenlängen als Emissionslinien bemerkbar machen. Als Hale-Bopp 2,9 AE von der Sonne entfernt war, betrug das Mengenverhältnis von Wasser (H2O), Kohlenmonoxid (CO) und Kohlendioxid (CO2) in der Koma – gemessen an der Anzahl der Moleküle – 10 : 6 : 2; wegen der hohen Flüchtigkeit von CO und CO2 dürfte dies zwar nicht die exakte Zusammensetzung des Eises im Kern widerspiegeln, doch stellen diese drei Substanzen jedenfalls die Hauptbestandteile des Kometen dar. Dieselben Molekülarten hatte ISO bereits früher als wichtigste Komponenten von Eis in interstellaren Wolken ausgemacht, das sich auf der Oberfläche kleiner Staubkörnchen bildet ("Astronomy and Astrophysics", Band 315, Seite L365 sowie Seite L357, 1996).

Im thermischen Spektrum des Staubes in der Koma von Hale-Bopp ließen sich ebenfalls markante Emissionsstrukturen ausmachen. Sie belegen das Vorhandensein von kristallinem Olivin, einem Mineral der chemischen Zusammensetzung (Mg,Fe)2SiO4, das auch im oberen Mantel der Erde weit verbreitet ist. Die Kristallstruktur wiederum weist darauf hin, daß zumindest ein Teil der Silicate im kometaren Staub einst erheblich aufgeheizt worden sein muß – doch ob dieser Prozeß im interstellaren Medium oder bei der Bildung des Sonnensystems stattgefunden hat, bevor die Kometen entstanden sind, läßt sich noch nicht mit Gewißheit sagen.

Bemerkenswert ist indes, daß ISO kristallines Olivin auch in anderen Himmelsobjekten nachgewiesen hat: in Staubwolken um alte Sterne herum, in denen die Silicatkörnchen aus den vom Stern freigesetzten Elementen entstehen, sowie in einer protoplanetaren Scheibe, die einen noch jungen Stern umgibt ("Astronomy and Astrophysics", Band 315, Seite L245 und Seite L361, 1996). Die Ähnlichkeit der Infrarotspektren dieser Objekte mit dem von Hale-Bopp könnte damit klären helfen, ob Kometen tatsächlich so etwas wie die urtümlichen Relikte des solaren Urnebels sind, aus dem unser Planetensystem entstanden ist.

Weitere Erkenntnisse über den Zusammenhang von Kometen und interstellarer Materie lassen sich nun prinzipiell auch in Laborexperimenten gewinnen. Beobachtungen von Hale-Bopp im Radiofrequenzbereich, die kurz nach seiner Entdeckung begannen, hatten es nämlich erstmals ermöglicht, das Abdampfverhalten von neun verschiedenen Molekülarten während der Annäherung eines Kometen an die Sonne zu ermitteln ("Science", Band 275, Seite 1915, 28. März 1997). Diese quantitativen Befunde kann man nun direkt mit Werten vergleichen, die Versuche an simulierten Proben von interstellarem Eis im Labor ergeben, um so Genaueres über die molekulare Zusammensetzung der kosmischen Vagabunden zu erfahren.

Gelernt hat man bereits einiges über die Prozesse, die der starken Aktivität von Hale-Bopp zugrunde liegen. So war es in einem Abstand von mehr als vier AE das leichtflüchtige Kohlenmonoxid, das von einzelnen Stellen des Kerns – der einen Durchmesser von 30 bis 40 Kilometern hat – abdampfte und dabei kleine Staubpartikel von ungefähr einem Mikrometer (tausendstel Millimeter) Größe mitriß, an denen noch gefrorenes Gas haftete. Wegen ihrer geringen Größe konnten die Staubteilchen nur einen kleinen Teil der Energie, die sie durch Absorption des Sonnenlichts aufnahmen, wieder abstrahlen. Infolgedessen erwärmten sie sich und setzten die an ihnen haftenden Gasmoleküle frei.

Das abdampfende Kohlenmonoxid riß zudem die unterschiedlichsten Eispartikel mit. Teilchen aus gefrorenem Wassereis beispielsweise wurden in der Koma von Hale-Bopp bereits bei einem Abstand von 6,8 AE von der Sonne gefunden; erst als die Distanz nur noch drei AE betrug, hatte sich der Kometenkern dagegen so weit erwärmt, daß Wasser direkt in großen Mengen von seiner Oberfläche verdampfte. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Aktivität von Hale-Bopp durch die Freisetzung dieser vertrauten Substanz dominiert, die vermutlich etwa 80 Prozent seiner Gesamtmasse ausmacht.

Als Hale-Bopp schließlich am 1. April den sonnennächsten Punkt seiner Bahn durchlief, verlor er pro Sekunde ungefähr 100 Tonnen Material. Doch trotz dieses enormen Aderlasses verfügt er noch über ausreichend Substanz, um viele Dutzend Male als heller Schweifstern wiederzukehren – sein nächster Besuch ist in etwa 2380 Jahren, also gegen Ende des 44. Jahrhunderts, zu erwarten.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1997, Seite 25
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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