Direkt zum Inhalt

Der Pilz, der John F. Kennedy zum Präsidenten machte, und andere Geschichten aus der Welt der Mikroorganismen

Aus dem Englischen von Alfred Hansel.
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1995.
384 Seiten, DM 49,80.

Was haben John F. Kennedy, ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten, und Edwina Currie, ehemalige Staatssekretärin im britischen Gesundheitsministerium, gemeinsam? Ihre politische Laufbahn wurde entscheidend von Mikroben beeinflußt.

Im Fall Kennedys war dies – lange vor seiner Geburt – ein Pilz namens Phytophtora infestans, auch unter dem Namen Kartoffelfäule bekannt. Im Jahre 1845 vernichtete er nahezu die gesamte Kartoffelernte in Irland. Mehr als eine Million irischer Bauern verhungerten, mehr als doppelt so viele wanderten nach Amerika oder Australien aus. Auch die Familien Fitzgerald und Kennedy, Vorfahren des Präsidenten, schifften sich in diesem Hungerjahr nach Neuengland ein. Vermutlich waren es insbesondere die Wählerstimmen der irischstämmigen US-Bürger, die Kennedy 1960 den Sieg bescherten.

Ein Bakterium namens Salmonella enteritidis hingegen beendete die Karriere von Edwina Currie. Die Staatssekretärin verkündete 1988 im Fernsehen, daß die meisten Eier in Großbritannien mit Salmonellen belastet seien, was die Briten in Panik versetzte und den Eierproduzenten Einkommensverluste von mehr als 25 Millionen Pfund bescherte. Im Verlauf der Affäre, bei der die britische Regierung insgesamt zehn Millionen Pfund Ausgleichszahlungen leistete, wurde erbittert über die Gesundheitsgefährdung durch den giftproduzierenden Erreger von Magen-Darm-Krankheiten gestritten. Die ist jedoch verhältnismäßig gering: Ausreichend langes Kochen tötet Salmonellen ab, und selbst von lebenden Bakterien in geringen Mengen wird ein gesunder Mensch in der Regel nicht krank. Schließlich mußte Edwina Currie zurücktreten.

In spannend geschriebenen und oft amüsanten Essays erfahren die Leser außerdem, daß Feinschmecker ohne Penicillium roqueforti oder Penicillium camemberti weder Camembert noch Roquefort, Stilton oder Gorgonzola genießen könnten. Ein Vetter dieser Schimmelpilze, Penicillium notatum, rettet seit der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming in den dreißiger Jahren zahlreichen Menschen das Leben, deren Abwehrkräfte nicht allein mit bakteriellen Infektionen fertigwerden.

Der englische Wissenschaftsjournalist und Mikrobiologe Bernard Dixon, ehemaliger Herausgeber des Magazins "New Scientist", hat verblüffend viele unterschiedliche Eigenschaften, Nutzungsmöglichkeiten und Gefahren von Mikroorganismen zusammengestellt. Die kurzen Geschichten über Mikroben und Menschen, erstmals als Kolumnen in der Tageszeitung "The Independent" veröffentlicht, leuchten den historischen Hintergrund der Entdeckung von Bakterien, Viren und Pilzen aus und zeigen Perspektiven auf, beispielsweise wie gentechnisch veränderte Colibakterien in Zukunft genutzt werden könnten.

Dixon beurteilt die im Labor modifizierten Einzeller als Helfer der Zukunft durchweg positiv: Öl- oder plastikfressende Bakterien könnten nach seiner Ansicht die Umweltverschmutzung aufhalten, andere Arten zu Rohstofflieferanten werden oder sogar der Erwärmung der Atmosphäre entgegenwirken. Bei der Beschreibungen der bisherigen Forschung geht er aber durchaus auf riskantes Verhalten, Irrtümer und Fehlschläge der Wissenschaftler ein; er verschweigt beispielsweise nicht, daß der erste mit Penicillin behandelte Patient dann doch an seiner Infektion starb, weil das Medikament nicht schnell genug hergestellt werden konnte.

Sorgfältig trennt er Dichtung und Wahrheit – so bei der Geschichte der "Typhus-Mary", einer Frau, die "als Köchin in verschiedenen Häusern und Hotels in New York arbeitete und dabei über 40 Jahre hinweg den Erreger Salmonella typhi verbreitete". Die Geschichte ist von dem Schweizer Schriftsteller Jürg Federspiel zu einem dramatischen Roman mit sehr vielen dichterischen Freiheiten verarbeitet worden. Aber "da sein Buch zumindest zum Teil auf Tatsachen beruht, verursacht es ein gewisses Unbehagen, das andere Geschichten, die von Infektionskrankheiten handeln, aber frei erfunden sind, nicht hervorrufen".

Dixon erklärt Zusammenhänge gut verständlich und trifft einen angenehmen Erzählton, was sein Buch auch für mikrobiologisch weniger bewanderte Menschen zur kurzweiligen Lektüre macht. Besonders interessant sind kleine Geschichten am Rande – zum Beispiel, daß Bakterien wie Haloarcula quadratisch sein können oder daß von Serratia marcescens befallene Hostien blutrot werden, was Wundergläubige als Zeichen des Himmels deuten.

So bleibt für Leser, die nach Jahren noch vertieft in Dixons Buch schmökern, nur zu hoffen, das es nicht von Aspergillus versicolor oder Penicillium verrucosum befallen sein wird. Diese Pilze, die vorzugsweise in älterem Papier wachsen, verfärben nämlich nicht nur die Seiten, sondern können auch – in extrem hoher Dosis eingeatmet – Husten, Fieber oder Brechreiz verursachen.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1996, Seite 128
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.