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Michael S. Malone: Der Mikroprozessor. Eine ungewöhnliche Biographie.

Springer, Heidelberg 1996. 376 Seiten, DM 58,-.

Es gibt Biographien bedeutender und richtungsweisender Persönlichkeiten mit reicher historischer Ausschmückung und Detailschilderungen, die Herz und Seele ansprechen. Wird eine solche Geschichte auch noch eindrucksvoll verfilmt, glauben viele Menschen: Völlig klar, ich habe es genau verstanden, es kann gar nicht anders gewesen sein.

Wenn es um das Leben eines großen Wissenschaftlers geht, ist dieses Schema nur mühsam durchzuhalten. Der Autor muß seinem Publikum schwierige Materie zumuten, will er ihm nicht die wesentliche Lebensleistung seines Helden vorenthalten. Entsprechend geringer ist die Leserschaft, und ein Schauspiel oder einen Film wird höchst selten daraus; Bertolt Brechts 1943 uraufgeführtes "Leben des Galileo Galilei" ist eine Ausnahme.

Nun hat der erfahrene Wissenschaftsjournalist Michael S. Malone etwas noch Schwierigeres zum Helden seiner Biographie gemacht: den Mikroprozessor. Auch wenn man bei dem Thema eher ein populäres Sachbuch erwarten würde – der Untertitel ist tatsächlich so gemeint. Damit stellt sich Malone eine anspruchsvolle und recht ungewöhnliche Aufgabe.

Wer allerdings eine Auseinandersetzung mit einer der innovativsten und weitreichendsten Technologien dieses Jahrhunderts erwartet und die sachlich naheliegenden Bezüge zur Halbleiterphysik, zur mathematischen Logik und Arithmetik sowie zur Informatik sucht, wird enttäuscht werden. Der erste Teil des Werkes ist unter wissenschaftlichen Aspekten ziemlich belanglos. Noch nicht einmal ein fundierter Leitfaden in der kurzen Geschichte elektronischer Rechner wird für den interessierten Laien sichtbar. Offensichtlich konnte der Autor sich nicht recht entscheiden, ob es eher eine populäre oder eine wissenschaftlich angehauchte Biographie werden sollte. Herausgekommen ist lediglich eine Aneinanderreihung von Grundlagenwissen, Technologieskizzen, Personen- und Situationsschilderungen.

Es wäre indes falsch, an dieser Stelle das Buch aus der Hand zu legen; denn es folgt die ungewöhnlich spannend geschriebene Darstellung einer technischen Entwicklung. Malone schildert die Geschichte der beteiligten Firmen und Personen schnörkellos und präzise; dazu beschreibt er die Verflechtungen von Wissenschaft und Industrie bei der Mikroprozessorentwicklung so farbig und in so rascher Abfolge, daß man fast glaubt, einen Film zu erleben.

Die eigentliche Stärke dieser ungewöhnlichen Biographie ist die gelungene Verknüpfung mit den wirtschaftlichen Aspekten. Man muß weit in die Vergangenheit zurückgreifen, um die ökonomischen Auswirkungen einer Technologieentwicklung ähnlich eindrucksvoll dargestellt zu finden: in dem utopischen Roman "Der Tunnel", den Bernhard Kellermann, nachmaliger Abgeordneter der DDR-Volkskammer, 1913 verfaßt hat, oder in "Anilin" (1936) von dem nationalsozialistisch engagierten Arzt und Schriftsteller Karl Aloys Schenzinger. Erst 1981 hat der Amerikaner Tracy Kidder wieder Vergleichbares geschrieben: "The Soul of a New Machine" (deutsch "Die Seele einer neuen Maschine" 1982 bei Birkhäuser) ist eine erste Insider-Story über die Goldrauschzeit der Minicomputer.

Der Mentalität eines Kontinentaleuropäers sind die sozialen Härten beim Durchziehen eines innovativen Projekts etwas fremd. Man kann aber den Beschreibungen von Lohnverzicht, Urlaubssperren und Mehrarbeit – alles mit dem Ziel, die Firma an der Spitze zu halten, und auch, um Entlassungen zu vermeiden – eine gewisse Faszination nicht absprechen, vor allem weil man weiß, daß die Anstrengung schließlich von Erfolg gekrönt war. Auch die Kämpfe der Firmen untereinander um das Bestehen auf dem Prozessor-Markt schildert Malone realistisch und in einer plastischen Sprache. Am Ende geht es einem wie bei den erwähnten verfilmten Biographien – man glaubt wirklich, dies sei die wahre Geschichte.

Der Autor hat nach diesen Kapiteln ein wichtiges Ziel mit Bravour erreicht – er wirkt überzeugend. Doch eigentlich hatte er sich im Vorwort noch ein anderes Ziel gesetzt: für die Gruppe der High-Tech-Neueinsteiger und etablierten Angestellten der Branche eine Art Gebrauchsanweisung (für was auch immer, wird nicht klar) zu verfassen, die durch intensive Nutzung Eselsohren bekommt. Ob er das erreicht, wage ich stark zu bezweifeln; dafür ist der technische Teil zu knapp und holprig, während der historische wegen des hohen Entwicklungstempos der Datenverarbeitungstechnik bald in Vergessenheit geraten wird. Dies trübt aber nicht den Gewinn bei der Lektüre, so daß man sich die "ungewöhnliche Biographie" ruhig schenken lassen kann.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1998, Seite 128
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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